kind mit ihren Eltern in die USA gezogen,
wo sie das Tennisspielen lernte und seither
lebt. Neben der japanischen Staatsangehö-
rigkeit besitzt sie einen US-amerikanischen
Pass, tritt aber bei Länderturnieren seit ih-
rer Jugend für Japan an. In amerikani-
schem Englisch, weil sie kaum Japanisch
sprechen kann, erwähnt Osaka in Inter-
views immer wieder, dass sie gern Manga
lese und mit Aal belegtes Sushi möge.
Allerdings beschäftigt viele Japaner bei
allem Kosmopolitismus, den die neue
Sportikone verkörpert, eine Frage: Wie ja-
panisch ist Naomi Osaka überhaupt? Es
ist eine wichtige Frage in einem Land, in
dem gern von rassischer Reinheit oder so-
zialer Homogenität gesprochen wird und
der aktuelle Ausländeranteil von kaum
zwei Prozent schon als historisch hoch gilt.
Japan ist ein Land, das angesichts seiner
alternden Bevölkerung dringend mehr Ein-
wanderung brauchte, in dem aber keine
größere politische Partei mit diesem Vor-
haben in den Wahlkampf zieht. Ausländer
werden gern als ungezogen, laut und kri-
minell dargestellt.
Eine ziemlich verkrampfte Sicht auf
Osakas Japanischsein hat der Instant -
nudelhersteller Nissin, der auch zu ihren
Sponsoren gehört. Für eine Werbekam -
pagne kreierte Nissin Anfang des Jahres
eine Cartoonfigur der Tennisathletin, de-
ren Hautfarbe so hell war, dass man Osaka
kaum noch erkennen konnte. Die sagte
daraufhin öffentlich: »Es ist ziemlich of-
fensichtlich, dass ich dunkle Haut habe.
Wenn sie mich das nächste Mal abbilden,
finde ich, sollten sie sich vorher mit mir
absprechen.«
Mit der Vision »Einheit in Vielfalt«
scheinen die Olympiaorganisatoren des-
halb weit vorzugreifen. Und doch ist sie
für Japans sportliche Ziele unvermeidlich.
Das Nationale Olympische Komitee des
Landes hat für 2020 das Ziel ausgegeben,
30 Goldmedaillen zu gewinnen, was mehr
als doppelt so viele wären wie 2016 in Rio
de Janeiro.
Um dieses Ziel zu erreichen, sind die
Erfolge zahlreicher japanischer Athleten
mit ausländischem Elternteil unverzicht-
bar. Da ist etwa der 20-jährige japanisch-
ghanaische Sprinter Abdul Hakim Sani
Brown, der für Japan schon U-18-Welt-
meister über 100 und 200 Meter wurde.
Selbst in der Traditionssportart Judo zählt
mit dem 24-jährigen Mashu Baker ein
Mann zu Japans Medaillenhoffnungen,
dessen Vater aus den USA stammt.
Von der Gesellschaft werden diese Ath-
leten aber nur unter Vorbehalt als Japaner
anerkannt, beobachtet der Buch autor De-
bito Arudou. Der gebürtige US-Amerika-
ner, der seit den Neunzigerjahren in Japan
lebt und an Universitäten und in Zeitun-
gen auf Rassismus im Land aufmerksam
macht, traut selbst der immensen Popula-
rität von Naomi Osaka nicht. »Sie wird
als Japanerin gefeiert, wenn sie für Japan
Turniere gewinnt. Die Vorurteile gegen
alles Fremde werden großzügig über -
sehen, solange der Erfolg da ist. Aber nur
so lange.«
Für Osaka muss das Spannungsverhält-
nis als Japans erfolgreichste Tennisathletin
belastend sein. Zwischen ihrem Aus tralian-
Open-Sieg im Januar und dem Beginn der
US Open hat sie nur noch 17 von 28 Par-
tien gewonnen. Nach ihrem Erstrundenaus
in Wimbledon brach sie den Tränen nah
eine Pressekonferenz ab. Anfang August
postete Osaka dann, sie habe »die
schlimmsten Monate meines Lebens« hin-
ter sich. Auch in New York scheiterte sie
als Titelverteidigerin in dieser Woche be-
reits im Achtelfinale.
Und die Belastung wird zunächst nicht
abnehmen. Am 16. Oktober wird Naomi
Osaka 22 Jahre alt. Es ist das Alter, in dem
sich Menschen mit zwei Pässen nach japa-
nischem Recht entscheiden müssen, zu
welchem Land sie gehören wollen. Eine
doppelte Staatsbürgerschaft akzeptiert Ja-
pan auf Dauer nicht. Zwar beschloss Osa-
kas Vater schon zu Jugendzeiten seiner
Tochter, dass sie für Japan antreten solle.
Naomi Osaka aber scheint von ihrer Rolle
nicht vollends überzeugt.
Ende Juli twitterte sie einen Comic, in
dem jemand nach seiner Herkunft gefragt
wird und als Antwort auf einen von zwei
Knöpfen drücken soll. Der eine ist beschrif-
tet mit »wo ich lebe«, der andere mit »mei-
ne ethnische Herkunft«. Angesichts der
Optionen bricht die Figur in Panik aus.
Über die Karikatur schrieb Osaka: »Das
hier habe ich in meiner Seele gefühlt.«
Felix Lill
DER SPIEGEL Nr. 37 / 7. 9. 2019^95
MARIJAN MURAT / DPA
»Sie wird als Japanerin gefeiert, wenn sie für Japan Turniere gewinnt – aber nur so lange«