Neue Zürcher Zeitung - 08.09.2019

(John Hannent) #1

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FOTO: OMAR LEMKE, MUSEUM DER

KULTUREN

BASEL

Derzeit imBasler
Museum der Kultu-
ren in der Ausstel-
lung«Wissensdrang
trifft Sammelwut»
zusehen: Grabfigur
von der indonesi-
schen Insel Sumba,
1949 vom Ethnolo-
gen AlfredBühler
für Tuch und Tabak
abgehandelt.

Wenn derSchweizerische Nationalfonds
ein Digitalisierungsprojekt desVölkerkunde-
museums Zürich ablehnt, ist das bezeich-
nend für den steinigenWeg vieler Museen.
Wenn SamuelBachmannvom Bernischen
HistorischenMuseum davon spricht, dass
Geldge ber mehr Intere sse an Blockbustern
haben als anProvenienzforschung,verken-
nen sie die diplomatischen Chancen, die
auch für diePolitik darin liegen:Bachmann
ist es mit demAustauschvon digitalisierter
Information, einerKonferenz undKontakten
vor Ortgelungen, gemeinsam ein differen-
zierteres Bildvon derRolle von Schweizern
während der Niederschlagung desHerero-
Aufstandes durch die deutscheKolonial-
macht im heutigen Namibia zuvermitteln.


Wie schnellVertrauenwiederverspielt ist,
zeigte sich, als der «Tages-Anzeiger» dieses
Frühjahr fälschlicherweise schrieb, das
BernerMuseum besitze zweiHerero -Schä-
del. Sofort kam die Nachfrage aus Namibia,
ob diese Information stimme. Ein Miss-
verständnis, das schnell in Misstrauen hätte
umschlagenkönnen. Nur durchTeilen und
Vertrauenwird es gelingen, daskolonialisti-
sche Zeitalter in seinenWidersprüchlichkei-
ten und seinenVerstrickungen zuverstehen
und daraus etwas zu lernen für heute:
ein Miteinander aufAugenhöhe.Von beiden
Seiten, ohne unangebrachte Schuldvor-
würfe, ohnefalscheScham. Dann dürfte
auch die Zeit für diplomatische Extratouren
mit Kulturgütern abgelaufen sein.

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Boris Wastiau, der Direktor des
Ethnografischen Museums inGenf,
wehrt sich gegen Vorwürfe, Museen
würden Rückgaben behindern.Er
entwickelt neueKonzepte.

NZZ am Sonntag:Herr Wastiau, der senegale-
sischeÖkonomFelwine Sarr und diefranzösi-
sche Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy haben
die Diskussion umKulturgüter, die sich aus der
Kolonialzeit inwestlichen Museen befinden,
neu entfacht.Wie reagieren Sie darauf?
Boris Wastiau:DieseAussage ist so nicht
ganz zutreffend. Es gabvor den beiden schon
postkolonialeForschung zum Zeitalter des
Kolonialismus.Ebenso eineProvenienz-
recherche zu Objekten aus dieserPeriode.
Sarr undSavoy haben da nichts Neues hinzu-
gefügt. «TheScramblefor Art in Central
Africa», das erste Buch über den Raub afrika-
nischerSammlungen erschien1998,einzelne
Studiengehen bis in die 1980 er Jahre zurück.
Viele Museen undKuratore n haben immer
wieder Objekte ausKolonialsammlungen
zurückgegeben. Da muss man nicht so tun,
als würde nichts passieren.

Das sind doch aber Einzelfälle.
Das kann man so nicht sagen. Bisher
wurden über eine Million Objekte zurück-
gegeben. Alleine 600 000 davon in denUSA.
Dänemark gab 85000 an Grönland zurück.
Oft sind es kleine Objekte, diekeinen hohen
Marktwert haben, aber für die jeweiligen
Völker kulturell oder spirituellwichtig sind.

Welche Folgen hat das für die Museen gehabt?
In Europafürchtet man leere Vitrinen.
Das ist aus meiner Sicht schwer nachvoll-
ziehbar. DieDepots sind in allerRegel voll,
vieles können dieMuseen gar nichtzeigen.
In denUSA ist es so, dass ein Bundesgesetz
den First Nations die kulturellenRechte an
solchen Objekten zuspricht, auchwenn sie
sie nicht im juristischen Sinn besitzen. Und
was ist danach passiert?Meistens bedankten
sich die Indianer bei denMuseen für die gute
Pflege, baten darum, den Objekten eine
Information zuzufügen, die sagt,wie sie ins
Museumgelangt sind, und holten sieviel-
leicht einmal imJahr ab, um sie für eine kul-
turelle Zeremonie zuverwenden. Danach
brachten sie siewieder zurück.

