Der Tagesspiegel - 07.09.2019

(John Hannent) #1
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DER TAGESSPIEGELR E R U M C A U S A S
C O G N O S C E R E

Herr Kuhs, Ihre Parteikollegin Beatrix von
Storch hat gesagt, bei illegalem Grenzüber-
tritt sollte man auch Kindern den Zutritt
mit Waffengewalt verweigern. Was würde
Jesus dazu sagen?


Das wurde damals fehlinterpretiert. Bea-
trix von Storch würde nie etwas sagen,
was der christlichen Nächstenliebe wi-
derspricht. Aber Jesus hat selbst gesagt:
"Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist
und Gott was Gottes ist." Man muss
deshalb klar zwischen Kirche und Staat
trennen und Aufgabe des Staates ist es
unter anderem, auch seine Grenzen zu
schützen.


Jesus war selbst Flüchtling. Wie passen für
Sie die christliche Botschaft und die Flücht-
lingspolitik der AfD zusammen?


Wir als Christen haben die Verantwor-
tungund dieVerpflichtung, unsumHilfs-
bedürftige und Flüchtlinge zu kümmern,
sie aufzunehmen und zu versorgen. So-
weit sie Gott vor unsere Füße legt. Aber
ich habe sicher nicht die Pflicht, nach
Afrika zu fahren und mich dort um sie zu


kümmern. Christliche Nächstenliebe
kann ich nicht dem Staat aufbürden. Der
Staat weiß nichts von Barmherzigkeit, er
hat Interessen. Er muss nicht alle, die in
seinen Bereich kommen, mit christlicher
Nächstenliebe beglücken. Nur Personen
oder Kirchen können das tun.


Der Staat besteht aber auch aus Personen,
die dort Verantwortung tragen.


Ja, einzeln können die das tun. Ich bringe
mich auch selbst in der Flüchtlingshilfe
hier in meiner Stadt ein. Das machen
viele in der AfD. Aber Migration muss
nach klaren Regeln erfolgen.


Ist Nächstenliebe begrenzt auf die, die
schon im Land sind?


Ja, Nächstenliebe ist grundsätzlich be-
grenzt auf Deutschland. Die Nächsten-
liebeistkeineFernstenliebe.Esgehtdabei
um den, der mir am nächsten ist. Ich ver-
weise auf das Gleichnis vom barmherzi-
gen Samariter. Er kümmerte sich um den,
dem er auf seinem Weg begegnete. Für
mich geht es daher zuerst um die Men-
scheninmeiner Stadt.
Die AfD fordert die Schließung der EU-Au-
ßengrenzen. Was ist mit Menschen, für die
eine Abweisung den Tod bedeutet?
Bei den meisten Flüchtlingen, gerade aus
NordafrikaoderSyrien,kannichnichter-
kennen, wo deren Notlage liegt. Zumin-
destbeiüber90 Prozent.DiehabenGeld,
umSchleuserzubezahlen,undgebensich
hier als Flüchtlinge aus. Manche machen
ja auch Heimaturlaub in Syrien, so
schlimmkann esdannnicht sein.

Wenn Flüchtlinge Geld haben, heißt das ja
nicht, dass sie in ihrem Land keiner ernsten
Bedrohung ausgesetzt sind.
Sie müssen mir erst einmal einen zeigen,
derwirklicheinerernstenBedrohungaus-
gesetzt ist. Aber da werden Sie schon et-
was suchen müssen.
Im Iran droht Christen und Homosexuel-
len die Todesstrafe.
Ja, denen droht tatsächlich der Tod. Und
die werden von den Behörden dennoch
oftzurückgeschickt.DieChristenausIran
müssen hierbleiben, die dürfen wir nicht
zurückschicken.
Zitat aus dem Galaterbrief: „Ihr seid alle-
samt einer in Christus Jesus.“ Sollten wir
uns nicht aus christlicher Sicht dafür ein-
setzen, dass sich die Situation in den Auf-
fanglagern und den Ländern verbessert?
Ja klar. Das sollten wir tun. Und ich erin-
nere daran, dass die Streichung der Gel-
derfürdie UNHCR-LagerinLibanonund
JordanienzudersogenanntenFlüchtlings-
krise2015führte.

