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NZZamSonntag8. September 2019
HintergrundUmwelt
P. NOR
MAND/OPALE/LEEMAGE/LAIF
«Ich schreibe immer dasBuch, das ich selber gerne lesenwürde»: Jonathan SafranFoer in New York.
JonathanSafranFoer
Tier- und Klimaschützer
Jonathan Safran
Foer, 42, gelang
mitseinem Roman-
debüt«Alles ist
erleuchtet» 2002
ein Welterfolg.
Seither hat er
mehrereweitere
Bestsellerverfasst,
darunter 2009
«Tiereessen», ein
Plädoyer für den
Vegetarismus.
«Wir sind das
Klima»ist sein zwei-
tes Sachbuch.Foer
lebt alsVater von
zwei vegetarischen
Söhnen inBrooklyn,
New York.
«Mit Klimamärschen
beruhigenwir
uns erschlechtes Gewissen»
Den Linken liege dieUmwelt nicht mehr amHerzen alsden Rechten, sagtder US-Bestsellerautor Jonathan
Safran Foer. Entscheidendsei, ob man handle odernur da von rede.Interview:Sacha Verna, New York
NZZ am Sonntag:Herr Foer, was hatten Sie
heutezum Frühstück?
Jonathan SafranFoer:Reste. Fladenbrot
mit Zatar-Gewürzmischung, die ich in der
DamascusBakery, einem meiner Lieblings-
geschäfte hier in Brooklyn,gekauft habe,
dazu Olivenpaste.Köstlich.
Keine Tierprodukte also. Gemäss dem Unterti-
tel Ihres neuen Buches haben Sie damit schon
malein bisschen denPlaneten gerettet. «Vegan
biszum Abendessen» lautet IhrRezept, um die
globale Erwärmung in den Griffzu kriegen. So
einfach – ist das Ihr Ernst?
Es ist mirvöllig klar, dass enormeVerän-
derungen auf politischer undgesellschaft-
licherEbene nötig sind, um eine Klimakata-
strophe abzuwenden.Wir müssenweg von
fossilen Brennstoffen und brauchen einen
anderen Umgang desWestens mit Entwick-
lungsländern.Ressourcen müssenkomplett
umverteilt, die Weltwirtschaft überhaupt
umgedachtwerden. Eigentlich brauchenwir
eineRevolution. AberRevolutionen setzen
sich aus denTaten Einzelner zusammen.Ich
halte es schlicht für unmoralisch,wenn wir
als Individuenweit erhin ingemütlicherResi-
gnationverharren und sagen: «Meine Hand-
lungen sind viel zu bedeutungslos, um
irgendetwas zu bewirken», und unsereVer-
antwortung anSysteme abschieben, denen
gegenüberwir uns für machtlos erklären.
Sie haben bereits in IhremBestseller «Tiere es-
sen» für eine vegetarische, wenn möglich
vegane Ernährungplädiert.Was hat Sie dazu
veranlasst, in«Wir sind dasKlima!» dieRet-
tung derWelt inAngriffzu nehmen?
Der Tod meiner Grossmutter. Dieses Ereig-
nis brachte mich dazu, über die Entscheidun-
gen nachzudenken, dieMenschen treffen.
Meine Grossmutter floh aus dem polnischen
Dorf, in dem sie aufgewachsen war, kurz be-
vor die Nazis kamen.Der Rest ihrerFamilie,
ihre Freunde blieben. Die meistenvon ihnen
wurden ermordet.Meine Grossmutter war
nicht klüger als sie, auch nicht unbedingt
mutiger. Allewussten, dass die Nazis im An-
zug waren. Aber imGegensatz zu ihrenVer-
wandten undBekannten beschloss meine
Grossmutter zu handeln.Wir allewissen,
dasswir unseren Planeten und uns selber
zerstören,wenn wir unserenLebensstil nicht
ändern. Trotzdemverhaltenwir uns noch
immerwie Zuschauer eines Dramas anstatt
wie Akteure darin.
