Die Zeit - 12.09.2019

(singke) #1

Haushalt: Welchen Preis hat die schwarze Null?


Wenn sich SPD und Union in einer Frage einig
sind, dann in dieser: Die schwarze Null muss ste-
hen. Das Ziel eines ausgeglichenen Staatshaus-
halts steht im Koalitionsvertrag, die Kanzlerin
und ihr Finanzminister haben es in dieser Woche
anlässlich der Vorstellung des Haushalts für das
kommende Jahr noch einmal bekräftigt.
Das müssen sie streng genommen eigentlich
nicht tun. Die schwarze Null steht nicht im Ge-
setzesblatt, sie ist auch unter Ökonomen umstrit-
ten. Die Befürworter sagen, sie sorge für solide
Staatsfinanzen. Die Gegner sagen, sie verhindere
wichtige Zukunftsinvestitionen, zum Beispiel für
die Bildung. Das Lager der Befürworter wird im
Moment mit jedem Tag kleiner – und das der
Gegner größer. Selbst führende Wirtschaftsver-
treter fordern die Regierung inzwischen auf, mehr
Geld auszugeben.
Aus Sicht der Koalition ist die schwarze Null
aber kein ökonomisches, sondern ein politisches


Projekt. Das räumen die Beteiligten sogar ein:
Peter Ramsauer von der CSU bezeichnet sie als
»wichtiges identitätsstiftendes Merkmal« für die
Union. Und der Sozialdemokrat Olaf Scholz
muss fürchten, dass es einmal mehr heißt, die
Sozen könnten nicht mit Geld umgehen, wenn
er das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zur
Disposition stellt. Man könnte es auch so sagen:
Wenn die schwarze Null fällt, dann fällt womög-
lich diese Koalition.
Es gibt da nur ein Problem: Die Verteidigungs-
ministerin will mehr Geld für die Verteidigung,
der Entwicklungshilfeminister mehr Geld für die
Entwicklungshilfe, der Gesundheitsminister mehr
Geld für die Gesundheit. Und dann soll auch
noch das Klima besser geschützt werden, was
ebenfalls den Etat belastet.
Scholz hat einen Haushalt vorgelegt, der zu-
nächst einmal ohne neue Schulden auskommt.
Aber es ist unklar, ob das Problem damit gelöst

ist. Im Frühjahr ist die Wirtschaftsleistung bereits
geschrumpft, und vieles deutet darauf hin, dass
eine Erholung vorerst nicht in Sicht ist. Damit
sinken auch die Steuereinnahmen. Der Staat
nimmt also künftig weniger Geld ein, die Regie-
rung will aber mehr Geld ausgeben.
Wie soll das gehen?
Einen Ausweg aus dem Dilemma hat Bundes-
wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in die-
ser Woche aufgezeigt. Er will eine Stiftung für den
Klimaschutz einrichten. Diese Stiftung würde
dann Klimaschutzprojekte finanzieren. Das dafür
nötige Geld würde sie sich bei privaten Geldanle-
gern leihen – und damit sich auch genug Anleger
finden, würden die Zinszahlungen an die Geld-
geber staatlich bezuschusst.
Der Clou: Die Schulden der Stiftung erschei-
nen nicht in der offiziellen Schuldenstatistik. Sie
werden einfach woanders geparkt. Der Ansatz
könnte Schule machen. In der Regierung kursie-

ren bereits Ideen, wie über die Stiftung des Wirt-
schaftsministers hinaus zusätzliches Kapital mobi-
lisiert werden kann, ohne die schwarze Null auf-
geben zu müssen oder gegen die Schuldenbremse
im Grundgesetz zu verstoßen. Diese erlaubt ledig-
lich eine Neuverschuldung von fünf Milliarden
Euro im nächsten Jahr.
Eine Idee: Der Bund könnte eine Investitions-
agentur einrichten, die anstelle des Staates Kredite
aufnimmt und damit Investitionen tätigt. Diese
Kredite würden ebenfalls nicht dem Staat zuge-
rechnet. Aber wie im Fall der Klimastiftung müss-
te die Agentur wahrscheinlich höhere Zinsen be-
zahlen als der Staat selbst.
Die Schuldenbremse ist eingeführt worden,
damit die Politiker weniger Schulden machen.
Nun zieht sie eine Schuldenbremsenumgehungs-
politik nach sich, die die Kredite am Ende mögli-
cherweise nicht verringert, sondern nur teurer
macht. MARK SCHIERITZ

