Samstag, 7. September 2019 SCHWEIZ 13
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Den Expertenfehlt es imSchlussbericht
zur administrativen VersorgunganMut SEITE 14
Obwohl der Staat sie unterstützensollte, ist es
für viele Behinderte schwierig, allein zuleben SEITE 15
Wenn die Mutter für die Tochter haftet
Beim anstehenden Entscheid des Ständerats zum Umgang mit der Konzernin itiative könnte es auf jede einzelne Stimmeankommen
HANSUELI SCHÖCHLI
Sollen SchweizerKonzerne auch im
Ausland internationale Umwelt- und
Menschenrechtsstandards einhalten?
Viele Bürger dürften dieseFrage sofort
bejahen.Das ist der politische Charme
der Volksinitiative zur Konzernver-
antwortung. Doch die Initiative hat
auch weniger charmanten Inhalt. Sol-
len Schweizer Richter nach Schwei-
zer Recht imperial überVorgänge in
weit entferntenLändern urteilen? Sol-
len SchweizerKonzerne auch Liefe-
ranten undKunden überwachen müs-
sen? Die Antworten auf solcheFragen
dürften für manche Bürger weit weni-
ger klar sein.
DemParlament ist die Initiative zu
extrem. Wirtschaftsverbände wieSwiss
Holdings und Economiesuisse weisen
warnend darauf hin, dass eine von inter-
nationalenAnwaltskanzleien und Nicht-
regierungsorganisationen angetriebene
Klagewelle auf die Schweiz zukäme.
Doch die Idee einesrelativ weitgehen-
den Gegenvorschlags geniesst erheb-
liche Unterstützung, weil manchePoli-
tiker der Initiative Chancen zubilligen
und dieWarnungen aus derWirtschaft
als übertrieben erachten.
Das zweite Nein wäreendgültig
Der Nationalrat hatte 2018 einen Gegen-
vorschlag angenommen, der etwa 70 bis
80 Prozent der Initiative übernimmt und
zum Rückzug der Initiative führen würde.
Die Kernforderungen der Initiative
kamen in dieVorlage:die direkte Haftung
für SchweizerKonzerne nach Schweizer
Recht auchfür Verstösse von ausländi-
schenTöchtern gegen Umwelt- und Men-
sche nrechtsstandards sowie weitgehende
Konzern-Sorgfaltsprüfungspflichten, die
auch Lieferanten undKunden umfassen.
Der Ständerat lehnte diesenFrüh-
ling eine ähnliche Vorlage seiner
Rechtskommission nur knapp ab (
zu 20 Stimmen). In der zweiten Lesung
geht es ums Lebendige. Der Nationalrat
hielt an seinem Grundkurs fest, doch
der Ständeratkönnte in der am Mon-
tag beginnenden Septembersession
mit einem zweiten «Nein» dasKon-
strukt definitiv versenken.Dann käme
es wohl 2020 zum Urnengang über die
Volksinitiative.
Scheitert der diskutierteVorschlag
im Parlament, willder Bundesrat eine
weniger weitgehendeVorlage bringen,
die nach EU-Muster fürFirmen mit
über 500 Angestellten Berichterstat-
tungspflichten unter anderem inSachen
Umwelt und Menschenrechte enthält;
nicht vorgesehen wären spezifische
Haftungsregeln und breite Pflichten
zur Sorgfaltsprüfung. Die grossenWirt-
schaftsverbändekönnten mit einem sol-
chenVorschlag gut leben.Kritisch äus-
sert sich dagegen der Bündner CVP-
Ständerat Stefan Engler, der für einen
weitgehenden Gegenvorschlag kämpft.
Die Idee desBundesrats entspre che
einem «minimalen europäischen Stan-
dard» und trage das Risiko, dass sie in
fünf Jahren durch die Entwicklung in
den umliegenden europäischenLändern
schon wieder überholt sei.
Die Rechtskommission des Stände-
rats versuchte dieseWoche, den Gegen-
vorschlag noch etwas «wirtschaftsver-
träglicher» zu machen.So ist nun im
Gesetzesentwurf ausdrücklich ausge-
schlossen, dassKonzernefür Verfeh-
lungen von Dritten haften.Die auffäl-
ligste Änderung betrifft dieVorgabe,
dass Geschädigte zuerst eine Bundes-
schlichtungsbehörde anrufen müssen,
bevor sie in der Schweizvor Gericht
gehen.
