Frankfurter Allgemeine Zeitung - 13.09.2019

(lily) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien FREITAG, 13. SEPTEMBER 2019·NR. 213·SEITE 15


ZumSchluss – und mit der dritten Staf-
fel der Fallerzählungen „Schuld“ ist mit
der Fernsehreihe wirklich Schluss –,
zum Finale also steht Ferdinand von
Schirach, ehemaliger Strafverteidiger,
Chronist und Bestsellerautor, auf einem
Friedhof, auf dem inzwischen sein bes-
ter Freund begraben liegt, in der Ferne
zeichnet sich die Silhouette Manhattans
in leichtem Dunstschleier ab, und zieht
das Fazit seiner Arbeit als Anwalt: „Es
war zu viel geworden. Ich dachte an die
Menschen, die ich verteidigt hatte, ihre
Einsamkeit, ihre Fremdheit und ihr Er-
schrecken über sich selbst.“ Er wechselt
den Beruf, fängt an, schreibend Schuld
und Sühne und ihre Justitiabilität auf
den Prüfstand eines semifiktiven Narra-
tivs zu stellen und ihren Unterschied zu
Verbrechen und Strafe in seinen Erzäh-
lungen näher zu bestimmen. „Es wurde
nie leicht, die Fremdheit bleibt, die Ein-
samkeit und alles andere auch.“
Elegisch sind die Bilder, ist der Ton
dieser vierten neuen Folge „Der
Freund“, in der auch eine Jugend zu Gra-
be getragen wird. Friedrich Kronberg
(Moritz Bleibtreu), von Schirachs Vertei-
diger-Alter-Ego, findet den Jugend-
freund Richard (Oliver Masucci) herun-
tergekommen und zugedröhnt als Dauer-
mieter in einem New Yorker Hotel. Zwei
Jahre später, das selbstzerstörerische
Ende sucht sich die Bühne eines Landsit-
zes in der Normandie, erzählt Richard in
Rückblenden, wie aus dem Liebling der
Götter, dessen Gaben alle überflügel-
ten, ein Wrack mit Todeswunsch wurde.
Früher war er mit Sheryl (Verena Al-
tenberger, die am Sonntag ihren Ein-
stieg als Streifenpolizistin im BR-„Poli-
zeiruf“ hat) glücklich. Bis der Kinder-
wunsch sie in einen zermürbenden
Kreislauf immer neuer Versuche der
künstlichen Befruchtung brachte, die
schließlich in die Katastrophe münde-
te. Richards Schuld ist in keinem Straf-
katalog enthalten, und doch gibt es sie.
Für Friedrich Kronberg, dessen Über-
zeugung darin bestand, dass das Recht
Ordnung in ein menschliches Chaos
bringt, ein trauriges Resumee seines
ersten Berufslebens (Regie Nils Will-
brandt, Bücher Jan Ehlert, Nils Holle,
Annika Tepelmann, André Georgi).
Während diese Folge ästhetisch kühl
zurückgenommen ein wenig nach
„Schöner leiden“ aussieht (Kamera
Wolf Siegelmann), glänzen David Ben-
nent als „Kleiner Mann“ Bernhard Stre-
litz und Milan Peschel in der Folge „Ly-
dia“. Zwei Einsame, Übersehene, deren
Ernsthaftigkeit dem lockeren Kontakt
zur Welt – und insbesondere zu Frauen



  • entgegensteht. Der kleine Mann, ein
    Supermarktleiter, wird selbst von den ei-
    genen Mitarbeitern ignoriert. Bis ihm ei-
    nes Nachts eine Tasche mit fünf Kilo-
    gramm Heroin in die Hände fällt. In der
    U-Haft eilt ihm schon ein Ruf voraus.
    Erwartungshaltung und Gerechtigkeits-
    feststellung nehmen mehrere Wendun-
    gen. Milan Peschel als brillanter Pro-


