Süddeutsche Zeitung - 10.09.2019

(Darren Dugan) #1
von veronika wulf

S


ie sollten die absolute Freiheit brin-
gen: Kopfhörer ohne Kabelsalat, oh-
ne plötzliches Zerren am Ohr, ohne
ans Handy gefesselt zu sein. Die Airpods
sollten Apple zufolge für eine „kabellose
Zukunft“ stehen und „einfach noch magi-
scher“ sein. Viele Menschen erinnerten die
weißen 179-Euro-Stöpsel eher an Zahn-
bürstenköpfe, doch wenigstens die Ver-
kaufszahlen sind irgendwie magisch, zu-
mindest für Apple: 28 Millionen Stück im
Jahr 2018 und in diesem Jahr prognostizier-
te 50 Millionen – zumindest schätzen das
Analysten. Apple genießt und schweigt.
Und schaut dabei zu, wie die kleinen,
glitschigen Dinger ihren Nutzern reihen-
weise aus den Ohren rutschen. Denn je
nach anatomischen Gegebenheiten kön-
nen einem auch kabellose Kopfhörer zum
Verhängnis werden. Klar, man kann sich
einfach bücken und die Dinger wieder auf-


heben. Das wäre zwar nur bedingt ma-
gisch, aber immerhin hätte man 75 Euro ge-
spart, denn so viel kostet es, einen einzel-
nen Airpod nachzukaufen. Doch so wie das
Marmeladenbrot offenbar dazu verpflich-
tet ist, immer auf die Marmeladenseite zu
fallen, scheinen Airpods stets in Schlitze zu
rutschen. Zum Beispiel in den zwischen
Zug und Bahnsteigkante.

Damit haben nun die 25 Mitarbeiter der
New Yorker Metropolitan Transportation
Authority zu kämpfen, die jede Woche die
Gleise nach verlorenen Gegenständen ab-
suchen, wie dasWall Street Journalberich-
tete. Als Apple ein neues Modell heraus-
brachte, konnten die Arbeiter das auch auf
den Gleisen ablesen, wo vermehrt Airpods
herumlagen wie einsame Apostrophe, die
nichts mehr zu sagen haben. Dass man die
Dinger orten kann, hilft dann auch nicht
mehr viel.
Eine stichprobenartige Nachfrage bei di-
versen Verkehrsgesellschaften ergibt: In
Deutschland ist die Airpodemie noch kein
Massenphänomen. „Die Berliner lassen
echt viel rumliegen“, sagt eine Sprecherin
der Berliner Verkehrsbetriebe. Zum Bei-
spiel Gebisse, Rollstühle oder auch mal
Geldbörsen mit einigen 100-Euro-Schei-
nen. „Aber Airpods?“ Davon tauchten viel-
leicht zwei im Monat auf. „Aber wenn,
dann wird natürlich nur einer gefunden.“
An den Bahnhöfen rund um Hamburg
und Hannover scheinen „die Dinger durch
den Luftzug schnell vorbeifahrender Züge
fest in den Ohren zu sitzen“, gibt ein Spre-
cher der Eisenbahngesellschaft Metronom
bekannt, doch er selbst habe schon zwei
Airpods verloren, jeweils einen natürlich.
„Wichtiges Detail daran: Es war jedes Mal
der rechte“. Nur im Süden beobachtet man
vermehrte Airpod-Verluste. „Nach Ein-
schätzung der Mitarbeiter im Fundbüro
können wir einen Anstieg von 30 bis 40 Pro-
zent bei verlorenen kabellosen Kopfhörern
in den letzten Monaten feststellen, die
meisten davon Airpods oder nachgemach-

te Airpods“, teilt ein Sprecher der Münch-
ner Verkehrsgesellschaft präzise mit.
Unter dem Hashtag #lostairpods pos-
ten etliche Nutzer auf Social Media ihr
Leid. Einer schreibt: „Ich habe meine verlo-
ren (Heul-Emoji), und ich weiß, wo sie
sind, aber die Person, die sie als ‚Geisel‘
hält, will sie nicht rausrücken.“ Eine ande-
re Nutzerin informiert die Netzwelt: „Im-
mer, wenn ich jemanden mit Airpods sehe,
möchte ich einfach nur weinen. Ich bin die
Loserin, die wieder welche mit Kabel
trägt.“ Doch, wer hätte es gedacht, verlore-

ne Airpods können auch Glücksgefühle
auslösen, wie bei jener Frau, die unter ein
Bild einer einsamen Gestalt in der Dunkel-
heit schreibt: „Wie sehr liebst du deinen
Mann, wenn er bereit ist, einen Highway zu
überqueren mitten in der Nacht, um nach
deinem verlorenen Airpod zu suchen.“
Die gute Nachricht: Wenn die Industrie
ein unpraktisches Produkt auf den Markt
bringt, kann man sich immerhin darauf
verlassen, dass sie für ein weiteres Pro-
dukt sorgen wird, das Abhilfe schafft. Es
gibt Earskinz, Earplus und Earhoox – im

Grunde alles Gummiüberzieher, die dafür
sorgen sollen, dass die Airpods nicht so
schnell aus den Ohren rutschen. Und dann
gibt es noch ein ganz geniales Gadget der
Smartphonezubehör-Firma Spigen, das
mit dem Slogan „Verliere nie wieder deine
AirPods“ beworben wird: der Airpods
Strap. Es ist, nun ja, ein Kabel. Aber ein Ka-
bel, mit dem man für knapp zehn Euro aus
kabellosen Kopfhörern für 179 Euro Kopf-
hörer mit Kabeln für 189 Euro machen
kann. Wenigstens hat dann die U-Bahn-
Reinigung weniger zu tun.

