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WER DIE GRENZEN des Lebens sucht,
der soll zur Hölle fahren. Am besten
hier, rund 160 Kilometer südwestlich
von Johannesburg, mit einem Aufzug,
den sie cage nennen: den Käfig. Wasser
tropft auf den Boden, als Maggie Lau
den Fahrstuhl betritt. Die Forscherin
trägt einen weißen Overall, einen Helm,
eine Grubenlampe und eine Atemmas
ke, die im Notfall Sauerstoff spendet.
Sie hat ein handliches Messgerät dabei,
die Probenfläschchen, ihre Kamera.
Ein Tross von Kollegen begleitet die
Mikrobiologin auf ihrem Trip ins Erd
innere. Und ein Team von GEO. Zusam
men fahren wir ein in eine der tiefsten
Minen des Planeten: Moab Khotsong.
Hunderte Tonnen Gestein fördern Ar
beiter hier jeden Tag aus drei Kilome
ter Tiefe ans Tageslicht. Zermahlen es.
Schlämmen dann ein paar Gramm Gold
und Uran pro Tonne aus dem Erz. Und
angeblich schürfen auch Gangster heim
lich in aufgegebenen Stollen, bewaffnet
mit Kalaschnikows.
Maggie Lau lockt nicht das Gold. Sie
fahndet nach einem anderen Schatz.
Nach winzigen Kreaturen, die dort un
ten Hitze, Druck und radioaktiver Strah
lung trotzen. Die Analyse dieser Wesen,
hofft Lau, wird Antworten liefern auf
zentrale Fragen der Biologie. Wo errei
chen Organismen ihr Limit? Wie kön
nen sie sich in lebensfeindlichen Zonen
behaupten? Und was verrät ihr Dasein
über die Entstehung des Lebens?
Lau holt noch mal tief Luft. Sie weiß,
was nun passiert. Immer mehr Kumpel
drängen in den Aufzug, bis sich etwa 50 auf eine Fläche quet
schen, die kaum größer ist als zwei Tischtennisplatten. Die
38-jährige Wissenschaftlerin von der Universität Princeton,
New Jersey, muss sich fühlen, wie ich mich fühle: eingegipst.
Wortfetzen dringen ans Ohr, Afrikaans, Englisch, Zulu, Xhosa.
Dann übertönt ein metallisches Rasseln die Gespräche.
Das Rollo schnellt herunter, rastet klackend ein. Wir sind ge
fangen. Unsere Expedition hat begonnen. In ein Reich, das
Forscher als "Tiefe Biosphäre" bezeichnen.
Wir fallen. Mit rund 60 Stundenkilometern rast der Fahr
stuhl abwärts. Von irgend wo dringt schlammiges Wasser ein.
Es rinnt genau an der Wand herunter, gegen die mich die an
deren Insassen pressen. Strömt in meinen Overall, findet un
aufhaltsam seinen Weg bis in meine Unterhose. Ich spüre
Druck auf den Ohren und sehe nichts vom sonderbarsten
Von Weitem sichtbar
sind die Halden der
Mine Moab Khotsong.
Der Schutt stammt
aus den Stollen:
Hunderte Tonnen
Gestein befördern
Arbeiter täglich an
die Erdoberfläche,
um Gold und Uran
herauszulösen
GEO 09 2019