Süddeutsche Zeitung - 07.09.2019 - 08.09.2019

(Rick Simeone) #1
... Bier auf Wein, das lass sein“! Wer kennt nicht dieses
Sprichwort mit dem gerne das Glas Bier zum Aperitif
gerechtfertigt wird. Alternativ wird damit auch vor
den Gefahren einer falschen Trinkreihenfolge ge-
warnt, die mit Kopfschmerzen enden könnte. Doch ei-
nes ist klar: Ob ich zuerst ein Bier und anschließend
Wein trinke oder ob das Glas Bier nach der üppigen
Weinprobe serviert wird, verhindert oder birgt kei-
nerlei gesundheitliche Gefahren. Das Sprichwort aus
dem Mittelalter ist vielmehr ein sozialer Ratschlag.
Bier war damals das erschwingliche Getränk der ein-
fachen Leute, während Wein das Luxusgetränk für die
Oberschicht war. Wein auf Bier als Ratschlag war die
Ermunterung zum sozialen Aufstieg. Bier auf Wein
hingegen verwies auf die Gefahren des Abstiegs.
Nichts ist scheinbar lang le biger als gut gepflegte
Legenden. Diese sind in der Weinwelt zahlreich und

könnten wohl die ganze Ausgabe dieser Zeitung füllen.
Schauen wir einmal näher hin. „Vom Schwefel im Wein
bekommt man Kopfschmerzen“. Auch dieses Zitat ge-
hört in die Märchenwelt. Schwefel wird zwar in Form
von Schwefeldioxid, kurz SO2, zur Weinerzeugung
eingesetzt, doch wer kein Schwefelallergiker ist und
moderat Wein genießt, hat nichts zu befürchten. Die
Ursachen für den Brummschädel sind andere. Zu viel
Weingenuss ist ein Garant für einen ordentlichen Ka-
ter. Schlecht durchlüftete Räume, zu wenig Frischluft
oder Tabakrauch sind zusammen mit Alkohol Gründe
für Kopfweh. Auch Wassermangel zählt dazu. Min-
destens so viel Wasser wie Wein zu trinken kann den
unangenehmen Schmerzen vorbeugen.
Auf Schwefel bei der Weinerzeugung zu verzichten
wäre übrigens töricht, denn er wird in Form von
Schwefeldioxid als Oxidationsschutz beim Weinaus-
bau und später auf der Flasche eingesetzt. Er verbes-
sert die Lagerfähigkeit von Wein, ohne ihn könnten
viele wunderbare Tropfen nicht über lange Jahre rei-
fen und so ihr volles Potenzial entfalten. Gerade bei
Rotweinen wird auf das Reisepotenzial viel Wert

gelegt, ebenso auf eine dunkle Farbe. „Gute Rotweine
haben eine tiefdunkle Farbe“, ist eine gern geäußerte
Vermutung. Scheinbar bestätigen die Verkaufserfolge
tiefdunkler Gewächse diese Meinung. Selbst in Ver-
gleichen, bei denen zwei verschieden intensive Gläser
zur Wahl stehen, entscheiden sich die Konsumenten
häufiger für die intensivere Farbtönung. Haben tief-
dunkle Tropfen also die Nase vorn? Zur Erinnerung:
Die Farbe steckt bei den meisten dunklen Rebsorten
in der Traubenschale. Um diese auszulösen können
die Winzerinnen und Winzer rote Trauben beispiels-
weise auf der Maische vergären. Während der Gärung
werden Aromastoffe, Gerbstoffe und eben Farbstoffe
aus der Schale gelöst. Je länger der Kontakt mit den
Traubenschalen dauert, desto farbintensiver wird ein
Wein. Thermovinifikation, bei der die Maische erhitzt
wird, ist eine weitere Möglichkeit, farbintensivere
Weine zu gewinnen. Doch sind beiden Methoden
Grenzen gesetzt. Es gibt Rebsorten wie Cabernet-
Sauvignon oder Syrah, die sehr viel Farbpigmente in
der Traubenschale eingelagert haben. Spätburgunder
und Nebbiolo sind dagegen weniger farbintensive
Trauben. Dass die Weine der letztgenannten Rebsor-
ten jedoch nicht weniger aromaintensiv sein müssen
und dass „Tiefdunkel“ bei Weitem weder gleich be-
deutend mit ausdrucksstark und kraftvoll noch ein
Garant für Tiefe und Komplexität ist, beweist ein Test
aus einem schwarzen Glas. Durch die Färbung des
Glases werden die optischen Sinne ausgeblendet und
wir konzentrieren uns mehr auf die Duft- und
Geschmackswahrnehmung. In einer solchen „Blind-
probe“ präsentieren sich plötzlich uns gut bekannte
Weine ganz anders und werden zu einer neuen Genuss-
erfahrung.
Vorsicht ist jedoch geboten, denn solch ein Selbst-
versuch kann bei zu heftigem Schwenken auch mit
einem grell leuchtenden Rotweinfleck enden. Erfah-
rene Weinfans streuen sofort Salz auf die feuchte
Stelle und fühlen sich wie erfolgreiche Helden. Ein
trügerisches Gefühl. Dass Salz den Fleck verschwin-
den lässt, ist ein weiteres Märchen. Die Flüssigkeit
wird zwar aufgesogen und damit wirkt der Fleck et-
was heller, auch werden die Farbpigmente des Rot-
weins durch das Salz angegriffen, doch häufig bleibt
ein bräunlicher Fleck zurück, der auch in der