Ist es nicht etwas heikel, dieKlimakrise,Tofu-
Würstchen und denHolocaust ineinenTopf zu
werfen?
Mir geht es u m dieFrage:Wie werden wir
zu Menschen, die sich nicht beiGefühlen
aufhalten, sondern etwas unternehmen?Wir
müssen Entscheidungen treffen, die uns im
Augenblickwie ein Opfer erscheinen, sich
längerfristig aber als überlebensnotwendig
erweisenwerden. Von allenMöglichkeiten,
denAusstossvon Treibhausgasen zuredu-
zieren, ist die,vor dem Abendessenkeine
Tierprodukte zukonsumieren, für einen Ein-
zelnen am einfachsten zurealisieren.
«Wir sind dasKlima!» isteine Mischung aus
Bekenntnis,Manifest undAnekdotensamm-
lung,garniert mit zahlreichenDaten sowie
einemQuellenverzeichnis, dasfünfzig Seiten
umfasst. Fürchten Sie, ohneStatistiken nicht
ernstgenommenzu werden?
Das ist keine persönliche Eitelkeit. So
unterschiedlich diePrognosen, Studien und
Modelle sind, auf ich mich berufe, sie laufen
alle auf dasselbe hinaus: In den nächsten
hundertJahren wird die Temperatur auf
unserem Planeten aufgrund menschlicher
Aktivitäten zwischen zwei und sechs Grad
Celsius steigen, was schwerwiegendeFolgen
für unsere Umwelt und unserLeben hat.Den
Punkt, an dem dieserProzess unumkehrbar,
ja sogar selbstverstärkendwird, legen man-
che früher, andere später an. Aber dass eine
Katastrophe irgendwann unabwendbar ist,
wenn wir nichts mehr unternehmen,wird in
wissenschaftlichen Kreisen kaum bestritten.
Sie haben dasPublikum, daszu Ihren Lesun-
gen erscheinen und Ihr Buch kaufen wird, be-
reits auf Ihrer Seite.Wie aber wollen Sie damit
Leuteerreichen, die wiePräsidentTrump den
Klimawandel als Erfindung derChinesenbe-
zeichnen und jegliche davon ausgehendenGe-
fahren in Abrede stellen?
Zunächst gilt es die Klimadebatte zu ent-
politisieren.Ich glaube nicht, dass der Lin-
ken mehr an der Umwelt liegt als derRech-
ten. Kennen SieBen Shapiro?
Einerzkonservativer Kommentator und Pod-
cast-Moderator.
Shapiro ist der Inbegriffvon jemandem,
den man für einen Klimawandelleugner hal-
ten könnte. Er lud mich in seine Show ein,
und ichfand, dasGesprächverlief hervor-
ragend. Er räumte ein, dass sich die Erde
stärker und schneller erwärmt als je zuvor
und dass dieMenschen zumTeil dafürver-
antwortlich sind. Er stimmte mir zu, dasswir
unserVerhalten ändern müssen. Zu meiner
grossenÜberraschung ging er sogar soweit
zu erklären, erwerde in Zukunftweniger
Fleisch essen und seinPublikum dazu anhal-
ten, dasselbe zu tun.
Dafür hater bestimmt vielKritikgeerntet.
Schon möglich. Aberwenn zweiLeute mit
derart gegensätzlichen Weltanschauungen
wie Shapiro und ich zusammenfindenkön-
nen, dannkönnen es alle.Ich verstehe die
Frustrationvon Konservativen, die sich in
der Klimadebatte alsBösewichte dargestellt
sehen und in dieDefensive gehen.Wir haben
einefalsche Trennung zwischen jenenge-
macht, die den Klimawandel leugnen, und
jenen, die ihn alsTatsache akzeptieren.Denn
der wirkliche Graben liegt zwischen jenen,
die etwas dagegen tun, und jenen, die nichts
tun. Mit Klimamärschen,T-Shirts undAuto-
aufklebern mit den richtigen Slogans beruhi-
gen wir unser schlechtes Gewissen. Aber
wenn wir es dabei belassen, sindwir nicht
besser als jene, die bestreiten, dass der
Klimawandel überhaupt stattfindet.