grammierer Meyerbeck, der stottert, so-
bald er im Mittelpunkt steht, hat in Ly-
dia die ideale Gefährtin gefunden. Eine
echte Liebesbeziehung, wenn auch ein-
seitig. Lydia ist eine lebensgroße Love-
Doll-Puppe. Gefährliche Körperverlet-
zung, lautet hier der Vorwurf. Der sanf-
te Mann hat den frauenhassenden Nach-
barn Lembcke (Benno Fürmann) nie-
dergeschlagen.
In Rückblenden und Besprechungs-
passagen erzählt wird die tragische Ge-
schichte der fünfzehnjährigen Larissa
(Elisa Schlott), die in einem asozialen
Milieu lebt und, so die Anklage, ihr neu-
geborenes Kind ertränkt haben soll
(Folge „Einsam“). Auch Elisa Schlott
spielt den Teenager, der seine Schwan-
gerschaft bis zum Schluss verdrängt, an-
rührend. Ein gewisser Ton der Vergeb-
lichkeit ist allen neuen Geschichten
inne. Das gelungene Leben immer ei-
nen Schritt von der Auflösung ent-
fernt. Sinn stiftet nicht das Recht, son-
dern das Berichten. Diese Staffel zieht
Bilanz, dass diese nicht nur melancho-
lisch ausfällt, liegt an den sehenswer-
ten Schauspielern. HEIKE HUPERTZ


Schuld nach Ferdinand von Schirach, heute um
21.45 Uhr im ZDF


B


esser hätte es die ARD nicht in-
szenieren können. Die Bundes-
kanzlerin eröffnet in Frankfurt
die Automesse IAA. Und wenige
Stunden zuvor berichtet der SWR exklu-
siv und „investigativ“ über – so die Über-
schrift des „Tagesschau“-Berichts im Netz


  • „weitere Abschalteinrichtungen bei
    VW?“. Ein Fragezeichen, dazu ein kleines
    „offenbar“ relativieren den vermeintli-
    chen Scoop für den aufmerksamen Leser
    sofort. Doch die Botschaft ist klar: „Nach
    Recherchen des SWR wurde auch in neue-
    re VW-Diesel-Motoren mit Euro-6-Abgas-
    norm eine Software eingebaut, die er-
    kennt, ob sich das Fahrzeug auf einem
    Prüfstand befindet.“ Zwischen den Zeilen
    wird damit suggeriert: Volkswagen be-
    trügt die Kunden möglicherweise auch


bei den neuen Dieselautos weiter. Nichts
gelernt aus dem Diesel-Skandal, der das
Wolfsburger Unternehmen immerhin
schon mehr als dreißig Milliarden Euro
kostete. So suggeriert es die ARD.
Wird wirklich auch bei den Dieselautos
der Euro-6-Abgasnorm weiter betrogen?
Wenn die ARD auch bei anderen Themen
so gründlich „recherchiert“ wie in diesem
Fall, dann macht sich Journalismus in
Deutschland langsam überflüssig. Gesin-
nung und Manipulation der Öffentlich-
keit kommen daher in einem Gewand,
das sich nur noch den Schein der Fakten
gibt. „Kein Fahrzeug mit dem Dieselmo-
tor EA288 nach dem heutigen Abgasstan-
dard EU6 in EU28 enthält eine Zykluser-
kennung“, erklärte VW auf Nachfrage,
nachdem die ARD online gegangen war.
Auch der SWR dürfte im Zuge seiner Re-
cherche in Wolfsburg nachgefragt haben.
Nur: Was so technisch klingt, ist ein kla-
res Dementi. Auch von den Behörden
folgten die harten Dementis und kein
weichgespültes Blabla.
Doch wie heißt es unter Journalisten ge-
legentlich scherzhaft: Wer recherchiert,
ist meinungsschwach. In Zeiten, in denen
Haltung wichtiger zu werden scheint als
Recherche und Fakten, droht dieser
Scherz langsam zum Alltag zu werden,
statt sich an die bittere Erfahrung zu hal-
ten, die Journalisten immer wieder ma-
chen: Die Recherche ist der Feind man-
cher „guten“ Geschichte, weil sich im
Zuge der Recherche eben bisweilen her-
ausstellt, dass es sich anders verhält, als es