Das Ergebnis der Regionalwahlen in Russland ist
für die Regierung ein Schock mit Ansage. In Mos-
kau haben Kandidaten der staatlich zugelassenen
Opposition in der Abstimmung vom Sonntag 20
von 45 Sitzen erhalten. Auch in anderen Regio-
nen haben Oppositionsparteien stark abgeschnit-
ten. Die Regierung tröstet sich damit, dass die
Kandidaten von Putins Partei Einheitliches Russ-
land in den meisten Orten durchgekommen sind.
Aber eben nicht in den wichtigsten.
Warum schwächelt die Partei nun? Dafür gibt
es drei Gründe, einer hat mit Putin selbst zu tun.
Putin hatte Einheitliches Russland einst ge-
schaffen, damit sie die Regionalparlamente für
ihn besetzt. Doch viele Russen sind der Staats-
macht überdrüssig. Sie gehen kaum noch wählen,
der Unmut hat sich in einigen Städten auf den
Straßen entladen. Oft aus ganz verschiedenen
Gründen. Im vergangenen Jahr ärgerten sich die
Menschen über die drastische Heraufsetzung des


Rentenalters. In Archangelsk war es 2019 eine ge-
plante Giga-Mülldeponie, in Jekaterinburg ein
Kirchenbau im Park, in der Hauptstadt Moskau
der Zorn über das Verbot von Oppositionskan-
didaten, sich zur Wahl zu stellen.
Die Staatsmacht reagiert auf die Demonstra-
tionen verunsichert. Erst zu passiv, dann zu brutal
und schließlich ratlos, weil viele Menschen sich
nicht einschüchtern lassen. Die Präsidentenpartei
war sogar vielen ihrer eigenen Kandidaten so
peinlich, dass diese bei den Wahlen zur Tarnung
als Unabhängige antraten. Es bricht etwas im
Verhältnis von Macht und Volk.
Der zweite Grund für die Schwäche von Pu-
tins Partei liegt in der gewieften Taktik der Op-
position. Sie hat erkannt, dass sich die Kommu-
nalwahlen aufgrund der extrem niedrigen Betei-
ligung leicht beeinflussen lassen. Der regelmäßig
festgenommene und von Wahlen ausgeschlossene
Charismatiker Alexej Nawalny hatte zur »klugen

Abstimmung« aufgerufen. Also wählten die Mos-
kauer in Ermangelung echter Oppositionskandi-
daten Politiker der »Systemopposition«, die im
Prinzip nichts gegen Putins Kurs haben. Aber
dafür fielen die präsidialen Kandidaten durch.
Und schließlich hat das Schwächeln auch mit
Putin selbst zu tun. Er ist kein Demokrat, doch
hohe Popularitätsraten sind ihm wichtig. Sein
System beruht auch auf der persönlichen Zustim-
mung zum Präsidenten. Als er 1999 erstmals kan-
didierte, begründeten seine Spindoktoren die Kür
des grauen Geheimdienstbürokraten zum Präsi-
denten so: Putin schaffe Ordnung, bringe Oligar-
chen, Kriminelle und Tschetschenen zur Räson,
er richte den Staat wieder auf. Das war die erste
Erzählung, die seine Herrschaft legitimierte.
Als der Ölpreis stieg und die Russen anfingen,
enthusiastisch zu shoppen, folgte eine zweite Er-
zählung: Putin bringe Wohlstand und ein sorgen-
freies Leben. Als die 2012 nicht mehr zog und die

Moskauer gegen Putins dritte Amtszeit demons-
trierten, erfanden die Spindoktoren die Erzäh-
lung von Putin, dem Rächer der erniedrigten
russischen Nation. Der die Krim zurückholt, der
die Nato stoppt, der Amerika die Stirn bietet.
Doch nun hat sich auch diese Erzählung abge-
nutzt, seither suchen Putins Berater verzweifelt
nach einer neuen und finden keine.
Aber auch wenn Putins Popularität heute auf
die Werte von 2012 gesunken ist, heißt das nicht,
dass seine Zeit abgelaufen wäre. Noch immer ge-
nießt er über 60 Prozent Zustimmung. Neben
gefälligen Erzählungen beruht sein System auf
Hunderttausenden von Polizisten und Soldaten
für die innere Ordnung, auf Richtern, Ermittlern
und Geheimdiensten. Aber für Putin ist es unan-
genehm, zunehmend auf diese zweite Säule seiner
Herrschaft angewiesen zu sein. Je mehr er von
den Sicherheitsapparaten abhängig wird, desto

labiler wird seine Macht. (^) MICHAEL THUMANN
Russland: Warum schwächelt Putins Partei?
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  1. SEPTEMBER 2019 DIE ZEIT No 38 POLITIK 5


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