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der Elefant im Raum, ganz klar«, also das offensichtliche
Problem, über das nicht gesprochen wird.
In früheren Interviews hat Gladwell gesagt, dass er die De-
mokraten wählen würde, wenn er nicht Kanadier, sondern
US-Amerikaner und damit wahlberechtigt wäre. Jetzt sagt
er: »Ich bin kein typischer amerikanischer Demokrat, meine
Positionen sind querbeet verstreut. Wenn ich eine Liste ma-
chen würde, wären auch einige konservative Punkte dabei.
Ich glaube sehr an den freien Markt, ich bin auch religiöser
als viele Liberale. Es ist eine wilde Mischung.« Stimmt es,
dass er als Jugendlicher ein Poster von Ronald Reagan an
der Wand hatte? Er lacht. »Ja!« Das sei ein Akt von jugend-
licher Rebellion gewesen, im damals linksliberalen Kanada
habe man damit gut provozieren können.
Gibt es etwas, was er von heute aus betrachtet in seinem
Leben gerne anders gemacht hätte? Er überlegt nicht lan-
ge. »Ja. Ich habe zu viel Zeit in den USA verbracht. Ich
hätte woanders leben sollen, 1993 hätte ich Berlin-Korres-
pondent der Washington Post werden können, das hätte ich
machen sollen.« Er ging stattdessen nach New York. »New
York bringt dir nichts bei.« Ach ja? Sagt man nicht, dass
New Yorker auch deshalb so kreativ sind, so hart arbeiten,
weil das Leben dort so teuer, der Wettbewerb so extrem
ist? »Ich rede nur von mir. Ich brauchte keine zusätzliche
Motivation. Ambitioniert war ich auch schon so.«
Was ist seine Motivation? »Ich mag es, Geschichten zu
erzählen. So einfach ist das manchmal.« Zum ersten Mal
kichert er, leise, fast verlegen.
Hat der Geschichtenerzähler Gladwell jemals darüber
nachgedacht, einen Roman zu schreiben? An dieser Stelle
macht Gladwell eine lange Pause, vier, fünf Sekunden.
»Ja«, sagt er schließlich, »ich will eines Tages einen Thriller
schreiben. Ich habe Hunderte von Thrillern in meinem Le-
ben gelesen! Damit kenne ich mich wirklich aus.« Wer sind
seine Favoriten? »Die offensichtlichste Antwort ist John le
Carré. Lee Child ist auch sehr gut, ebenso Stephen Hunter.«
In einem früheren Gespräch hat Gladwell erzählt, dass er
in seiner Jugend viel Agatha Christie gelesen habe. »Das
stimmt. Es waren wahrscheinlich über 30 Agatha-Christie-
Krimis. Meine Mutter hat sie gelesen, und ich habe mit-
gelesen.« Agatha Christie ist für ihre überraschenden Wen-
dungen bekannt – schreibt er auf gewisse Weise nicht so
auch seine Bücher? »Ja, das kommt daher. Heute weiß ich,
warum mich diese Bücher als Kind so angezogen haben: Es
geht um Geschwindigkeit.« Geschwindigkeit? »Wann und
wie teilt man seine Informationen mit dem Leser? Wenn
Thriller scheitern, liegt es oft daran, dass sie zu lange viel zu
viel Informationen zurückhalten. Auf den letzten 20 Seiten
muss dann plötzlich alles ganz schnell passieren.« Jetzt kann
man dem Autor Malcolm Gladwell dabei zuhören, wie er
seine Geschichten konstruiert: »Die Informationen dürfen
nicht auf einmal in den Mund des Lesers gestopft werden,
sie sollten hineinfließen. Die Geschichte muss gleichzeitig
überraschend und doch nachvollziehbar erzählt werden, es
darf nichts einfach nur aus heiterem Himmel passieren.
Die Überraschungen müssen früh in der Geschichte gesät
werden, wie eine Pflanze, die beim Lesen wächst.«
Was unterscheidet den Malcolm Gladwell von heute von
dem jungen Autor, der noch nicht berühmt war? »Ich ar-
beite heute mehr, viel mehr«, sagt er. »Vielleicht liegt es am
Alter. Früher war ich auch mehr unter anderen Menschen,
vielleicht war ich auch lustiger. Ich bin introvertierter und
ernsthafter geworden, ich bin viel mehr der Typ Streber, als
ich es früher je war.« Er lebt allein? »Ich habe eine Freundin,
die ich viel sehe, aber, ja, ich lebe allein.« Sein ganzes Leben
schon? »Ja, bis auf ein paar kurze Unterbrechungen. Ich
gehöre nicht zu den Menschen, die verzweifeln, wenn sie
allein sind. Ich bin dann ziemlich glücklich.«
Ein paar Tage nach unserer Begegnung, eine Mail an
Malcolm Gladwell: »Könnten Sie den Kontakt zu Ihrem
Freund Charles Randolph herstellen?« Kurz darauf eine
Mail von ihm: »Charles, meet Christoph, a writer from Ber-
lin. Er schreibt ein Stück zu Talking to Strangers, er würde
gerne mit dir korrespondieren.« Charles Randolph, der
Hollywood-Drehbuchautor, antwortet rasch. Er sei gerade
auf einem Filmset und ziemlich beschäftigt, werde aber alle
Fragen so schnell es geht beantworten.
Wie er seinen Freund jemandem beschreiben würde, der
noch nie von ihm gehört hat? »Einem oder einer Deutschen
würde ich sagen: Stellen Sie sich einen spindeldürren kana-
dischen Karl Kraus vor, gerade weil man sich diese Kombi-
nation aus Kanada und Karl Kraus kaum vorstellen kann.«
Gladwell liebe Ideen: »Mal«, so nennt er seinen Freund, »ist
ein Läufer. Er liebt 15-Kilometer-Läufe, ganz allein, ohne
Kopfhörer, bei sich und seinen Gedanken.« Es erstaune ihn
immer wieder, wie sein Freund mit Kritik umgehe, selbst
wenn jemand wie der bekannte Psychologe Steven Pinker
ihn dafür kritisiere, nicht originell genug zu sein: »Mal sagt
dann, dass Pinker schlau sei, dass er halt das Buch habe
rezensieren müssen, man soll ihn deshalb nicht grundsätz-
lich verurteilen.« Als Freund scheue Gladwell nicht davor
zurück, andere zu unterstützen, »still und leise hilft er mit
Baudarlehen aus«. Bitte man ihn um ein Empfehlungs-
schreiben für die Bewerbung auf eine Elite-Universität,
bekomme man erst einen Vortrag darüber zu hören, dass
Elite-Universitäten ganz allgemein eine schlechte Erfindung
seien – und anschließend das Empfehlungsschreiben.
Und dann, mitten in einem ausführlichen Absatz über die
Charaktereigenschaften seines Freundes, bestätigt Charles
Randolph die These von Malcolm Gladwell, dass man sei-
nen guten Freund befragen solle, wenn man wirklich wis-
sen wolle, wer er sei. Denn der Autor, der in seinem neuen
Buch vor all den Schwierigkeiten und Missverständnissen
warnt, die entstehen können, wenn sich Fremde begegnen,
der Mann, der die Lektüre eines Buchs von jemandem
immer dem persönlichen Treffen mit der Person vorziehen
würde, hat dafür auch einen persönlichen Grund. Man sol-
le sich nicht wundern, schreibt Charles Randolph in seiner
Mail, wenn Malcolm Gladwell einen bei einem Treffen
nicht sofort erkenne: »Er ist gesichtsblind.«
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