Waschmaschine nicht mehr spurenlos zu entfernen
ist. Das Rezept zum erfolgreichen Fleckenentfernen
ist hingegen simpel und kostengünstig: Wasser, Seife
und Zeit. Zunächst ist Schnelligkeit gefordert, denn
ist ein Fleck erst einmal tief in die Fasern eingedrun-
gen oder gar eingetrocknet, lässt er sich kaum mehr
entfernen. Am effektivsten ist der Einsatz von viel
Wasser und etwas Seife oder Spülmittel. Nach dieser
Erstbehandlung sollte das gute Stück direkt in die
Waschmaschine wandern. Die Seidenkrawatte ver-
langt nach der Erstbehandlung die chemische Reini-
gung und sollte gar der Teppich betroffen sein, pro-
bieren Sie kohlensäurehaltiges Mineralwasser aus.
Dies auf den Fleck aufgebracht und mit einem Lap-
pen mittels einer Dreh bewegung wieder aufgenom-
men, ist Erfolg versprechend. Übrigens: Rubbeln ver-
bietet sich. Wer zwecks Fleckvermeidung auf rote

Gewächse verzichten will, greift eventuell zum Rosé,
der allerdings nach Meinung einiger Weinkenner
„weder Fisch noch Fleisch“ sei. Die vermeintlichen
Experten belächeln gern die „Wahl der Unentschlos-
senen“. Doch das Image des rosafarbenen Weins bes-
sert sich zusehends, was an den heißen Sommerta-
gen liegen mag, die nach einem erfrischenden
Schluck verlangen oder an der asiatischen Küche, die
bei uns immer beliebter wird und mit der er so gut
harmoniert.
Rosé erlebt einen ungebrochenen Aufwärtstrend
und ist nicht mehr ein aus der Not geborener aus-
drucksloser Tropfen, sondern ein bereits im Wein-
berg konzipierter Weinstil mit teils erstklassigen
Qualitäten. Dass Rosé eine Mischung aus roten und
weißen Weinen sein soll, ist auch Humbug. Es werden
ausschließlich rote Trauben verwendet. Da die Farb-
stoffe in den Schalen sitzen, bleiben Roséweine nach
dem Quetschen der Trauben nur für einige Stunden
auf der Maische. Diese Zeit reicht aus, um dem Wein
seine sanfte rosa Farbe zu geben. Anschließend wird
er wie ein Weißwein vergoren.

DIE HERBSTEDITION DER SÜDDEUTSCHE ZEITUNG VINOTHEK


Liebe Leserinnen und Leser,


„Wein auf Bier – das rat’ ich Dir ...


Die vermeintlichen Experten
belächeln gern die
„Wahl der Unentschlossenen“

VON MARKUS DEL MONEGO

Vinothek


die Zeit vergeht wie im Flug und schon bald werden die hei-


ßen Tage des Sommers nur noch eine ferne Erinnerung sein.


Es rückt der Moment immer näher, an dem die Winzerinnen


und Winzer zeigen werden, was sie an feinen Tropfen keltern


konnten. Die Chancen auf gute hohe Qualitäten stehen gut.


Ich drücke die Daumen, dass alles gelingen wird und Sie sich


auf einen nächsten, guten Jahrgang freuen können.


Um den Sommer noch etwas nachklingen zu lassen, stelle


ich Ihnen in der Herbstedition eine Reihe feiner Gerichte aus


der provenzalischen Küche vor. Diese Gaumenfreuden wer-


den im Zusammenspiel mit den Weinen der SZ-Edition den


Sommer noch etwas verlängern. Dabei nehme ich Sie noch


einmal mit in verschiedene Weinregionen – die auch ein herr-


liches Ziel für den nächsten Sommerurlaub sind. Und wer


weiß, vielleicht animieren Sie die feinen Tropfen, Ihr nächs-


tes Reiseziel einmal zwischen wogenden Rebzeilen zu


wählen.


Einen schönen Herbst wünsche ich Ihnen und viel Ver-


gnügen mit der SZ-Vinothek.


Herzlichst, Markus Del Monego (Master of Wine)


HERBST 2019


„Gute Rotweine haben eine
tiefdunkle Farbe“, lautet eine gern
geäußerte Vermutung
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