die Dunkelheit. An jedem Level verwir
belt das Gefährt die Luft, dass es grollt.
Der an zwei Stahlseilen hängende Fahr
stuhl schleust uns durch Sedimente,
die einst Flüsse angeschwemmt hatten.
Je tiefer der Aufzug fällt, desto älter die
Umgebung. Wie eine Zeitkapsel dringt
der cage immer weiter in die Vergan
genheit vor.
Nach etwa drei Minuten kommt der
Fahrstuhl auf Ebene 95 zum Stehen.
Rundherum lagert graues Gestein, das
vor rund 2,9 Milliarden Jahren depo
niert wurde. Es entstand, da war die
Erde noch halbwegs jung. Bis zu den Di
nosauriern war es noch ein langer, stei
niger Weg. Oberirdisches Wasser kann
schon lange nicht mehr bis in diese
Formationen gesickert sein. Sollte Mag
gie Lau hier Mikroben finden, dann wä
ren sie seit Äonen von der Außenwelt
isoliert. Es ist das perfekte Jagdgebiet.
Die Forscherin betritt ein mit Beton
ausgekleidetes Gewölbe, gleißend er
hellt, als wäre es der Sektionssaal einer
Pathologie. An dessen Ende gähnen die
Öffnungenzweier Stollen. Sie führen
tief hinein in den Fels. "Gehen wir",
sagt Maggie Lau.
N
UMMER 95 LÖCHERT bei
gut 2900 Metern die Unter
welt, ungefähr so weit von
der Oberfläche entfernt, wie
sich die Zugspitze erhebt. Unter der
Decke der beiden Stollen ist ein ganzes
Bündel Rohre picobello verschraubt,
auf dem Boden verlaufen Gleise, an der
Wand hängt ein Schild, Tempolimit
"Max 5 km/h".
Auf den ersten Metern herrscht eine
unaufgeregte Ordnung, doch der Ein
druck täuscht darüber hinweg, um was
es hier geht: Level 95 und die zwei dar
unterliegenden gehören zu den weni
gen Außenposten der Menschheit im
Inneren des Planeten, dabei sind es von
hier bis zum Erdmittelpunkt immer
noch rund 6400 Kilometer. Wäre die
Erde ein Pfirsich, hätte Moab Khotsong
noch nicht einmal dessen Schale durch
stoßen. Aber schon Nr. 95 ist nur unter
immensem Aufwand zu halten.
Über Leitungen wird Schlamm, der
beim Abbau des Goldes entsteht, nach
GEO 09 2019
oben gepumpt. Sensoren überwachen den Staubgehalt und
die Konzentration von Methan oder Kohlenmonoxid. Ven
tilatoren pressen eiskalte Luft in die Tiefe. Die Zufuhr soll
nicht nur explosive oder giftige Schwaden hinaustreiben.
Sondern auch das Tunnelsystem bei 28,5 Grad Celsius sta
bilisieren, einem Wert, bei dem sich der menschliche Kör
per noch durch Schwitzen effizient kühlen kann.
Würde der Nachschub abreißen, erhitzten sich die Stol
len binnen zehn Minuten auf rund 60 Grad. Die Minenbosse
schicken ihre Armeen in einen Zermürbungskampf, Kum
pel vs. Erde; immer wieder erschüttern schwere Unfälle die
Bergwerke Südafrikas. Erdbeben bringen Stollen zum Ein
sturz, trotzaller Entlüftung explodieren Gase in gewaltigen
Stichflammen, Sprengladungen detonieren im falschen Mo
ment, Untergrundbahnen springen aus den Gleisen. Jeder,
der in die Grube einfährt, trägt einen Sender, mit dem sich
der Besitzer orten lässt. Und beinahe jeder Tagesbesucher
verliert in diesem Irrgarten irgendwann das Gefühl für Zeit
und Raum.
Vorarbeiter geleiten unseren Trupp zu einer U-Bahn, wäh
rend uns feuchte, warme Luft umfängt. Mit einem apokalyp
tischen Kreischen zuckelt die "Loco" genannte Miniatur
Tram los, führt uns noch einmal beinahe zwei Kilometer ins
Waagerechte. Bis wir endlich da sind -in einer von Schein
werfern angestrahlten Aushöhlung, ungefähr so groß wie ein
kleines Einfamilienhaus.
Die Kaverne ist mit Stahlnetzen vor Steinschlag gesichert,
ein weißes, kranartiges Gebilde ragt in die Höhe. Die Bohr
maschine. Sirrend rotiert das Ungetüm mit 1200 Umdrehun
gen pro Minute. Eine Crew überwacht den Vortrieb.
WEITER AUF SEITE 128
»Locos«, elektrische
Eisenbahnen, trans
portieren die Forscher
auf horizontalem Weg
noch weiter in den
Fels. Zwei Kilometer
vom Förderturm der
Mine entfernt liegt der
Tunnel, von dem aus
das Team bis in die
Erdbebenzone bohrt
ln einer Ladestation
werden Grubenlampen
gesammelt, um die
Akkus mit Energie zu
versorgen. Jeder, der
in die Mine einfährt,
trägt das Kopflicht,
dazu Schutzheim und
Handschuhe. Und
eine Blechkiste mit
einem Atemgerät,
das im Notfall für
ein paar Minuten
Sauerstoff spendet
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