Welche konkreten Vorschläge gibt es da
von der AfD?
Wir haben noch keine Regierungsverant-
wortung und können deshalb nicht viel
ändern. Wir finden aber, das Problem
sollte gar nicht erst entstehen und wol-
len deshalb, dass die Grenzen komplett

geschlossen werden. Der Magnet
Deutschland ist ja immer noch an.
AfD-Politiker fallen öfter mal mit fremden-
feindlichen Aussagen auf. Wie können Sie
als Christ es vertreten, mit solchen Leuten
in einer Partei zu sein?
Benennen Sie mir mal jemanden. Mit sol-
chen Leuten möchten wir in der AfD
nichts zu tun haben. In den wenigen Fäl-
len,wo daspassiert ist, gabesKonsequen-
zen und die mussten die Partei verlassen.
Ihr Parteichef Alexander Gauland sagte
über Staatsministerin Aydan Özoguz, man
solle sie "in Anatolien entsorgen".
Es hat auch jemand von der SPD gesagt,
man sollte die ganze Merkel-Regierung
entsorgen.
Rechtfertigt das diese Äußerung?
Nein, aber man muss es eben im Gesamtzu-
sammenhang bewerten. Außerdem halte

ichdasnichtfüreinerassistischeÄußerung.
Keine rassistische Äußerung?
Nein, seheich da nicht.
Die AfD wurde nicht zum evangelischen
Kirchentag eingeladen.
Das ist schade. Solche Ereignisse sollen
dem Gespräch und Meinungsaustausch
dienen.WenndaeineganzeGruppeausge-
grenzt wird, ist das ein Widerspruch für
denAnspruchdesKirchentages.Abermit
sogenannten Rechten redetman janicht.
Anette Schultner, Ihre Vorgängerin als Vor-
sitzende der Christen in der AfD, hat die
Partei inzwischen verlassen. Was wäre der
Punkt, an dem Sie gehen würden?
Wennwirzuweitnachlinksindiesozialis-
tischeEcke rutschen.
Weiter rechts wäre nur noch die NPD.
Das ist undiskutabel. Wir haben mit de-

nen absolut nichts zu tun. Niemand, der
mal in der NPD war, darf jemals zu uns
kommen.Das ist ein No-Go.

Ist die anglikanische Kirche, in die Sie ge-
hen, eigentlich fundamentalistisch?
WennwirunsaufdieBibelstützenundsie
fürwahrhaltenundSiebezeichnendasals
fundamentalistisch, dann ja. Aber ich ge-
höre nicht zu denen,die die Vernunft bei-
seitelassen.Ichmöchtealleserklärenkön-
nenundkann dasauch.

Dürften Muslime auch wie Christen und
Juden eine Gruppe in der AfD gründen?
Ja, solange sie nicht die Scharia-Gesetze
hier haben wollen, die unseren Gesetzen
fundamentalwidersprechen.Dannhaben
siebeiuns nichts zusuchen.

— Das Gespräch führte Selina Bettendorf.

Joachim Kuhs(63),
gelernter Rechtspfle-
ger, ist seit 2013
AfD-Mitglied. Er ist
Stadtrat im Gemeinde-
rat Baden-Baden und
Abgeordneter des Eu-
ropäischen Parla-
Foto: Michael Kappeler/dpaments.

USA
Nahostbeauftragter
Jason Greenblatt tritt zurück
Washington- Noch vor der Vorstellung
des kompletten US-Friedensplans für
den Nahen Osten ist der zuständige Son-
dergesandte Jason Greenblatt zurückge-
treten. Seine Gründe nannte Greenblatt
am Donnerstag nicht. Er hatte in den ver-
gangenen zweieinhalb Jahren zusammen
mit Jared Kushner, dem Schwiegersohn
von Präsident Donald Trump, an dem
Friedensplan gearbeitet. Dieser wird von
den Palästinensern bereits vehement ab-
gelehnt. Greenblatt erklärte nun ledig-
lich, es sei ihm eine „lebensprägende
Ehre“ gewesen,dem Weißen Haus zudie-
nen. Trump und seine Regierung bemüh-
tensich um Klarstellung,dassder Nahost-
beauftragte nicht im Unfrieden gehe.
Trump nannte Greenblatt im Internet-
dienstTwitter als „loyal“ undeinen „groß-
artigen Freund“. AFP