auf den ersten Blick den Anschein hatte.
Dass VW nach den Betrügereien mit Ab-
gaswerten von Dieselautos, die 2015 auf-
gedeckt wurden, in der Öffentlichkeit und
in den Medien Misstrauen entgegen-
schlägt, versteht sich von selbst. Nach al-
lem, was da passiert ist, müssen die Me-
dien den Wolfsburgern aufmerksam auf
die Finger schauen. Aber ist es redlich, des-
wegen jeden Verdacht mit Entrüstung zur
vermeintlichen Tatsache hochzujubeln?
Wenn das dann ausgerechnet auch noch
an dem Tag passiert, an dem die Kanzle-
rin die IAA eröffnet und sich mit VW-
Chef Herbert Diess trifft, ahnt man die Ab-
sicht: Aufmerksamkeit um jeden Preis.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ge-
rät ohnehin unter Druck, weil er von Zu-
schauern, die nicht der medial „herrschen-
den Meinung“ zuneigen, weniger als Infor-
mations-, sondern immer öfter als Erzie-
hungsmedium wahrgenommen wird. Ist
es für SWR und ARD da kein Warnsignal,
wenn jetzt nüchterne, an Fakten orientier-
te Ingenieure bei VW nach solcher Bericht-
erstattung sagen, sie entwickelten lang-
sam Verständnis für Menschen, die auf
Marktplätzen „Lügenfernsehen“ rufen?
Natürlich zitiert der SWR in seinem Be-
richt auch Experten. Zum Beispiel Axel
Friedrich, einen – so heißt es – „Abgasex-
perten“ und Schrecken der Autoindustrie.
Der aber hatte mit der Deutschen Umwelt-
hilfe im April 2018 bei eigenen Messun-
gen mit aktuellen Diesel-Pkw Euro 6 bei
VW-Modellen geringere Abweichungen
von den Grenzwerten gefunden als bei vie-

len Wettbewerbern. Jetzt wird er Kronzeu-
ge der Anklage. Fragen? Juristen, die im
Diesel-Skandal gegen VW klagen, kom-
men ebenfalls breit zu Wort. „Diese Doku-
mente sind ein Paukenschlag, und sie he-
ben den Skandal auf ein ganz neues Le-
vel“, heißt es. Wirklich? Welche Interes-
sen stecken hinter dieser Geschichte? Ist
es Zufall, dass sie gerade jetzt erschien?
Interessant ist auch, wie die Börse rea-
gierte. Kaum meldete die ARD den mögli-
chen neuen Betrug, sank der Kurs der VW-
Aktie schnell. Händler begründeten das
mit den Medienberichten. Er stieg dann
aber bald wieder, als sich die möglichen
neuen Betrugsvorwürfe als offenbar an
den Haaren herbeigezogen entpuppten.
Es stimmt: Volkswagen hat mit dem Die-
sel-Skandal viel Vertrauen verspielt. Auch
die Aufklärung des Skandals ist noch lange
nicht abgeschlossen. Nur: Ist es plausibel,
dass ausgerechnet der Wolfsburger Kon-
zern, der Ende 2015 um seine Existenz
bangen musste, nahtlos weiterbetrügt?
Grüne und Linke meldeten sich nach dem
ARD-Bericht prompt zu Wort. Das harte
Dementi von Volkswagen interessierte nie-
manden, weder beim SWR noch bei Politi-
kern, die ohnehin an eine Verschwörung
von Autoindustrie und Staat glauben. Jour-
nalismus, der dieses Spiel mitmacht, darf
sich nicht wundern, wenn das Misstrauen
wächst – nicht gegen VW, sondern gegen
einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk,
der doch Speerspitze eines kritischen, aber
eben auch eines seriösen Journalismus
sein will. CARSTEN GERMIS

