ALLES BIO, ODER WAS?Man wird sagen dür-
fen, dass das Etikett, hinter dem sich doch an-
geblich nur Gutes verbirgt, langsam von sei-
nem eigenen Erfolg zerstört wird. Die Indus-
triehat sichdas Themazu eigengemacht, und
nun ist praktisch alles bio, was nicht irgend-
wie chemisch leuchtet, ohne dass dabei ein
schmeckbarer Mehrwert herauskäme – von
dennur minimalverbessertenHaltungsbedin-
gungen für die Tiere gar nicht zu reden. Sol-
che Überlegungen waren auch der Grund für
Frank Lüske, den immerhin über Jahre populär
gewordenen Namen seines Lichterfelder Un-
ternehmens zu ändern: AusBiolüske wird
demnächstLüske – echte Lebensmittel. Als er
vor 15 Jahren den Laden in einem stillgeleg-
ten Kino eröffnete, war er ein Pionier, lange
bevor die großen Bio-Ketten die Stadt in Be-
sitz nahmen. Mit dem alten Namen, sagt
Lüske, „werden wir als einer von diesen Tau-
senden filialisierten neuen Biomärkten oder
als Teil einer groß gewordenen Industrie
wahrgenommen, das ist nicht unser An-
spruch“. Er stehe für Esskultur und Lebens-
freude, nicht für „Hauptsache Bio, der Rest ist
egal“. Viele, wenn nicht sogar die besten Kö-
che, sehen das ähnlich: Wofür die aufwendige
Zertifizierung des Restaurants, wenn dann
die besten Grundprodukte gar kein Bio-Siegel
tragen?
***
GANZ UND GAR NICHT BIOist die weltbe-
kannte braune Brause – woraus nicht automa-
tisch im Umkehrschluss folgt, dass sie gut ist.
Immerhin haben sich namhafte Köche (die sie
oft ganz gern trinken) zur Teilnahme amCoke
Food Festivalüberreden lassen, das am heuti-
gen Sonnabend und am Sonntag in der „Alten
Münze“ stattfindet. Das kulinarische Pro-
gramm ist nicht uninteressant, es gibt aller-
hand Szene-Gerichte, zu denen man auch stil-
sicherer Craft-Bier trinken könnte, aber so
bleibt wenigstens der Kopf klar... Mit dabei
sind zum Beispiel „Brasserie Colette“, „Layla“
und „Chutnify“ aus Berlin, dazu andere deut-
sche Betriebe wie der bekannte Hamburger
Sushi-Spezialist „Yoshi im Alsterhaus“.
***
KEIN BIO, ABER ERFOLGREICH. Das Restau-
rantOsmans Töchterin Prenzlauer Berg, Pio-
nier der modernen Nahost-Küche, expandiert
nach Westen.Arzu BulutundLale Yanik, eben
die „Töchter“, setzen auf den Trend und ver-
suchen nun, demnächst auch am stark ange-
sagten SavignyplatzmitTouristen undsolven-
ten Nachbarn ins Geschäft zu kommen. Es
scheint langsam, als sei der City-West-Hype
doch eine ernst zu nehmende Entwicklung.
Die Neulinge „The Catch“, „Christopher’s“,
die verschiedenen Betriebe von The Duc
Ngo, die großartige „Osteria Centrale“ – jeder
kennt dort was und schätzt es auch.
GUT ESSEN, TRINKEN & KOCHEN IN BERLIN
TischGESPRÄCH
Es ist angerichtet:
Vier Seiten für Genießer.
Diesmal stoßen wir in
der Galerie an – auf die
Völkerverständigung
MEHR GENUSS
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Bier bildet
A
n diesem Kunstwerk geht man
leicht vorbei. Gleich links am
Eingang der Galerie König steht
ein Getränkeautomat, wie man
ihn von Bahnhofsgleisen kennt. Die Aus-
wahlistüberschaubar:eineSorteBier,ein
ziemlich dunkles Amber Ale. Das habe
farbliche Gründe, erklärt Emeka Ogboh,
Künstler, Bierliebhaber, Hobbybrauer.
„EsgehtjaumMelanin.“WasOgbohmacht,istsoetwaswie
gehopfte Konzeptkunst. Der gebürtige Nigerianer, der seit
2010 in Berlin lebt und arbeitet, erzählt Migrationsge-
schichten zwischenAfrikaund Europa.Oft mitBier.
Für die letzte Documenta füllte er 50000 Flaschen eines
tiefschwarzen Imperial Stout ab, das er „Sufferhead“
taufte. Für die Rezeptur befragte er Afrikaner in Kassel,
welchen Geschmack sie an ihrer Heimat vermissten. Weil
viele aus Somalia und Eritrea stammen, nannten sie eher
süße Aromen. Also braute er das Bier mit Honig. „Things
Fall Apart“heißt dasBier,das jetzt in derGalerie Königfür
drei Euro die Flasche zu kaufen ist und das er mit den
Craftbrauern von „Brlo“ angesetzt hat. Es ist mit Sorghum
gebraut, einer in Westafrika weitverbrei-
teten Hirse, sowie französischem Hop-
fen. Und es hat Holznoten.
Es soll – in flüssiger Form – die Ge-
schichte eines berühmten Bildes erzäh-
len, das in verfremdeter Form ebenfalls in
der Ausstellung zu sehen ist: das „Floß
der Medusa“ von Théodore Géricault.
Das Gemälde zeigt ein vor dem Senegal
sinkendes Floß. Das Bild war ein Skandal, als es 1819 der
Öffentlichkeit präsentiert wurde, zeugte es doch von der
Brutalität des Kolonialismus.
Ogbohs Bier darf in Deutschland nicht Bier heißen. So
will es das Reinheitsgebot. Das, findet er, erzähle in sei-
nem strengen Purismus einiges über seine Wahlheimat
und Europa und über deren Haltung zur Migration. Des-
halb mag er Craftbier, es gebe ihm Raum zum Experimen-
tieren. Da dürfen sich die Dinge mischen. Bier ist nur der
Anfang, es soll das Gespräch eröffnen. Das geht gemein-
hin leichter mit einem Bier in der Hand. Felix Denk
— siehe auch Interview „Mundpropaganda“, letzte Seite
Fotos: Osmans Töchter / promo; Bio Lüske / promo; Wikipedia; Heidi Specker / promo. Illustration: Sonja Röhrig
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SONNABEND, 7. SEPTEMBER 2019
GENUSS.TAGESSPIEGEL.DE
Das Bio-Label hat sich totgesiegt,
es steht für fast gar nichts mehr.
Bernd Matthies erklärt, warum
ein erfolgreicher Händler aus
Lichterfelde deshalb sogar den
Namen seines Geschäfts ändert –
und wer sonst noch was vorhat
Künstler Emeka Ogboh hat
mit „Brlo“ ein Bier gebraut,
das in derGALERIE KÖNIG
zu sehen und zu trinken ist.
Am 12. September gibt es
dort zur „Art Week“ einen
Pop-up-Biergarten. Kreuzberg,
Alexandrinenstr. 118–121
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