Peking- Auf dem riesigen Vorplatz der
Großen Halle des Volkes sind an diesem
sonnig-heißen Freitag in Peking zwei
Stühle aufgestellt. Kanzlerin Angela Mer-
kel und Chinas Premier Li Keqiang neh-
men darauf Platz und lauschen – unter
einem Baldachin – der deutschen Natio-
nalhymne. Bei der chinesischen Hymne
steht Li Keqiang auf, er würde sonst Pro-
bleme mit seinen patriotischen Chinesen
bekommen.Danachgehen siediemilitäri-
schen Ehrenformationen ab und nehmen
wieder auf den Stühlen Platz. Dank der
rücksichtsvollen Chinesen istalles gutge-
gangen für die Kanzlerin, die im Sommer
zweimalbeimstehenden Anhören derNa-
tionalhymnen von merkwürdigen Zitter-
anfällen beeinträchtigt worden ist.
Der Empfang für Angela Merkel ist
sehr freundlich. Li Keqiang und Staats-
und Parteichef Xi Jinping nehmen sich
viel Zeit für die
Kanzlerin. Mehr-
mals betont Li Ke-
qiang, dass die
deutsch-chinesi-
schen Beziehungen
schon sehr „gesund
und stabil“ seien
und unbedingt noch
enger werden soll-
ten. Beide Länder
seien mit ihren gro-
ßen Wirtschaften
wichtige Vertreter des Multilateralismus
und der offenen Märkte – ein leichter Sei-
tenhieb auf US-Präsident Donald Trump.
Merkel dürfte das Werben recht sein.
Seit dem Handelskonflikt der Chinesen
mit den USA kann man eine Charmeof-
fensive Chinas in Richtung Deutschland
und Europa feststellen. Tun sich da für
deutsche Firmen Lücken auf? Wohl
kaum, so weit werden es die Amerikaner
wohl nicht kommen lassen. Trump gibt
sich zwar nach außen unnachgiebig, hat
aber wiederholt auch signalisiert, dass er
an einem „Deal“ interessiert ist. Ihm ste-
hen Wahlen ins Haus und auch die ameri-
kanische Wirtschaft leidet zunehmend,
Anleger sind nervös. Merkel sagt denn
auch unmissverständlich, sie hoffe auf
ein Ende des Konflikts, da davon auch an-
dere Marktteilnehmer in Mitleidenschaft
gezogen würden.
Es ist nicht alles im Lot. Li Keqiang
mahnt die deutsche Seite wiederholt:
Chinahabesichwirtschaftlichmehrgeöff-
net, jetzt müsse auch Deutschland nach-
ziehen und sich weiter öffnen. Natürlich
seien chinesische Unternehmen in
Deutschland willkommen, antwortet die
Kanzlerin. Aber die Deutschen müssten
auch ihre sensiblen Technologien schüt-
zen. Mit dem angestrebten Investitions-
schutzabkommen zwischen China und
der EU werde sich das verbessern. Aber
worauf alle angespannt warten, spart sich
ChinasPremierzumSchlussauf.Wiegeht
esmitden Protesten inHongkongweiter?
Würde Chinamilitärisch intervenieren?
Erst scheint es, als wolle er gar nicht
darauf antworten, dann sagt Li Keqiang
doch etwas. Er wiederholt nur, dass
China hinter den Bemühungen der Hong-
konger Regierung stehe, „die Gewalt und
das Chaos in Übereinstimmung mit dem
Recht zubeenden“. Chinahaltesich unbe-
irrt an die Grundsätze „ein Land, zwei
Systeme“ und dass die Hongkonger ihre
Angelegenheitenselbstregeln sollen,wie
es im Grundgesetz der autonomen chine-
sischen Sonderverwaltungsregion stehe.
Zuletzt hatten sich rangniedrigere
Funktionäre über radikale Aktivisten, die
Brandbomben werfen, empört. Doch da-
von kein Wort. Auch kein Hinweis da-
rauf, dass das Grundgesetz durchaus eine
Interventionerlaubenwürde.Ohne Zwei-
fel, Chinas kommunistische Führer sind
erkennbar bemüht, die aufgeheizte Stim-
mung nicht noch anzufachen und die
Lage vor den Feiern zum 70. Jahrestag
der Gründung der Volksrepublik am
1.Oktober zu beruhigen.
Der gänzliche Rückzug des umstritte-
nen Gesetzes für Auslieferungen nach
China und das Dialogangebot diese Wo-
che reicht aber vielen Demonstranten
nicht – am Samstag soll wieder protes-
tiert werden, dann auch wieder am Flug-
hafen, wo es besonders schmerzt. Merkel
warnt vor der Gewalt, mahnt zu politi-
schen Lösungen. Auch hofft sie, dass es
zum angebotenen Dialog kommt – und
die Demonstranten auch dabei sind.