Berlin –SPD-Veranstaltungen im Live-
stream zu verfolgen ist normalerweise
nichts, womit Unionspolitiker ihre Frei-
zeit verbringen. Für die erste Bewerber-
rundeumden SPD-Vorsitz machten man-
che aber doch mal eine Ausnahme. Was
sie am Mittwoch aus Saarbrücken sahen,
gefiel ihnen nicht.„Sehr viel Linkstrend“,
fasst einer seine Eindrücke zusammen,
kaum gute Worte über die große Koali-
tion, und zu allem Überfluss wenig Bei-
fall für den einzigen, den sie in CDU und
CSU als verlässlichen Partner betrach-
ten. „So wie das da läuft, ist es nicht gut“,
sagt eineraus derFührungderUnionspar-
teien. „Alles außer Olaf Scholz ist
schlecht für uns.“
Doch es war nicht der Finanzminister
undVizekanzler, der aufder erstenRegio-
nalkonferenz der SPD mit den Bewerbern
umdenParteivorsitzden meisten undlau-
testen Beifall einheimste. Begeistert be-
klatscht wurden in Saarbrücken sozialde-
mokratische Tandems, die entweder ei-
nen weit konfrontativeren Umgang mit
der Union anpeilen oder sogar schnell der


großen Koalition ein Ende machen wol-
len. Teure Versprechen wie eine Kinder-
grundsicherung, ein bedingungsloses
Grundeinkommen für alle oder ein Min-
destlohn von 14,50 Euro kamen gut an.
Der Parteilinke Ralf Stegner und seine
Co-Bewerberin Gesine Schwan rockten
den Saal – obGroko-Aus-
stieg oder nicht, halten
sie sich offen.
Vieleinder SPDwün-
schen sich einen Auf-
bruch, den zu verkör-
pern Scholz schwerfällt.
Er verantwortet seit
zehn Jahren als Partei-
vize den Kurs der SPD
mit. In der Fragerunde
musste er den Vorwurf eines Genossen
parieren,er seikein glaubwürdiger Kandi-
dat, weil er „uns in dieses Tal der Tränen
geführt hat“.
Scholz zählte stakkatoartig Erfolge
auf – Branchenmindestlohn, Kurzarbei-
tergeld, sozialer Wohnungsbau – und
wehrte sich auf Denglisch: „Ich bin der

Meinung,dassich einechter,truly Sozial-
demokrat bin.“ Immerhin: In einer Um-
frage unter SPD-Mitgliedern kam er mit
seiner Mitkandidatin Klara Geywitz aus
Potsdam auf den ersten Platz.
Viel wert in Zahlen ist der allerdings
nicht – 25 Prozent reichen nicht zum
Sieg. In der SPD wird zwar damit gerech-
net, dass Scholz/Geywitz in die Stich-
wahl kommen. Die größte Chance, den
Finanzminister herauszufordern, habe
dann aber ein Kandidaten-Duo, das sich
deutlich von den beiden abgrenze.
Wenn dasstimmt, empfahl sich inSaar-
brückenals Herausforderer nicht dasPär-
chen Boris Pistorius und Petra Köpping –
der niedersächsische Innenminister und
die sächsische Integrationsministerin be-
kannten sich zur Regierungsverantwor-
tung ihrer Partei. Anders Norbert Wal-
ter-Borjans und Saskia Esken. Der
Ex-NRW-Finanzminister und die linke
Bundestagsabgeordnete bekamen Ap-
plaus,als siedie„SchwarzeNull“kritisier-
ten. Unterstützt werden die beiden von
Juso-Chef Kevin Kühnert und dem Lan-