D


ass der Europäische Gerichtshof
das deutsche Leistungsschutz-
recht für nicht anwendbar erklärt hat
(EuGH Rs. C-299/17), hat sich die Bun-
desregierung selbst zuzuschreiben.
Denn sie hat sich um eine scheinbare
Formalie nicht gekümmert – dass das
am 1. August 2013 in Kraft getretene
Gesetz zuvor hätte bei der Europäi-
schen Kommission angezeigt werden
müssen. Das hielten zwar weder die
Bundesregierung noch die EU-Kom-
mission für notwendig, das verhindert
aber nicht, dass der EuGH anderer An-
sicht ist. Es handele sich um eine „tech-
nische Vorschrift“, welche die Dienste
der Informationsgesellschaft betreffe,
und eine solche müsse der Kommissi-
on vorgelegt werden, auf dass dort
noch Einspruch dagegen erhoben wer-
den kann. Zur Prüfung vorgelegt hatte
dem EuGH diese Frage der Anzeige-
pflicht das Landgericht Berlin, vor
dem die Verwertungsgesellschaft VG
Media gegen Google klagt. Die VG Me-
dia will von Google Gebühren für die
Anzeige von Presseartikeln in seiner
Suche und in der Rubrik „Google
News“ verlangen – so wie es das Leis-
tungsschutzrecht Verlagen ermöglicht.
Daraus wird nun einstweilen nichts,
was Google mit Genugtuung regis-
triert. „Wir freuen uns, dass dies nun
geklärt ist“, teilte der Netzkonzern
knapp mit. Die Einlassungen der VG
Media und der Presseverlage waren um-
fangreicher. Die Entscheidung des
EuGH, sagte der Geschäftsführer der
VG Media, Markus Runde, sei „sehr
formal und verfahrensorientiert“. Sie
berücksichtige nicht „das soeben erlas-
sene materielle Recht, um dessen
Durchsetzung es dem deutschen und
europäischen Gesetzgeber gerade jetzt
geht“. Runde spielt auf die kürzlich
vom EU-Parlament beschlossene Urhe-
berrechtsrichtlinie an, die ebenfalls
ein Leistungsschutzrecht für Pressever-
lage formuliert – für die gesamte EU.
Auf die Umsetzung dieses – in der De-
batte hochumstrittenen – Rechts hof-
fen die Verwertungsgesellschaften und
die Verlegerverbände nun. Die Bundes-
regierung möge die Richtlinie zügig
umsetzen, nur so könnten die „berech-
tigten Ansprüche der Presse gegenüber
weltweit agierenden, übermächtigen
Infrastrukturbetreibern durchgesetzt
werden“. Doch so schnell wird das
nicht gehen. Bei der Umsetzung der
Richtlinie kommt es nämlich zu dersel-
ben Schlacht, wie wir sie in den vergan-
genen Monaten um das Urheberrecht
an sich erlebt haben, mit den Urhe-
bern und Verlagen auf der einen und
den Digitalkonzernen, deren Verbän-
den und reichlich politischen Vorfeld-
organisationen auf der anderen Seite,
die vor allem gegen „Uploadfilter“
Sturm laufen, weil diese angeblich die
Freiheit im Netz beenden. Dass diese
in den Händen eines Digitaloligopols
liegt, dessen digitalkapitalistisches Ge-
schäftsmodell nicht nur Urheber- und
Leistungsschutzrechte, sondern die
Fundamente der Demokratie unter-
höhlt, dringt zu den Kritikern nicht
durch. Versaubeutelt hat die Bundesre-
gierung die Sache fürs Erste aber nicht
nur, weil sie das Leistungsschutzrecht
nicht bei der EU-Kommission ange-
zeigt hat, sie hat, wie man im Urteil
nachlesen kann, bei der mündlichen
Verhandlung offenbar durchblicken
lassen, dass es sich hier um so etwas
wie eine „Lex Google“ handele. Das
wäre ein Verstoß gegen Artikel 19 des
Grundgesetzes, dem zufolge Grund-
rechte nur aufgrund von Gesetzen ein-
geschränkt werden dürfen, die allge-
mein und eben nicht für einen Einzel-
fall gelten. Das aber ist mitnichten
Sinn und Zweck des Leistungsschutz-
rechts. Dieses handelt vielmehr davon,
dass Verlagen ein solches Recht grund-
sätzlich zusteht. Sie können es in An-
spruch nehmen oder von einer Verwer-
tungsgesellschaft in Anspruch nehmen
lassen. Sie können es aber auch blei-
ben lassen. Sie können es gegen große
Suchmaschinenkonzerne ins Feld füh-
ren, sie können versuchen, Gebühren
zu verlangen — oder auch nicht. Diesen
Rechtsrahmen hat der Europäische Ge-
richtshof mit seinem in der Tat forma-
listisch argumentierenden Urteils-
spruch nun gesprengt. Für diejenigen,
die darauf pochen, dass geistiges Eigen-
tum auch in der digitalen Welt bewahrt
und verteidigt werden muss, ist das ein
schwarzer Tag. Gesungen ist die Messe
allerdings erst, wenn die Bundesregie-
rung sich darauf verständigt hat, wie
sie die EU-Urheberrechtsrichtlinie um-
setzt. Und das kann noch ausgespro-
chen spannend werden. miha.

