Neue Zürcher Zeitung - 07.09.2019

(Ron) #1

Samstag, 7. September 2019 ZÜRICH UNDREGION 19


Volles Engagement für Zeugen der Zürcher Baukunst


Barbara Truog, die dem Stadtzürcher Heimatschutz als Präsidentin ein neue s, kämpferisches Gesicht gege ben hat, ist tot


ADI KÄLIN


Wenn der Zürcher Stadtrat an Medien-
konferenzen neueBauprojekte vorstellt,
sind kritischeFragen vonJournalistinnen
und Journalisten eher dieAusnahme.
Man will zurück auf dieRedaktion, um
möglichstrasch einenText abliefern zu
können;zudem drängen dieKollegen
der Radios auf persönliche Interviews
mit den anwesenden Behördenmitglie-
dern. In solchen Momenten trat gern
BarbaraTruog, die Präsidentin des Zür-
cher Heimatschutzes, auf den Plan. Sie
war in derRegel besserinformiert und
besservorbereitet als die gesamteJour-
nalistenschar und stellte die entschei-
dendeFrage, die denzuständigen Stadt-
rat nicht selten insTrudeln brachte.


Einanderer Heimatschutz


Jüngst etwa war dies derFall, als das
Projekt für eine neue Gemüsebrücke
vorgestellt wurde. Die Medienvertre-
ter waren begeistert und ziemlich ruhig,
währendBarbara Truog darauf aufmerk-
sam machte, dass die vorgeschlagene Be-
leuchtung mit Seilzügen hochrangige
Schutzobjekte wie dasRathaus oder das
ehemalige Hotel Schwert tangiere.Wenn
ihr dieAntwort von Behördenseite nicht
genügte, stiess sie gern nochmals nach
oder «bearbeitete» dieJournalisten nach
der Veranstaltung auch persönlich.
BarbaraTruog hat dem Stadtzürcher
Heimatschutz ein neues Gesicht ge-
geben. Als sie 2011 das Amtantrat, war
das auch imTonfall sofort hörbar. Man
spürte, dass die ausgebildeteJuristinals
Er wachsenenbildnerin gearbeitet hatte:
Sie ging auf die Leute zu,konnte über-
zeugen, Kompromisse schmieden. In
ihrem erstenJahresbericht wurde nicht
mehr über verpasste Chancen gejam-
mert, sondern unter den Überschriften


«DieRosinen» und «DieWermutstrop-
fen» einigermassen trocken, aber mit
Augenzwinkern bilanziert, was besser
und was schlechter gelaufen war. 2015
wurdeBarbaraTruog zusätzlichVizeprä-
sidentin des kantonalen Heimatschutzes.
Sei t Jahren wird in Zürich wieder ge-
baut wie in den intensivstenPerioden
der Stadtgeschichte. Das bringt es mit
sich, dass der Druck auf die bestehen-

den Gebäude zunimmt – auch auf alt-
ehrwürdige Genossenschaftsbauten.
BarbaraTruog hat es geschmerzt, dass
die beiden Blockrandbauten entlang
der Seebahnstrasse aus dem Inventar
schützenswerterBauten entlassen wur-
den und juristisch nichts mehr dagegen
unternommen werdenkonnte.
Sie hatte sich intensiv mit denBauten
befasst–u nd die Erkenntnisse im Neu-

jahrsblatt des Heimatschutzes 2013 ver-
öffentlicht. Diese Neujahrsblätter waren
BarbaraTruog ein besonderes Anlie-
gen. Sie wandte dafür viel Zeitauf und
liess ihr juristisches und kunsthistori-
schesFachwissen einfliessen. Sie beauf-
tragte überdiesFachleute aus Architek-
tur undKunstgeschichte, sich zu einzel-
nen Fragen zu äusseren,und schuf damit
ansprechende Publikationen zu wichti-

