D
as Bürgerliche meint alles
und nichts. Wie so viele
Begriffe, die wehrlos durch
die Manege politischer De-
batten geschleift werden,
sind die Bedeutungskorrido-
re und Bedienungsanleitun-
gen so weit, disparat und zum Teil abstrus ge-
worden, dass alles leer, hohl und öde klingt. Das
Bürgerliche gehört eigentlich zum besten Tafel-
silber unserer Zivilgesellschaft, aber weder die
klassischen bürgerlichen Parteien wie Union
und FDP wissen viel mit dieser Ideen- und Hal-
tungsgeschichte des Bürgerlichen anzufangen
noch die neubürgerlichen Parvenüs wie die
Grünen oder nun die Bürgerdarsteller von der
AfD. Fast hat man das Gefühl, dass die Rechts-
populisten angetreten sind, um uns vor Augen
zu führen, dass Bürgertum keine Sache der
Kostümierung oder gar der Uniform ist.
Je mehr proppere Juristen mit Hermès-Kra-
watten und ölige Ex-Liberale mit Karrieristen-
Haarschnitt nun die Phänomenologie der Pro-
testpartei mitprägen, umso deutlicher wird, wie
vollkommen egal die richtige Wahl der Schnür-
schuhe und Perlenohrringe geworden ist, wenn
aus diesen irgendwie bürgerlich dekorierten
Figuren ekelhaftestes Ressentiment, Reaktionä-
res, Antisemitisches oder einfach nur widerlich
Verlogenes herauskommt. Mag auch Herr Hö-
cke gelernt haben, wie man einen dunklen An-
zug trägt – wenn er bei Demonstrationen vor
den Totengräbern und Feinden der liberalen
Gesellschaft und der parlamentarischen Demo-
kratie seinen schlichten, völkischen Kram run-
terleiert, dann wird die Staffage zu einem Täu-
schungsmanöver, das dünner und unorigineller
kaum sein könnte.
Alexander Gauland – tweedig, Jaguar fahrend,
hundebeschlipst – ist ein ideales Beispiel. Mit
seinem Spruch vom „Vogelschiss“ in der Ge-
schichte hat er alle Deutschen beschämt, zu-
mindest jene, die wissen, dass die Jahre 1933 bis
1945 einen an Barbarei, Menschenverachtung,
Entmenschlichung und Bestialität kaum zu
überbietenden Zivilisationsbruch darstellen,
von dem sich die Deutschen, die Verantwortung
übernehmen wollen, genauso wenig erholen
wollen wie jene, die einfach nur in tiefer Scham
verharren – nicht nur, wenn sie an Synagogen,
Schwulenklubs oder den Gräbern stolzer un-
beugsamer Sozialdemokraten stehen, die von
den Nazis abgeschlachtet wurden.
Kurzum, Gauland kann schreiben, postulie-
ren und denken, was er will – solange er die
Barbarei bagatellisiert, Halb-, Viertel- und Neo-
nazis in seiner Partei duldet oder auch nur
ignorierend verdrängt, mag er so oft behaupten,
wie er will, dass er bürgerlich sei und die Pro-
grammatik seiner Partei auch, es ist ein durch-
schaubares Unterfangen. Das Bürgertum in
seiner nobelsten Form war von liberalkonser-
vativen bis linksidealistischen Träumern stets
davon ausgegangen, dass im Miteinander und
im Kompromiss eine Gesellschaft zu sich
kommt und fortschreiten kann. Die Idee der
bürgerlichen Gesellschaft war eine des kom-
munikativen Ideals, des wertschätzenden Dia-
logs. Es war die Idee, dass in Debatten Gefühle
wichtig und zulässig sind, aber das Argument
vom Verstand geführt wird. Davon ist in der
AfD wenig bis nichts zu spüren. Eine populisti-
sche Partei hat nicht den mündigen Bürger im
Sinn, sondern den Parteigänger der eigenen
Erregtheit und die damit kommunizierten Res-
sentiments. Zum mündigen Bürger gehört, dass
er sich für die Meinungen der anderen interes-
siert. Der mündige Bürger lebt eine fast he-
roische Idee von Souveränität, in deren Zen-
trum steht, dass jede Meinung gehört werden
kann und die Vermutung gilt, dass auch das
Gegenüber recht haben könnte.