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Wenn Journalisten heiße Luft produzieren

Leistungsabfall


Europäischer Gerichtshof versetzt
den Presseverlagen einen Schlag

Am Anfang dieses Films steht eine irritie-
rende Frage. Wie könne es sein, „dass die
Kraft der Empörung bei uns so ins Nichts
läuft?“. Das widerspricht der Wahrneh-
mung, die unsere Gesellschaft mit der zu-
nehmenden Polarisierung dem politi-
schen Abgrund entgegensteuern sieht.
Die Antwort versuchen Jakob
Augstein und Tim Klimeš (Re-
gie) in „Die empörte Repu-
blik“ zu geben, oder, besser
formuliert: Sie kennen die
Antwort nicht.
Vielmehr tastet sich Aug-
stein an jene Veränderungen
heran, die die Digitalisierung
für uns alle und für den Begriff
der Öffentlichkeit bedeutet.
Dafür muss man das haben,
was guten Journalismus schon
immer auszeichnete: Neugier-
de. Was darunter zu verstehen
ist, macht Jan Fleischhauer
deutlich. Ihm war die Teilnah-
me an einer Geburtstagsfeier
des langjährigen „Spiegel“-
Kollegen Matthias Matussek
vorgeworfen worden. Dort
war unter anderen ein junger
Mann zu Gast, welcher der Be-
wegung der Identitären zuge-
hört. Mit Nazis feiern – so lau-
tete die Reaktion im empörten
Netz. Für Fleischhauer war es dagegen eine
verpasste Gelegenheit, mit dem Betreffen-
den ins Gespräch zu kommen, so sagte er
es Augstein. Dabei ist der „Focus“-Kolum-
nist keineswegs ein Vertreter jener journa-
listischen Traurigkeit namens Langeweile.
Er weiß die Erwartungen seines Publikums
zu bedienen, weshalb die Erwähnung der
„Hofschranze des ZDF“ (wer an dieser Stel-
le auf den Moderator Jan Böhmermann
tippt, liegt richtig) nicht fehlen darf.