gen städtischenBauten und Siedlungen.
Die letzte dieser Publikationen war der
GartenstadtFriesenberggewidmet, wo
ja immer noch der Abbruch der ers-
ten Bauetappen derFamilienheim-Ge-
nossenschaft droht. Anders als bei den
Bautenan der Seebahnstrassekonnte
der städtische Heimatschutz in diesem
Fall einenEtappensiegverbuchen.Das
letzteWort hat nun das Bundesgericht.
Erfolgreich aus Sicht des Heimatschut-
zes war unter anderem das Eintreten für
den Schutz des Kinos Sternen in Oerli-
kon, zudem derVergleich mit der Stadt
bei derBau- und Zonenordnung, dank
dem zusätzliche Objekte inventarisiert
wurden, und dieVerhandlungen über
Anpassungen beim Hochschulgebiet.

Arbeit alskreativerAkt


Vor kurzem hatBarbar aTruog in einem
Porträt der NZZ erklärt, warum sie so
engagiert und kämpferisch auch über
ihr Pensionsalter hinaus arbeitet – und
sogar eher mehr tut als damals, als sie
noch im Schuldienst tätig war.Arbei-
ten sei für sie ein kreativer Akt, sagte
sie. «Ohne Arbeit würde ich krank wer-
den, ich muss meinenKopf benützen
können.» Nach ihrer Pensionierung
hatte sie sich deshalb am Institut für
Geschichte undTheorie der Architek-
tur eingeschrieben und einen Master of
Advanced Studieserworben. DasWis-
sen, das sie sich dort angeeignet hatte,
kam ihr in der täglichen Arbeit für den
Heimatschutz immer wieder zugute.
Gern hätte sie ihreFunktion weiter
ausgeübt.BarbaraTruog konnte sich
nicht vorstellen,bald mit derArbeit auf-
zuhö ren, wie sie im NZZ-Porträt sagte.
Doch ein schwerer Unfall in ihrerWoh-
nung hat ihre Pläne zunichtegemacht.
Sie starb am letzten Samstag, wie ihre
Familie mitgeteilt hat.

FDP und SVP wollen Entlastungspaket für Städte ausbremsen


Bürgerliche Parteien fürchten um den Steuerdeal, wenn die Ausgleichszahlungen bei den Sozialkosten in geplanter Höhe beschlos sen werden


MICHAELVON LEDEBUR


Es gibt bekanntlich Leute, die diePoli-
tik als dieKunst des Deals definieren. Es
gilt, das Gegenüber mit Druckversuchen
und Zugeständnissenauf Linie zu brin-
gen. Wer die Dinge so sieht, wird sich
über die Gesetzesänderung wundern,
über die der Kantonsrat am Montag be-
findet.Vom neuen Zusatzleistungsgesetz
würden die Gemeinden profitieren,allen
voran die Städte, die künftig weniger
Unterstützungsleistungen anPersonen
entrichten müssen, die im Alter auf Zu-
satzleistungen zur AHV oder IV ange-
wiesensind. Bisherbezahlte der Kanton
den Gemeinden 44 Prozentan dieseKos-
ten,künftig werden es 70 Prozent sein. Es
geht um enorme Summen. Die Gemein-
den werden um jährlich über200Millio-
nen Franken ent- und die Staatskasse mit
dem gleichen Betrag belastet. Die Chan-
cen auf eineAnnahme stehen gut.
Konzessionen müssen die Gemein-
den im Gegenzugkeine machen.Das ist
erstaunlich. Die Zusatzleistungen sind
nämlichTeil des Steuerdeals. Dass die


Senkung der Unternehmenssteuer von 8
auf 7 Prozent am vergangenen Sonntag
an der Urne bestand, hing mit den zu-
sti mmenden Empfehlungen der Städte
zusammen. Diese Zustimmung hatte
sich Finanzdirektor Ernst Stocker (svp.)
durch Zugeständnisse an die Städte ge-
sichert – unter anderem bezüglich Zu-
satzleistungen.