Gauland war, so berichten Weggefährten aus
Frankfurt am Main, ein liberaler Konservativer,
neugierig auf die Grünen, offen für andere We-
ge. Er war einer der eher klügeren Köpfe der
CDU, einer Partei, in der es Intellektuelle nie
richtig weit gebracht haben. Dieser Gauland ist
im falschen Jubel von Reaktionären und Antili-
beralen aus sich selbst verschwunden. Nun ist
Gauland ein Zuspitzer und Antiaufklärer. Weil
niemand Gauland Intelligenz absprechen kann
oder will, darf man unterstellen, dass er bei
seinen Entgleisungen wie dem „Vogelschiss“
wusste, was er tat. Er hat die Tür zur Hölle
aufgestoßen. Und er hat sich bis heute nie dafür
entschuldigt. Er lässt seine gärigen Lager weiter
gären in Bereiche hinein, dass jeder Bürgerliche
- wie nationalromantisch und stockkonservativ
er auch sein mag – Reißaus nimmt. Seine Partei,
die AfD, fing als Professorenklub an und hatte
in den Anfängen den Keim ihres künftigen welt-
anschaulichen Abstiegs schon in sich. Es fehlte
das Bewusstsein, dass man sich als rechte Partei
nach ganz rechts abgrenzen muss.
Das Bürgerliche ist vor allem eine innere
Haltung: ein Versuch, aus eigenen Interessen
heraus die Gesellschaft in ihrer inneren und
auch ökonomischen Liberalität im Sinne des
Fortschritts und der Freiheit weiterzuentwi-
ckeln. Das Bürgertum ist in seinen besten Mo-
menten wie bei Maggie Thatcher auch als revo-
lutionäre Kraft organisiert. Unerschrocken,
wehrhaft und leidenschaftlich für das Wohl des
Großen und Ganzen und bereit, auch harte
Kämpfe auszufechten. Im Grunde genommen
ist nach der Lösung der sozialen Frage das Bür-
gertum die einzig revolutionäre Klasse. Und da
ist der Lärm der rechten Reaktionäre ebenso
wenig hilfreich wie die dünnen Bürgerlichkeits-
folien bei den Grünen. Die aktuellen Ent-
eignungs- und Vergesellschaftungsdebatten sind
radikal antibürgerlich. Parteien, die das wollen
oder mit Kommunisten koalieren wie in Berlin,
sind nicht bürgerlich – oder sie verraten ihre
bürgerliche Identität.
Auch eine Linke kann bürgerlich sein. Es ist
die Linke, die aus Arbeiterkindern Bürger ma-
chen will. Die also an den Aufstieg glaubt und
den sozialen Aufsteiger in das Zentrum stellt.
Es gibt natürlich auch eine Rechte, die bürger-
lich ist. Sie hat ein aufgeklärtes Verhältnis zu
ihrem Land und pflegt einen reflektierten Pa-
triotismus. Sie liebt ihr Land, und weil sie ihr
Land liebt, ahnt sie, dass andere Menschen in
anderen Ländern gleichberechtigt diese Liebe
für ihr Land haben. Sie sind durch das andere
(Ethnien, sexuelle Identitäten, Religionen, Kul-
turen) nicht bedroht, sondern inspiriert.
Die von Gauland zu Recht postulierte innere
und äußere Unabhängigkeit macht den Bürgerli-
chen misstrauisch gegen Heilsbringer jeder Art.