Ihnenwäre ein Ben Shapiro, der morgens auf
seinRührei verzichtet, also lieber alsein Publi-
kum, das Ihr neues Buchbeklatscht und sich
nach derLesung ein paarHamburger gönnt?
Folgen hat, waswir tun oder lassen, nicht,
was wir dabei empfinden oderwelcher Partei
wir an gehören.
Alle demokratischenPräsidentschaftskandi-
datenhabenMassnahmengegen dieglobale
Erwärmungversprochen. Wer ist IhrFavorit?
Für mich stellt sich dieFrage:Wer ist in
der Lage, einenvon derPolitik unabhängigen
Konsens herbeizuführen und so diese Mass-
nahmen auchwirklich durchzusetzen?Ich
bin nicht an radikaler Rhetorik intere ssiert.
Debatten darüber, obwir imJahr 2040 oder
2050 CO2-neutral sein sollen, führen zu
nichts. Die kleinstenSchritte sind oft die
radikalsten, und wer den ersten davon
macht,wird meine Stimme erhalten.Jeman-
denwie Shapiro, der Umweltschutzgesetze
generell ablehnt, dazu zu bringen, seine Er-
nährung umzustellen – das ist radikal.
DieKrise unseres Planeten eigne sich nichtfür
guteGeschichten, schreiben Sie in«Wir sind
dasKlima!».Viele Ihrer Kollegen sindoffenbar
anderer Meinung. Apokalyptische Umwelt-
romane haben derart Konjunktur, dass dafür
sogarein neuer Gattungsbegriff geprägtwor-
den ist: «cli-fi»,für «climate fiction», «Klima-
literatur».
Motivieren dieseRomane uns zum Han-
deln?
Sollten sie das?
Es ist das Einzige, was zählt.
Ist das wirklich dieAufgabe der Literatur?
Na ja, nicht unbedingt...Ich meine, die
Literatur ist nicht dazu da, eine bestimmte
Aufgabe zu erfüllen. Und verschiedene
Schriftsteller habenverschiedene Absichten
und Bedürfnisse. Nun habenwir aber mit der
Erderwärmung einProblem, dasgelöst wer-
den muss. Und dieLösung diesesProblems
ist wichtiger als Unterhaltung.Wichtiger als
eine guteGeschichte. Ich glaube dazu am
meisten beitragen zu können, indem ich
Sachbücher schreibe.
Wieso sollte«Wir sind dasKlima!» mehrbewir-
ken als die unzähligenBücher, Artikel, Fern-
seh- und Radioberichte, dieeszu diesem
Themabereits gibt?
Ich schreibe immer das Buch, das ich sel-
ber gerne lesenwürde. Egal, ob es sich dabei
um einenRoman oder um einSachbuch han-
delt.Ich habe viele, zum Teil sehr gute
Bücher über den Klimawandelgelesen. Sie
haben mich schockiert undverängstigt, aber
keines hat mich dazugebracht, meinLeben
zu verändern.Mein Buch basiert auf zutiefst
persönlichen Erfahrungen undÜberzeugun-
gen. Ich hoffe, dass ich damit meineLeser
auf einerEbene erreiche, die überrein in tel-
lektuellesVerstehen hinausgeht. Ausserdem
ist es jakein Wettbewerb.Wenn jemand sagt:
«Ichwerde einetolle Geschichte über den
Klimawandel erzählen» – prima! DieWelt
wird dadurch bereichert.Wir brauchen eine
Vielfaltvon Herangehensweisen undMotiva-
tionen. Das Entweder-oder-Stadium haben
wir längst hinter uns: entwederRomane oder
Sachbücher, entweder eine CO2-Steuer oder
Eigenverantwortung.Wir benötigen alles,
und zwar dringend.
Wir verhalten
uns noch
immer wie
Zuschauer
eines Dramas
anstatt wie
Akteure darin.