Anreiz für Städte verschwindet


Der Steuerdeal sah vor, dass der Kan-
ton seinenKostenanteil an den Zusatz-
leistungen von 44 auf 50 Prozent an-
hebt. Dies ist mit dem Urnenentscheid
bereits erfolgt. Geplant ist bekanntlich
eine zweite Senkung der Unternehmens-
steuer – von 7 auf 6 Prozent.Auch die-
ser zweite Schritt ist gemäss Steuerdeal
mit einer Gegenleistung zugunsten der
Städte verknüpft. Der Kantonsanteil an
den Zusatzleistungen sollte weiter stei-
gen, nämlichauf 53 Prozent.Wenn nun
aber im Zusatzleistungsgesetz der Kan-
tonsanteil bereits auf 70 Prozent steigt,
ist dasAngebot an die Städte nichts mehr

wert. Diese haben dann bereits mehr, als
ihnen geboten wird.
SVP und FDP versuchen, denKom-
missionsvorschlag im letztenMoment ab-
zuändern.Der Kantonsanteil sollvorerst
nur auf 60 Prozent steigen. Der Schritt
auf70Prozent soll an die Bedingung ge-
knüpft werden, dass die Unternehmens-
steuern erneut sinken.Das «Zücker-
chen» – wie bürgerlicheFinanzpolitiker
dies bezeichnen – will man erst geben,
wenn die zweite Senkung der Unterneh-
menssteuer erfolgt ist.
Doch FDP undSVP dürften imRat
scheitern. Es gibt Beobachter, die von
einem «Sargnagel» für die zweiteTran-
che sprechen, falls derKommissionsvor-
schlag durchkommt. Doch:Wie kam es
dazu, dass eine Kantonsratskommission
einenKompromiss von Kanton,Gemein-
den und Städten durchkreuzt?
Zusatzleistungen und Steuersenkung
hatten ursprünglich nichts miteinander
zu tun.Das neue Zusatzleistungsgesetz
basiert auf dem Gedanken , dass städtisch
geprägte Gemeinden ungerecht behan-
delt würden. Sie müssen deutlich mehr
Soziallasten schultern als ländliche Ge-
meinden.Vor fünfJahren reichte die Die-
tiker Kantonsrätin RosmarieJoss (sp.)
eine parlamentarische Initiative ein: Ein
Ausgleich sei einzurichten, wie es ihn bei-
spielsweiseauch für strukturschwache
ländliche Gemeinden gibt.
Die zuständigeKommission für Staat
und Gemeinden (StGK) fokussierte bei
der Umsetzung auf die Ergänzungsleis-
tungen und entschied sich für eine An-
hebung des Kantonsanteils.Abgesehen
von SVP und EDU erachten es dieFrak-
tionen alserwiesen,dass die Gemeinden
kaum Einfluss auf dasAusmass ihrer
jeweiligen Zusatzleistungen haben.Diese
Last gelte es auszugleichen. Nach zähem
Ringen einigte man sich auf einenKos-
tenschlüssel von 70 Prozent Kanton und
30 Prozent Gemeinden.

Dass dieser Vorschlag den Steuerdeal
konterkarieren würde, musste denKom-
missionsmitgliedern aber klar sein. Der
Steuerdeal zwischen Kanton, Städten
und Gemeinden wurde im Herbst 20 17
öffentlich vorgestellt – die StGK fällte
den Entscheid erst diesenFrühling. Die
Vorzüge derReform für die Gemeinden
gewichteten die Mitglieder offensichtlich
höher als dieGefahr für den Steuerdeal.
Auffällig ist, dass in der StGK vor
allem Gemeindevertreter sassen. Prä-
sidiert wurde sie vomVolketswiler Ge-
meindepräsidentenJean-Philippe Pinto
(cvp.). Er sagt, die Unternehmenssteuer-
senkung sei nur amRande Thema ge-
wesen.DieFrage stellt sich, weshalb die
FDP denKommissionsentscheid mitge-
tragen hat. Eine mögliche Erklärungist,
dass sich imFrühjahr dieKommunalpoli-
tiker inder Partei durchgesetzt haben,
dass nun aber die Sorge um denFinanz-
haushalt überwiegt. FDP-Fraktionsprä-
sidentin BeatrixFrey-Eigenmann ver-
neint:Man habe damals in derFraktion
diskutiert, ob man eineVerknüpfung der
Geschäfte, wie sie jetzt die FDP gemein-
sam mit derSVP fordert, formal in den
Kommissionsvorschlag aufnehmen solle.
Bei den damaligen Mehrheiten wäre dies
möglich gewesen.DieFraktion habe dies
aber nicht für nötig befunden. Man sei
davon ausgegangen, dass der Steuerdeal
so oder so gelte.