Noch misstrauischer aber gegen Bauernfänger
und verbitterte Pessimisten. Wie nostalgisch
Gaulands Konzepte sind, wird besonders zum
Ende seines WELT-Beitrags deutlich, wenn die
für die AfD so unerlässliche Wendung gegen
den Islam kommt. Er tut dies wie immer mit
einer Strategie der Gratwanderung. Der einzel-
ne Muslim könne „natürlich“ (ach so!) Staats-
bürger werden, aber mehr als der einzelne – so
meint er es – natürlich nicht. Da wird es schnell
verantwortungslos. Dass in Elitegymnasien
ebenso wie in Verlagen, Kliniken oder Notars-
kanzleien muslimische Bürger zum Besten,
Inspirierendsten, Weltoffensten, Liberalsten
gehören, was dieses Land zu bieten hat – dazu
fehlt Gauland die Vorstellung.
Gauland will die alte Bundesrepublik zurück,
Teile der Ostpartei die völkische Homogenität
der provinzialistischen DDR. Gauland blickt
zurück, um das Bürgertum zu denken. Dabei ist
das Bürgertum nie nostalgisch: Es kämpft im-
mer um ein besseres Morgen. Es ist manisch
progressiv und liberal, ohne die Tradition zu
vergessen. Eine gestrige Partei räumt staubige
Marionetten des Bürgerlichen auf die Bühne. In
Zeiten von Spaltung und vergifteten Debatten
ist es das dringlichste Anliegen des Bürgers,
eine Gesellschaft wieder zusammenzubringen.
Nicht naiv um des lieben Friedens willen, son-
dern wehrhaft in Absicherung der eigenen Inte-
ressen und politischen Vorstellungen.
Deutschland geht es gut, wenn die Mitte des
Landes strebsam, zuversichtlich und maßvoll
den Ton angibt. Wenn sich Teile des Bürger-
tums an die Ränder verlören, ginge es dem Land
schnell sehr schlecht. Gauland weiß das alles,
aber er hat zu lange Applaus von den falschen
Rängen bekommen. Radikalisiert sich die AfD
weiter, mag sie Erfolg haben bei den Verbitter-
ten und Abgehängten. Doch mit jeder weiteren
Entgleisung werden bürgerliche Wähler ent-
fremdet. Es ist Aufgabe der bürgerlichen Par-
teien, der sogenannten, diese Enttäuschten
wieder zurückzugewinnen und ihnen Antworten
zu geben auf Fragen, die verdrängt oder ver-
harmlost oder ignoriert werden. Gauland ist mit
seiner dünnen Suppe nur erfolgreich, weil die
Konkurrenz so schwach ist.
[email protected]
TWELT-Chefredakteur Ulf Poschardt
antwortet auf einen Beitrag von Alexander
Gauland in der Freitags-Ausgabe („Wer
bestimmt, was heute bürgerlich ist?“).
Was wirklich
bürgerlich ist
Eine Antwort auf Alexander Gauland: Solange er die
Nazi-Barbarei einen „Vogelschiss“ nennt und Halb-,
Viertel- und Neonazis in der AfD duldet, kann sie
keine bürgerliche Partei sein
In Zeiten von Spaltung und vergifteten Debatten
ist es das dringlichste Anliegen des Bürgers, eine
Gesellschaft wieder zusammenzubringen
LEITARTIKEL
ǑǑ
ULF POSCHARDT
3
07.09.19 Samstag, 7. September 2019DWBE-HP
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DIE WELT SAMSTAG,7.SEPTEMBER2019* FORUM 3
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Leserbriefe geben die Meinung unserer Leser
wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen
uns über jede Zuschrift, müssen uns aber das
Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der
sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei
uns eingehen, sind wir leider nicht in der Lage,
jede einzelne Zuschrift zu beantworten.
tane Entschluss der Bundeskanzlerin
nach Fukushima, sofort aus der Kern-
kraft auszusteigen bzw. die Laufzeiten
der verbliebenen AKW drastisch zu
reduzieren, war ein Geburtsfehler der
erträumten Energiewende.