Hongkongs Grundgesetz gewähre den
Menschen „Rechte und Freiheiten“, so
Merkel, die „natürlich auch gewährleistet
werden müssen“. dpa
Die deutschen Unternehmenschefs, die
mit der Delegation von Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) nach China gereist
sind, haben nicht lang gezögert. Nur ei-
nen Tag nach der Ankunft in Peking hat-
ten deutsche Manager am Freitag be-
reits elf Kooperationsabkommen unter-
zeichnet. Die Vereinbarungen reichen
von der Luftfahrttechnik, Schifffahrt,
Energie, Elektromobilität, Finanzierung,
Versicherung bis hin zum vernetzten
Fahren und der Vermeidung und Verwer-
tung von Müll, wie aus einer Liste aus
Delegationskreisen hervorgeht. So un-
terzeichnete etwa dieAllianz-Versiche-
rungeine Vereinbarung mit der Bank of
China über Vertiefung der Kooperation
im Finanz- und Versicherungsbereich.
DerSiemens-Konzernunterschrieb eine
Absichtserklärung mit der State Power
Investment Corporation Limited (SPIC)
zur Kooperation bei Gasturbinen. Auch
ein Berliner Unternehmen schloss ei-
nen neuen Vertrag ab; dieALBA Group
unterzeichnete eine strategische Koope-
rationsvereinbarung mit der Shenzhen
Energy Group für die Gründung eines
Joint Ventures zur Zusammenarbeit bei
Verwertung und Vermeidung von Abfall
in Shenzhen. Für Aufsehen sorgte zu-
dem dieDeutsche-Post-Tochter
Streetscooter. Sie beschloss mit dem
chinesischen Automobilhersteller Chery
Holding eine Absichtserklärung zur Pro-
duktion sowie Entwicklung eines elektri-
schen Nutzfahrzeugs im Verteilerver-
kehr. Gemeinsam mit Merkel sind unter
anderem die Vorstandschefs der Deut-
schen Bank, VW, BMW, Infineon und Sie-
mens nach China gereist. Im Vorfeld wa-
ren Forderungen laut geworden,
Dax-Chefs sollten Stellung zu Chinas
Vorgehen gegen die Demonstranten in
Hongkong beziehen. Siemens-CEO Joe
Kaeser, der US-Präsident Donald Trump
zuletzt mehrfach öffentlich kritisiert
hatte, sagte nun, China müsse in Hong-
kong„ein Land, zwei Systeme“ weiter-
hin anerkennen, wie ein „Bild“-Reporter
auf Twitter schrieb. dpa/rtr/mum
WIRTSCHAFTSABKOMMEN D
Merkels Manager
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Premier Li
mahnt,
Deutschland
müsse sich
weiter
öffnen
Berlin- Das Bundesverteidigungsminis-
teriumwill entschiedener gegen rechtsex-
treme Soldaten vorgehen und deswegen
den Militärgeheimdienst MAD grundle-
gend umstrukturieren. Wie der „Spiegel“
am Freitag vorab berichtete, wird im
Herbst mit dem bisherigen Leiter der
Spionageabwehr beim Bundesamt für
Verfassungsschutz, Burkhard Even, erst-
mals ein zweiter ziviler Vizepräsident
beim MAD installiert. Er soll nur für die
Extremismusabwehr zuständig sein.
Even solledenMilitärischen Abschirm-
dienst (MAD) nicht nur schlagkräftiger
beim Vorgehen gegen rechtsextreme Sol-
daten machen, sondern vor allem die Ko-
operation mit dem Verfassungsschutz
stärken. Evens neuer Posten ist dem Be-
richt zufolge nur ein Teil der Umstruktu-
rierungdes MAD,auch unterhalb derLei-
tung wird der Dienst umgebaut.
Gabes bisher beimMAD einen militäri-
schen Zuständigen sowohl für die Extre-
mismus- als auch für die Spionageab-
wehr, entstehen nun zwei getrennte und
von zivilen Beamten geführte Abteilun-
gen, wie der „Spiegel“ weiter berichtete.
Im Verteidigungsministerium ist dem-
nach eine Koordinierungsstelle für den
MAD geplant, die auch einzelne Ver-
dachtsfälle verfolgen und regelmäßig an
die Leitung berichten soll.
Daneben soll dem Bericht zufolge
beimMADeine eigenständigeTechnikab-
teilung entstehen, damit der Dienst
schneller als bisher bei Verdachtsfällen
auch nachrichtendienstliche Mittel ein-
setzen kann.
Mit der Neuaufstellung des Militärge-
heimdienstes reagiert das Ministerium
auch auf die Kritik eines Sonderermitt-
lers, der für das Parlamentarische Kon-
trollgremium des Bundestags Dutzende
MAD-Operationen der vergangenen
Jahreüberprüft hatte.In einemZwischen-
fazit berichtete der Sonderermittler dem
geheim tagenden Kontrollgremium für
die Geheimdienste im Juli von systemi-
schen Mängeln beim MAD. So habe der
Geheimdienst in den vergangenen Jahren
bei Ermittlungen gegen rechtsextreme
Soldaten zu lasch agiert und nicht mit
dem Verfassungsschutz kooperiert. AFP
SONNABEND, 7. SEPTEMBER 2019 / NR. 23 938 POLITIK DER TAGESSPIEGEL 5
Werben statt streiten
Angela Merkels Besuch in China beginnt auffallend freundlich. Das Thema Hongkong spielt nur eine Nebenrolle
MAD stärkt
Abwehr von
Extremisten
Sitzen geblieben.Beim Abspielen der Nationalhymnen darf Angela Merkel auf das Stehen
verzichten. Li Keqiang stand beim Erklingen der chinesischen Hymne auf. Foto: M. Kappeler/dpa
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