Schrittfür Schritt


ZweiFaktoren dürften die Meinungs-
bildung beeinflusst haben: Erstens sind
Vertreter der Städte am Abstimmungs-
sonntag auf Distanz zur zweitenTranche
gegangen.Zwar hat der ZürcherFinanz-
vorsteherDaniel Leupi (gp.) sich schon
zuvor entsprechend geäussert, aber an-
gesichts des knappenErgebnisses wurde
dies im bürgerlichenLager wohl als be-
drohlicher wahrgenommen als zuvor.

Zweitens hat sich dieFinanzlage im
Kanton eingetrübt, und die Anhebung
des Kantonsanteils beschneidet den
Gestaltungsspielraum.Beide Faktoren
dürften die zweiteTranche der Unter-
nehmenssteuersenkung erschweren.
Frey-Eigenmann betont, diePartei
stehe zum 70:30-Kompromiss. «Für uns
war aber die Zustimmung zur Unterneh-
menssteuerreform immerVoraussetzung


  • und zwar zu beidenTranchen.»Das
    Pfand dafür dürfe man nicht leichtfertig
    aus der Hand geben. Es sei bedauerlich,
    dass die GLP dafür nicht zu gewinnen sei.
    Michael Zeugin,Fraktionspräsident
    der GLP, sagt, mankönne nicht mitten
    im Spiel dieRegeln ändern. «Das wäre
    gegenüber den Städtenkein gutes Zei-
    chen.» Nach seinemVerständnis soll
    Schritt auf Schritt folgen: zunächst die
    erste Senkung der Unternehmenssteuer,
    dann eine Erhöhung des Kantonsanteils
    und schliesslich die zweiteTranche der
    Steuersenkung.All dies seiTeil desAgree-
    ments. Er sei zuversichtlich, dass sich alle
    Beteiligten daran hielten. Aber es gehe
    nicht nur umTaktik: Die Erhöhung des
    Kantonsanteils beende jahrelangeMiss-
    stände zulasten der Gemeinden.
    Eine spezielleRolle hat FDP-Kan-
    tonsrat Jörg Kündig inne.Als Präsi-
    dent des Gemeindepräsidentenver-
    bands unterstützt er denKommissions-
    vorschlag. DasArgument, man gebe ein
    Pfand aus der Hand, lässt er nicht gelten.
    Er glaubt auch nichtan einen Schaden.
    «Die Entlastung bei den Zusatzleistun-
    gen kommt den Gemeinden zugute und
    ist direkteFolge desregierungsrätlichen
    Gemeinde- und Wirksamkeitsberichts



  1. Entsprechend steigt die Bereit-
    schaft, der zweitenTranche der Unter-
    nehmenssteuerreform zuzustimmen.» Es
    ist die optimistische Sicht: Der Kanton
    gäbe demnachkein Pfandaus der Hand,
    sondern investierte in ein gutesVerhält-
    nis zu den Städten und Gemeinden.


Im Alter von 69Jahren istBarbaraTruog–aufgenommen imJuni 2019–anden Folgen eines Unfalls gestorben. ANNICK RAMP / NZZ

Lokalmarkt

Free download pdf