Apple und sein chinesischer Zulieferer Fox-
connhaben eingestanden, in China zu vie-
le Zeitarbeiter beschäftigt zu haben. Die
Organisation China Labour Watch beschul-
digte die Firmen in einem Bericht, dass die
Belegschaft der iPhone-Fabrik in der chi-
nesischen Stadt Zhengzhou im August zu
etwa 50 Prozent aus temporären Arbeits-
kräften bestand. Nach chinesischem
Recht sind nur zehn Prozent zulässig. „Wir
können bestätigen, dass bei einer kürzlich
durchgeführten Überprüfung unserer Ge-
schäftstätigkeit in unserem Werk in
Zhengzhou einige Probleme mit der Ein-
haltung von Vorschriften durch die Beleg-
schaft festgestellt wurden“, teilte Fox-
conn mit. Dabei seien Beweise dafür ge-
funden worden, dass der Einsatz von
Leiharbeitern und die Anzahl der Über-
stunden von Mitarbeitern, „nicht den Un-
ternehmensrichtlinien entsprachen“.
Auch Apple bestätigte, dass Standards
nicht eingehalten wurden. Der Konzern
wolle eng mit Foxconn zusammenarbei-
ten, um die Probleme zu beheben. DPA

Verstoß


Berlin– Streitigkeiten zwischen Fahrgäs-
tenund Radfahrern, die ihr Fahrrad auch
zu Stoßzeiten in volle U- oder S-Bahnen
schieben, beschäftigen inzwischen auch
Städte und Verbände. „Konflikte um den
Platz im ÖPNV gibt es besonders zu Stoß-
zeiten im Berufsverkehr und am Wochen-
ende in den Ballungsgebieten recht häu-
fig“, teilt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-
Club (ADFC) mit. Ob es echte Probleme
oder nur kleinere Unbequemlichkeiten
sind, hänge indes stark vom Umfang und
der Qualität des Angebots des Öffentlichen
Personennahverkehrs ab. Während die Mit-
nahme von Fahrrädern im Berufsverkehr
in Berlin erlaubt ist, haben die Verkehrsge-
sellschaften in München und Hamburg die
Spanne zwischen sechs und neun Uhr so-
wie zwischen 16 und 18 Uhr zu Sperrzeiten
erklärt. In dieser Zeit dürfen keine Fahrrä-
der im Nahverkehr transportiert werden.
In der Hauptstadt wiederum besteht zwar
ein Recht, aber kein Anspruch auf Fahrrad-
mitnahme in diesen Zeiten.
„Im Gegensatz zu anderen Städten soll-
te es in Berlin weiterhin möglich sein, dass
Fahrräder auch in Stoßzeiten in die Bah-
nen genommen werden können“, sagt der
Sprecher der FDP-Fraktion für Infrastruk-
tur im Berliner Abgeordnetenhaus, Hen-
ner Schmidt. „Aufgrund der oft langen
Strecken in Berlin nutzen viele das Fahrrad
für den Weg zwischen S-Bahn-Station und
Arbeitsplatz.“ Genau hier setzen die Lö-
sungsansätze von Fahrgast- und Nahver-
kehrsverbänden an. „Es braucht vernünfti-
ge Abstellanlagen an den Bahnhöfen“, for-
dert Karl-Peter Naumann, Sprecher des
Fahrgastverbands Pro Bahn. Dann könn-
ten die Menschen sowohl am Start- als
auch am Zielbahnhof jeweils ein Fahrrad si-
cher unterstellen. Naumann nennt dies
das „niederländische Modell“.
Gemeinsam mit dem Verein Allianz pro
Schiene und weiteren Verbänden disku-
tiert Pro Bahn Lösungsansätze. „Wir plädie-
ren sehr dafür, einen Entwicklungsauftrag
zu erteilen, wie man Sitzplätze umbauen
kann in eine freie Fahrradfläche“, sagt Nau-
mann mit Blick auf Regionalzüge, die vor
allem am Wochenende von Freizeitradlern
genutzt werden. „Grundsätzlich brauchen
wir von allem ein wenig mehr“, sagt auch
Eike Arnold vom Verband Deutscher Ver-
kehrsunternehmen. Die zunehmende Zahl
an Fahrgästen und Radfahrern führe un-
weigerlich zu Konflikten. „Wir brauchen
mehr Angebot grundsätzlich im ÖPNV,
aber auch mehr Infrastruktur“. dpa

Weiß, winzig –


und weg


Apples Kopfhörer sind kabellos und vor allem eins: schnell
verloren. Die Betreiber der New Yorker U-Bahn
müssen immer mehr von ihnen von den Gleisen klauben

Bringt die Industrie ein
unpraktisches Produkt auf den
Markt, folgt bald ein zweites

DEFGH Nr. 209, Dienstag, 10. September 2019 (^) WIRTSCHAFT 23
„Die Berliner lassen echt viel rumliegen“, zum Beispiel Gebisse, Rollstühle oder Geldbörsen. Airpods tauchen bei der Ver-
kehrsgesellschaft bislang vielleicht zwei im Monat auf. FOTO: VLLADIMIR PROSKUROVSKIY/UNSPLASH
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