Die Zwischenschaltung einer
Schlichtungsstelle soll die Risiken von
SchweizerKonzernen durch PR-getrie-
bene Klagenreduzieren. Die Idee war
Bestandteil eines Gutachtens des Zür-
cher Oberrichters Alexander Brun-
ner imAuftrag der Migros von die-
sem Frühjahr. Die Schweizer Zivilpro-
zessordnungkennt bereits das Prinzip
des Schlichtungsversuchs,doch die eta-
blierten kantonalen Schlichtungsstellen
wären laut Brunner für internationale
Konzernhaftungsfälle wenig geeignet.
Auch eine Bundesstelle für interna-
tionaleFälle gibt es bereits. Diese Stelle
nennt sich Nationaler Kontaktpunkt
und ist beim Staatssekretariat fürWirt-
schaft (Seco) angesiedelt. Die Stelle soll
die Umsetzung der vom globalenLän-
derverein OECDaufgestellten Leit-
sätze für multinationale Unternehmen
fördern.Im Sinn der OECD-Leitlinien
sucht diese Stelle aber nicht nach «Schul-
digen», sondern amtet alsVermittlerin
bei der Lösungssuche. Ein OECD-Be-
richt von 2017 gab der SchweizerVer-
mittlungsstelle passable Noten.
Seit Gründung der Stelle imJahr
2000 gab es laut dem Bericht (bis 2017)
insgesamt17 Gesuche fürVermittlun-
gen, wovon die Stelle 11 akzeptiert
habe. Involviert waren auf «Firmen-
seite» unter anderem Nestlé, Holcim,
Glencore und dieFifa.
Viel Arbeit für Lobbyisten
Die Ständeratskommission will das
neue Schlichtungsverfahren für inter-
nationaleKonzernfälle beim Nationa-
len Kontaktpunkt ansiedeln.Laut dem
Wirtschaftsverband Economiesuisse
würde dies aber zur «schädlichenVer-
rechtlichung des bewährten lösungs-
orientiertenVerfahrens vor dem Natio-
nalenKontaktpunkt» führen.
Der Ständeratskommissionscheint
für diese Bundesstelle ein Zweikammer-
sys tem vorzuschweben, mit getrenntem
Personal für die bisherigenVermitt-
lungsverfahren und die neuen Schlich-
tun gen. Die Organisation soll zudem
«unabhängig» sein, wie etwa dieWett-
bewerbskommission.Damit wäre die
Stelle vomSeco abzutrennen.«Unab-
hängigkeit» klingt zwargut; ein mög-
licher Preis wäre aber eine grössere
Hemmung vonFirmen,an traditionellen
Vermittlungsverfahren teilzunehmen.
Der Ständerat soll am 26. Septem-
ber über das Schicksal des Gegenvor-
schlags entscheiden. Eskönnte auf jede
einzelne Stimme ankommen. Die Lob-
byisten hüben wie drüben haben des-
halb in denkommendenWochen noch
viel Arbeit vor sich.
SchweizerKonzerne sollen laut InitiativeauchimAuslandfür faire Arbeitsbedingungen haften. ANDREW CABALLERO-REYNOLDS/BLOOMBERG
Keine Angst vor den Rottweilern
Vor 500 Jahre n schlossen die Schweiz und Rottweil den «Ewigen Bund» – Delegierte reisen zum Jubiläumin die Kleinstadt
JÖRGKRUMMENACHER
Er gilt als treu, wachsam und unerschro-
cken : der Rottweiler.Doch derRuf dieser
Hunderasse ist trotzdem nicht der beste:
Rottweiler gehören zu jenen Hunden,
die gelegentlich beissen und deren Hal-
tung in manchen Kantonen der Schweiz
bewilligungspflichtigoderverboten ist.
Die Hunderasse kam wohl zu Zeiten des
RömischenReichs nachRottweil,das da-
mals Arae Flaviae hiess: die älteste Stadt
auf dem Gebiet des heutigenBaden-
Württemberg. Als treu und unerschro-
cken galten dann im Mittelalter auch die
Mannsbilder ausRottweil, erfahren zu-
dem im Armbrust- und Büchsenschies-
sen. Die Eidgenossen hatten dennoch
keine Angst vor ihnen,sondern fanden
sich mit ihnen zu einem engen Bündnis.
1463 wurdeRottweil zunächst proviso-
risch ein zugewandter Ort der Eidgenos-
senschaft,im Jahr 1519 schloss man dann
ein Bündnis auf ewige Zeiten. Bis heute
ist es nicht aufgekündigt.