ULF ROHDE-LIEBENAU, PER E-MAIL
Britannien helfen
Zu: „Johnson setzt nach seiner
Brexit-Schlappe auf Neuwahl“
vom 6. September
Boris Johnson will bis zum 31. Oktober
2019 einen Weg finden, um sein Land
aus der EU zu führen. Am liebsten mit
einem No-Deal-Brexit. Doch das Par-
lament macht ihm einen Strich durch
die Rechnung. Und seit Monaten
schaut die gesamte EU-Gemeinschaft
menschliche Zusammenarbeit kann
darunter nur leiden. Daher ist es an der
Zeit, dass nicht nur Brüssel und seine
EU-Mitglieder sich intensiv mit den
Briten unterhalten, sondern vor allem
die Politik in Berlin sollte aktiv werden
für gemeinsame Lösungen für einen
EU-Verbleib von Großbritannien. Ab-
solut unverständlich ist es daher, von
Merkel seit Monaten keine Lösungen
zu erleben, auch für eine Zusammen-
arbeit mit den Briten scheint sie kein
Interesse zu haben. Hier geht es nicht
nur um über eine Million Menschen,
die im Ersten und Zweiten Weltkrieg in
Großbritannien sterben mussten, son-
dern um die Zukunft der gesamten EU
wie auch für Deutschland, für die Men-
schen auf beiden Seiten sowie die poli-
tische und wirtschaftliche Entwicklung
in den nächsten Jahrzehnten.
DIRK WANKE, KIEL
Grüne hinterfragen
Zu: „Der FDP fehlt German Mut“
vom 5. September
Der Gastkommentar von Rainer Zitel-
mann spricht mir aus der Seele. Demo-
kratie lebt, da sie niemals vollkommen
sein kann, vom Gespräch aller, und es
ist schlecht, dass niemand sich mehr
getraut, den Grünen – Lieblingen der
Medien – zu widersprechen. Gewiss ist
nicht alles falsch, was sie sagen und
wollen, aber bei ihnen steht jetzt im
Vordergrund, die Macht in Deutschland
zu erlangen, dafür opfern sie viele Idea-
le und sind wie ein Chamäleon gewor-
den. Auch arbeiten sie zu sehr auf eine
Pointe hin, der sie alles unterordnen.
Die ehemaligen Hinterfrager müssen
auch hinterfragt werden.
ECKHARD KRAUSE, Z. ZT. BORKUM
LESERBRIEFE
nur zu, der die Briten immer noch
angehören. Wenn wir auch kein Ver-
ständnis haben können für das exzen-
trische Verhalten von Johnson auf
unterster politischer und menschlicher
Ebene, so dürfen uns die Briten nicht
egal sein! Wenn es auch kaum EU-
Mitglieder gibt, die sich mit den Pro-
blemen des Brexit beschäftigen, so
sollten die Menschen in Deutschland
wie auch die Politik in Berlin den Bri-
ten ein Zeichen setzen: Wir möchten
Großbritannien weiter in der EU als
Mitglied haben, denn schließlich haben
wir seit Jahrzehnten nicht nur eine
enge Freundschaft miteinander, son-
dern auch die Nachkriegsgeschichte
gibt Deutschland eine große Verant-
wortung gegenüber allen Briten. Der
Brexit wird nicht nur die wirtschaftli-
chen und politischen Vereinbarungen
zu einem Ende bringen, auch die
Geburtsfehler
Zu: „Überschätzte Windkraft“
vom 5. September
Viele Politiker und die Heerscharen der
unerbittlichen Klimaschützer lügen
sich in die Tasche, wenn sie glauben,
mit erneuerbaren Energien eine CO 2 -
neutrale Energiewirtschaft einrichten
zu können. Solar- und Windenergie
decken zwischen 25 und 50 Prozent des
durchschnittlichen Tagesbedarfs an
Strom in Deutschland ab; die E-Mobili-
tät spielt noch keine wesentliche Rolle.
Wenn die Windenergie den Bedarf
annähernd abdecken soll, müsste min-
destens die gleiche Anzahl neuer Wind-
turbinen dazu gebaut werden wie die
Zahl der bereits installierten Anlagen.