Historisch sind die Journalisten in Er-
innerung geblieben, die sich durch eine
vergleichbare Lust an der Pointe aus-
zeichneten und zudem noch argumentie-
ren konnten. Das war früher genauso
selten wie heute. Nur was unterschied
dann diese untergegangene Welt von

den heutigen Verhältnissen? Mit Stefan
Aust kommt einer der letzten Vertreter
jener zu Wort, die man einst Meinungs-
macher nannte. Der heutige Herausge-
ber der „Welt“ gewährt einen Einblick in
diese alten Zeiten am Beispiel des
Umgangs mit der Flüchtlingskrise im
Jahr 2015. Aust stellt die Frage, welche
Folgen eine Ablehnung der Grenzöff-
nung durch die „Bild“-Zeitung gehabt
hätte. Ob man nicht „eine Empörung bei

manchen Leuten erregt hätte, die man
nicht erregen will“. Augstein inter-
pretiert den damaligen „Refugees welco-
me“-Kurs des Boulevardblatts als eine
Art Anordnung des Springer-Vorstands-
vorsitzenden Mathias Döpfner, womit
dieser zum „letzten Mohikaner“ einst
mächtiger Medienmacher
geworden sei.
Tatsächlich aber war weni-
ger die in den meisten Me-
dien vertretene Auffassung
zu diesem Thema das Pro-
blem, sondern die Unfähig-
keit des etablierten Parteien-
systems, auf das Negative,
das der ersten Euphorie folg-
te, angemessen zu reagieren.
Die aus der Grenzöffnung re-
sultierende Polarisierung
der Gesellschaft wurde igno-
riert. Der Bundestag wurde
zum monolithischen Block
auf Regierungslinie, wo die
über die Medien vermittel-
ten Debatten nur noch au-
ßerparlamentarische Reso-
nanz fanden. Selbst der wort-
gewaltigste Publizist musste
schon vor Jahrzehnten schei-
tern, wenn seine Worte im
politischen Raum folgenlos
verhallten.
Die Meinungsmacher früherer Zeiten
waren nicht so mächtig, wie es uns heute
erscheint. Für die Kulturwissenschaftle-
rin Inge Baxmann waren in dieser alten
Medienwelt, „die politischen Parteien
über die Mainstreammedien die Gatekee-
per der politischen Kommunikation“, so
formuliert sie das im Film. Waren sie
aber nicht eher Instanzen, um die Kon-
flikte in einen politischen Prozess zu
transformieren? Das kann durchaus die

Perspektive auf die Digitalisierung verän-
dern. Etwa wenn Augstein mit der frühe-
ren Europaabgeordneten Julia Reda über
politischen Aktivismus im Internet
spricht. Nur sind diese Bewegungen zu-
meist digitale Scheinriesen, deren Wir-
kung sich vor allem auf Medienresonanz
beschränkt. Wo sich am Ende „die Empö-
rung ins Nichts verliert“, wie es Augstein
in seiner Eingangsfrage formuliert.
So bleibt das letzte Wort dem verstorbe-
nen Mitherausgeber dieser Zeitung,
Frank Schirrmacher, überlassen. Digitali-
sierung sei keine Debatte über Technolo-
gie, sondern über deren „gesellschaftli-
che und politische Anwendung“, so zitiert
ihn Augstein. Dieser Film bietet zahllose
Anregungen, um über die Bedeutung die-
ses Satzes nachzudenken. Die Zuschauer
sollten diese Chance nutzen. Diese Emp-
fehlung gilt nicht nur für die übrig geblie-
benen Mohikaner. FRANK LÜBBERDING
Die empörte Republikläuft am Samstag um 19.
Uhr bei 3sat.

Verbrechen


und Strafe


Letztes Mal: „Schuld nach


Ferdinand von Schirach“


Pünktlich zum Beginn


der Automesse IAA


wartet die ARD mit


einem vermeintlichen


Skandal auf: VW betrüge


auch bei den neuesten


Diesel-Modellen. Der


Bericht freilich ist an den


Haaren herbeigezogen.


Die letzten Mohikaner


Bei3sat fragt der Publizist Jakob Augstein, wie heute Meinung gemacht wird: „Die empörte Republik“


Schuldig? David Bennent in der Auf-
taktepisode der Schirach-Serie Foto ZDF


Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag auf der Automesse IAA. Sie entsteigt einem Volkswagen. Es ist natürlich kein Diesel, sondern das Elektrogefährt ID.3. Foto dpa


Jakob Augstein auf Recherchereise, lesend Foto 3sat

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