Treue, Liebe undFreundschaft
An diesemWochenendereisen deshalb
Delegationen aus der halben Schweiz in
die schmucke Kleinstadt, die 50 Kilo-
meter von derLandesgrenze an der
Bahnstrecke Zürich–Stuttgart liegt und
gut 25 000 Einwohner zählt. Zürich
schickt die Stadträte Daniel Leupi und
Michael Baumer, Basel-Stadt seine
Regierungspräsidentin ElisabethAcker-
mann,Glarus denLandammannAndrea
Bettiga, hinzukommen Stadt- und Ge-
meindepräsidenten sowie Stadträte
aus allerhand Orten, auch der Schwei-
zer Botschafter in Deutschland,Paul
R. Seger, reist zu denRottweilern. Ge-
meinsam feiern sie imRahmen eines
Stadtfests den seit 500Jahren währen-
den Ewigen Bund.Rottweil ist beinah
ein Unikum: Neben Mülhausen istes der
einzige den Eidgenossen zugewandte
Ort, der heute nicht zur Schweiz gehört.
Im September1519 hatten 12 der da-
mals 13 Orte der Eidgenossenschaft das
Bündnis mitRottweil besiegelt: Zürich,
Bern,Luzern,Uri,Schwyz,Unterwalden,
Zug, Glarus, Freiburg, Solothurn,Schaff-
hausen undAppenzell.An der Urkunde,
die im Rottweiler Stadtarchiv einen
Ehrenplatz hat, fehlt das Siegel von
Basel, das imVertragstext zwar eben-
falls als Bündnispartner genannt wird,
die Urkunde aber wegen des damals in
Rottweil residierenden kaiserlichen Hof-
gerichts nichtratifizieren wollte.
Die Bündnispartner schworen nichts
Geringeres als «trüw, liebe und fründt-
schafft» und verpflichteten sich zu
gegenseitiger Hilfe bei kriegerischen
Auseinandersetzungen. So hatten die
Rottweiler bereits1476 den Eidgenos-
sen geholfen, in der Schlacht bei Mur-
ten den burgundischen Herzog Karl den
Kühnen zu besiegen, und waren 1515 mit
ihnen bei Marignano untergegangen.
Städtepartnerschaft mit Brugg
Das Bündnis ist bei all denVerwerfun-
gen der letzten fünfJahrhunderte leben-
dig geblieben.«Wir f ühlen uns immer
no ch ein wenig als Neckarschweizer»,
sagt RottweilsKulturamtsleiter Marco
Schaffert. Zeugnis davon gibt etwa der
Marktbrunnen mitten im Ort, an dem
der EwigeBund einst beeidet wurde und
auf dem ein SchweizerFähnrich thront.
Der Bedeutung des Anlasses entspre-
chend hat auch Ueli Maurer eine bun-
despräsidiale Grussbotschaft für die ex-
tra aufgelegteFestschrift verfasst. Mau-
rer würdigt darin, wie aus dem einstigen
militärischen Unterfangen eine Nähe
entstanden sei, «die sich seit Generatio-
nen inFreundschaft,regem Austausch
und gegenseitiger Hilfe zeigt».
Besonders eng sind dieBande zwi-
schenRottweil und Brugg. 1913 grün-
deten die beiden Orte im Gefolge des
Ewigen Bundes eine Partnerschaft.
Vom einstigenrömischen Legionslager
Vindonissa aufdem Gebiet des heu-
tigen Brugg war die GründungRott-
weils ausgegangen.Regelmässig besu-
chen sich heute Delegationen aus den
beiden Städten, sei es zumJugendfest
in Brugg oder zurFasnacht inRottweil.
Alternierend führen die beiden Orte
das Deutsch-SchweizerAutorentreffen
in Rottweil und die Brugger Literatur-
tage durch. In der einen Stadt gibt es
den Verein BruggerFreunde vonRott-
weil, in der anderen denFreundeskreis
RottweilerFreunde von Brugg.
Dass dieVersprechungen gegenseiti-
ger Hilfekeine leerenWorte sind,hat
sich im letztenJahrhundert gezeigt. So
habe Brugg nach dem ErstenWeltkrieg
die notleidende Bevölkerung vonRott-
weil mit Lebensmitteln und Geldspen-
den unterstützt, erzähltMarco Schaffert.
Nach dem ZweitenWeltkrieg hätten die
Brugger Kleider gespendet und Schul-
speisungen für unterernährte Kinder
durchgeführt.Die Rottweiler bedankten
sich anschliessend zuWeihnachten mit
der Lieferung von500Christbäumen.
STÄNDERAT
DANIELJOSITSCH
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Füralles,wasRechtund
gerechtist.
HerzlichenDankfür
IhrrreeeSSStttiiimmmmmmeee.