Was sag en Sarr und Savoy da zu?
Es gehe ihnen um Afrika. Undwenn ich
nachfrage, sie sollen mirkonkreteBeispiele
für Afrika nennen, bei denenwestliche
Museen sichgegen Anfragen sperren,wei-
chen sie aus.Ich habe elfJahre amKönig-
lichenMuseum für Zentralafrika inTervuren
bei Brüsselgearbeitet, das alsKolonial-
museumgegründetwurde. Das kleineBel-
gien war mitBelgisch-Kongo einekoloniale
Grossmacht.Ich kenne dieLage in Afrika.

Gegen das Museum inTervuren gab es be i
seinerWiedereröffnung imDezember Proteste.
Es beherbergtviele Objekte mit ungeklär-
ten Provenienzen. Hier gibt es nochviel zu
tun. Entsprechend haben AktivistenForde-
rungen nachRückgabengestellt. Das gabviel
Lärm, brachte inhaltlich nichts Neues.

Wieso gab es dann dieseProteste?
Weil die breite Öffentlichkeit dieseFor-
schung anscheinend nie zurKenntnis
genommen hat.

Sie waren dortKurator. Warum gibtes die
Probleme noch immer?
Manche kuratorischenAufgabenwurden
in Tervuren in den 2000erJahren nicht
fortgesetzt. Das betraf denKontakt mit His-
torikern. Hinzukommt, dassProvenienz-
forschung immer noch oft in akademischen
Kreisen und ohne die Ursprungsländer statt-

«Austausch


istunswichtiger


alsObjekte»


Zukunftskonzept aus Genf


findet. Es gibtkeine öffentlicheDebatte. Das
ist aber eingenerellesProblem, auch inGenf.

Wie siehtes be i Ihnen mitRückga ben aus?
Wir sind das ersteMuseum in derSchweiz,
das schon in denfrühen 1990er Jahren
Maori-Köpfe nach Neuseeland zurückge-
geben hat. Ohne Anfrage.Rückgaben sind für
uns überhaupt nichts Neues. ImGegenteil,
wir hä tten gerne Anfragen dazu.

Wieso das denn?
Wenn wir Anfragen hätten, könnten wir in
einen Dialog eintreten.Leider habenwir
keine einzige erhalten, seit ich hier bin.Aus-
tausch ist unsviel wichtiger als Objekte.Wir
reagieren übrigens nicht auf eine öffentliche
Diskussion,wie Sie am Anfang angedeutet
haben.Wir gehen voran!

Inwiefern?
Wir haben ein neuesMuseumskonzept für
die Jahre 2020 bis 2024 entwickelt, das auf
interkulturelleKontakte setzt undvon Natio-
nen über NGO bis zu lokalenGemeinschaften
und Wissenschafternviele verschiedene
Perspektiven in Ausstellungen einbindet.
Wir wollen dasMuseum dekolonialisieren
und aufzeigen,wie ethnografischeSamm-
lungen vom Kolonialismusgeprägt sind. Und
wir versuchen, unsere Objekte zu aktivieren.
So wird beispielsweise unsereSammlung aus
Musikinstrumenten restauriert undMusi-
kern zugänglichgemacht. Stradivariswerden
auch nicht inMuseumsvitrinengestellt, son-
dern beiKonzerten eingesetzt.So bleiben die
Dinge für dieGegenwart lebendig.
Interview: Gerhard Mack

Der 1970 geborene
Belgierwar nach
Studien in Brüssel,
Portugal und Eng-
land elf Jahre lang
Kurator am König-
lichen Museum für
Zentralafrika in
Belgien und leitet

BorisWastiau


seit 20 09 das Eth-
nografische
Museum in Genf,
dessen Neubau er
2014 eröffnete. Er
ist ein ausgewiese-
ner Kenner Afrikas
und lehrteander
Universität Genf.

Musikkollegium Winterthur
LLEEIITTUUNNGGTThhoommaassZZeehheettmmaaiirr
OBOEMariaSournatcheva

Stad
CHF 78/65/43/30

dthausWinterthur— 19. 30 Uhr

MI11.SEP 2019
DO12.SEP 2019

TICKETS&INFORMATIONEN
WWW.MUSIK KOLLEGIUM.CH
TELEFON+41 52 620 20 20

SAISON-
ERÖFFN
UNG
22001199

SCHEHERAZADE

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