desvorstand der NRW-SPD, dem mitglie-
derstärksten Verband der Partei.
Der erste Rückzug aus dem anfänglich
17 Köpfe zählenden Bewerberfeld zahlte
ebenfalls auf ihrem Konto ein. Die Ober-
bürgermeisterin Simone Lange aus Kiel
und Alexander Ahrens aus Bautzen ver-
zichteten. Die beiden
empfahlen ihren Anhän-
gern, sich an Esken und
„Nowabo“ zu halten –
Walter-Borjans’ Kurz-
name.
In der Union fanden
sie den Zug naturgemäß
nicht ermutigend. Diese
„Reise nach Jerusalem“
werde weitergehen,ver-
mutet ein führender
Unionspolitiker – mit einer logischen
Folge: Je mehr Bewerberduos aus dem
von Parteilinken dominierten Feld aufge-
ben, um so mehr konzentrierten sich
die Stimmen ihrer Anhänger auf ein
linkes Favoritenpaar. Dass zuletzt zwei
SPD-Realopärchen den Parteivorsitz un-

ter sich ausmachen könnten, wird damit
unwahrscheinlich. Scholz könnte sich so-
gar gezwungen sehen, im Lauf der nächs-
ten 22 Basistreffen ein linkes Klassen-
kämpferherz zu entdecken. In Saarbrü-
cken versprach er schon mehr Steuern
für Reiche und Gutverdiener.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus
versuchte gleich, Stoppmarken zu set-
zen. „Wir sindnicht bereit,eine neueVer-
teilungsdiskussionin diesemLand zu füh-
ren“, verkündete der CDU-Politiker bei
der Klausur seines Fraktionsvorstands.
„Wenn jemandmeint, die Architektur die-
ser Koalition weiter nach links verschie-
ben zu können, dann irrt er sich.“
Scholz hilft das nicht, im Gegenteil.
Aber das Signal war wohl eher nach in-
nen gerichtet. In der Union gibt es näm-
lich eine zweite Sorge: Dass die eigene
Führung den Sozialdemokraten in den
nächsten Wochen zu weit entgegenkom-
men könnte, um der SPD-Basis bloß
keine neuen Argumente gegen die
große Koalition zu liefern.
Robert Birnbaum/Hans Monath

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Aufnehmen oder abwehren?Flüchtlinge auf einem Schiff im Hafen von Thessaloniki. Foto: Giannis Papanikos/AP/dpa

EFNACHRICHTEN


Foto: Annegret Hilse/ Reuters Foto: Carsten Koall/dpa

4 DER TAGESSPIEGEL POLITIK NR. 23 938 / SONNABEND, 7. SEPTEMBER 2019


Was würde Jesus zur AfD-Flüchtlingspolitik sagen?


Ein Gespräch mit Joachim Kuhs, dem Vorsitzenden der „Vereinigung Christen in der AfD“, über Barmherzigkeit und Nächstenliebe


Bange Blicke auf die Castingshow


Das erste Treffen der Kandidaten für den SPD-Vorsitz hat die Union nervös gemacht – weil linke Forderungen dort gut ankamen


Norbert
Walter-Borjans

Olaf Scholz

Wir suchen Nachwuchstalente im Alter von 18 bis 21 Jahren, die als
Reporterinnen und Reporter von den Paralympischen Sommerspielen
2020 berichten. Vom 25. August bis 6. September 2020 finden die
Spiele für Menschen mit Behinderung in Tokio, Japan statt. In einem
internationalen Redaktionsteam führen Sie Interviews mit Athleten,
Prominenten und Politikern und schreiben Artikel für die Paralympics
Zeitung, die als Beilage im Tagesspiegel, Handelsblatt und in der ZEIT
erscheint.
Die Kosten für Anreise, Unterkunft und Verpflegung werden übernom-
men. Die Bewerbung von Menschen mit Behinderung ist ausdrücklich
erwünscht. Das Zeitungsprojekt besteht seit den Paralympischen Spie-
len in Athen 2004 und wird vom Tagesspiegel in Kooperation mit der

Deutschen Gesetzlichen Unfallver sicherung (DGUV) durchgeführt.
Bewerben können sich junge Sportbegeisterte mit einem journalisti-
schen Beitrag zum Thema Menschen mit Behinderung und Sport sowie
einem Motivationsschreiben.

Weitere Informationen zum Bewerbungsverfahren unter:
http://www.paralympics-zeitung.de
http://www.dguv.de/paralympics
Fragen per E-Mail an: [email protected]

Fotos: Thilo Rückeis, Tagesspiegel

Bewerbungsschluss: 13. Oktober 2019


Bewer
bungs-
schluss:
13.10.

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den Paralympics 2020


in Tokio

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