In einem solchen Land möchte ich
weder gut noch gerne leben. Der spon-
E
U-Migrationskommissar Dimitris
AAAvramopoulos muss ständig dievramopoulos muss ständig die
Balance wahren zwischen Lob und
Tadel. Auf der einen Seite lobt er die EU-
Staaten für ihre Hilfsbereitschaft gegen-
üüüber schutzbedürftigen Flüchtlingen – aufber schutzbedürftigen Flüchtlingen – auf
der anderen Seite mahnt er immer wieder,
dass das alles noch nicht genug sei.
Erst im Juni würdigte er zum Beispiel
das Engagement der EU-Staaten beim
sogenannten Resettlement-Programm.
Dieses UN-Programm sieht vor, dass
besonders schutzbedürftige Flüchtlinge
auf sicherem Weg in Industriestaaten
gebracht werden. Man will damit Erst-
aufnahmeländer im Nahen Osten und in
AAAfrika entlasten und gleichzeitig Anreizefrika entlasten und gleichzeitig Anreize
fffür Flüchtlinge schaffen, die Einreiseür Flüchtlinge schaffen, die Einreise
nicht auf illegalem Weg zu versuchen. Das
Programm sei „ein Erfolg“, befand Avra-
mopoulos. Ende August aber kritisierte er
in WELT AM SONNTAG die Umsetzung
eben dieses Programms. „Alle Mitglied-
staaten“ müssten ihre Anstrengungen
„„„verstärken“, erklärte er. Es sei zum Bei-verstärken“, erklärte er. Es sei zum Bei-
spiel notwendig, „mehr Notfallevakuie-
rungen aus Libyen durchzuführen“.
Der Widerspruch besteht nur schein-
bar. Zwar engagieren sich die EU-Staaten
in der Tat seit einiger Zeit verstärkt für
Flüchtlinge nicht nur auf eigenem Boden
- sondern auch in Erstaufnahmeländern.
Im September 2017 kündigte die EU-
Kommission an, „mindestens 50.000“
wirklich schutzbedürftige Flüchtlinge bis
Ende Oktober 2019 auf direktem Weg
nach Europa zu holen – so viele wie noch
nie. Doch bislang besteht dieses Engage-
ment vor allem in der Theorie. Von den
angestrebten 50.000 kamen bis Mitte
dieses Jahres nur rund 33.000 Menschen
nach Europa. Auch die Bundesrepublik
hinkt hinterher. 10.200 Resettlement-
Flüchtlinge wolle man im Rahmen des
EU-Kontingents aufnehmen, sagte Bun-
desinnenminister Horst Seehofer im April
2 018. Nur rund 4800 kamen bislang an.
Die Gründe für die Verzögerung sind
vielfältig. Die Aufnahme sei eine „organi-
satorisch komplexe Aufgabe“, heißt es aus
dem Innenministerium. Das Flüchtlings-
hilfswerk müsse die Schutzbedürftigen
auswählen, das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge Interviews vor Ort durch-
ffführen und der Transport organisiertühren und der Transport organisiert
werden. Manchmal verzögere sich die
AAAusreise „aus medizinischen Gründen“.usreise „aus medizinischen Gründen“.
So nachvollziehbar die Erklärungen für
die schleppende Umsetzung sind, so pro-
blematisch sind die Folgen: Nur noch
wenige Wochen bleiben, um die verein-
barte Zahl an Flüchtlingen nach Europa
zu holen. Gelingt das nicht, nimmt die
Glaubwürdigkeit Deutschlands und der
EU Schaden. Es würde dann schwerer,
auch andere Staaten zur Einhaltung von
VVVereinbarungen zu drängen – etwa wennereinbarungen zu drängen – etwa wenn
es um die Rückname abgelehnter Migran-
ten geht.
Schleppende
Flüchtlingshilfe
PLATZ DER REPUBLIK
RICARDA BREYTON
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