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NZZamSonntag8. September 2019
KulturRestitution
FortsetzungvonSeite 57
Siewürden...
NurdurchTeilenund
Vertrauenwirdes
gelingen,daskolonia-
listischeZeitalterin
seinenWidersprüch-
lichkeitenzuverstehen.
wurde dort herausgebrochen. Die Spuren
sind auf derRückseite noch zu sehen, ebenso
wie die alte Inventarnummer derSammlung
Eduardvon derHeydts.Der Museumsstifter
hat sie um 193 0 von dem PariserKunsthänd-
ler ChingTsai Loo erworben, derwiederum
von GabrielJouveau-Dubreuil beliefert
wurde. Der Archäologe und Naturwissen-
schafter unterrichtetein Südindien am Col-
lègeFrançais, erforschte die indische Archi-
tektur, machte sie in Europa bekannt und
weckte Interesse auch anVersatzstücken aus
verlassenenTempelanlagen. Er warWissen-
schafter,Sammler und Händler in einer
Person.WelcheGeschichte will man heute
mit derWächterfigur erzählen: die der Figur,
des Hinduismus, derProvenienz? Ist hier
Unrechtgeschehen?Rückgabeforderungen
wurden niegestellt, Raub gab es hierkeinen.
BorisWastiau sieht in dieserMélangedes
kolonialen Zeitalters dengenerellenKontext
derSammlungen: «Die meisten Objekte
kamenvor dem Ende desKolonialismus in
dieSammlungen, auch in derSchweiz. Das
waren oft Ingenieure, Handelsleute und
Missionare, dieSammlungen anlegten oder
imAuftragvon kolonialenAgenturen an
Museen Objektevermittelten.»
Wie umfassend das auf diekolonialen
Gebiete selbstwirkte,zeigt eineAusstellung
zurRollevon Schweizer Missionaren, die
dasMuseum inLausanne zusammen mit
dem EthnografischenMuseum in Neuenburg
erstellt hat: Pflanzen, Tiere, Flüsse und
Bergeerhielten neue Namen, sogar Zugehö-
rigkeiten von Gemeinschaftenwurden neu
bestimmt und Grenzen neugezogen, alles
nach Kategorien, die die Missionare aus ihrer
westlichenWeltanschauung mitbrachten.
«Bekehrung war mit Europäisierungverbun-
den», sagtKurator LionelPernet.
BritischerRaubzug
Aber selbst klareFälle fürRestitutionen
erweisen sich schnell alskompliziert. Ein
Paradebeispiel, das seitJahren diskutiert
wird, sind die sogenannten Benin-Bronzen.
1897 brannten britischeSoldaten alsVergel-
tungsaktion die Hauptstadt des damaligen
KönigreichsBenin im heutigen Nigeria
nieder und raubten, was sie mitnehmen
konnten. Tausendevon Objekte über-
schwemmten den Antiquitätenhandel. Die
Elfenbeinarbeiten undMetallgüsse zählten
schon damals zu den herausragenden künst-
lerischenÄusserungen aus Afrika. «Es gab
einenregelrechten Wettbewerb um die
besten Stücke», sagt AnnaSchmid, die Direk-
torin desMuseums derKulturen inBasel.
Daverwundert es nicht, dassvielewest-
licheMuseen Objekte aus demKönigtum
Benin haben.Auch in derSchweiz. Oftvon
unterschiedlicher Qualität undProvenienz.
Sohat etwa das Historische undVölker-
kundemuseum St. Gallen einenMetallkopf.
In Basel befinden sich ebensowie im
Museum Rietberg mehrere Stücke, um nur
ein paar Häuser zu nennen. «Es ist allen klar,
dass hier ein Unrechtszusammenhangvor-
liegt», sagt Esther Tisa. Und alle sind bereit,
Stücke aus dem Raub zurückzugeben.
Dennochzeigengerade dieBenin-Bronzen
einzentralesProblem im Umgang mit Objek-
ten auskolonialen Zusammenhängen: Es
fehlt eingemeinsamer Code of Conduct.Bei
Benin befinden sich diezentralenBestände
aus der Plünderungvon 1897in den grossen
Museen inLondon, Paris undBerlin. Die
haben 2010 den sogenannten Benin-Dialog
etabliert, um einen Rahmen für einen sinn-
vollen Umgang mit den Objekten zu schaf-
fen. Wer ist berechtigt, solche einzufordern
und in Empfang zu nehmen? Darüber
herrscht im heutigen Nigeria immer noch
keine Einigkeit und schon gar nicht zwischen
den involviertenLändern undMuseen. Die
juristische Situation ist ein Chaos.
DieMuseen mit kleinenBeständen warten
ab, bis die grossen sich auf einen Handlungs-
rahmengeeinigt haben. Dazugehören auch
dieSchweizerMuseen. Das Rietberg-Museum
hat für seine mutmasslichen drei Objekte aus
dem britischen Raubzug nochgenausowenig
eine Anfrage erhaltenwie dieMuseen in
St. Gallen oderBasel. Dabei stehen bei allen
diefraglichen Objekte auf denfrei zugäng-
lichenWebseiten derMuseen.«Wir schlies-
sen uns einerRegelung an», sagtAchim
Schäfer in St. Gallen. Manche hättengerne
eineVorgabe analog zu denWashingtoner
Prinzipien für Raubkunst aus der NS-Zeit.
Dann gäbe es einen internationalen Rahmen
um zu handeln. AnnaSchmidverweist auf
die Richtlinien des Internationalen
Museumsverbandes ICOM.
IhrePosition haben die Direktorinnen
und Direktoren der EthnologischenMuseen
im deutschsprachigen Raum im Mai in der
sogenannte Heidelberger Stellungnahme
dargelegt. Ohne medialesGetöse fordern die
Unterzeichner darin, die «Beziehungen
zwischenMenschen» in denVordergrund zu
stellen. Sie sprechenvon Urhebernvon
Objekten, die derenVertretern zurückge-
gebenwerden sollen,wodiese daswün-
schen. Siefordern, aktiv Transparenz und
Zugang zu Informationen herzustellen und
Wissen zuteilen.KulturellerAustausch auf
denfalschengesehenwird, vor allemFrauen
gelten alsgefährdet. Mitglieder des entspre-
chenden Stammes sahen die Abbildung des
Objekts auf derWebsite und kontaktierten
AchimSchäfer mit der Bitte, sievom Netz zu
nehmen. Hier ist das Internet globalverbin-
dend.Schäfer sieht denn auch die Digitalisie-
rung von Sammlungen als dieAufgabe seiner
Generation: «An einem kleinen Hauswie
unseremkomme ich leider nicht dazu,wirk-
lichForschung zu den Objekten zu betreiben,
aberwir schaffen dieVoraussetzung dafür,
dass die nächsteGeneration das kann, und
dass sie das imVerein mit den Indigenen auf
eineviel breitereBasis stellen kann.»
Das braucht aber auch ein finanzielles
Engagement derSchweizerKulturpolitik.
90 %
aller Kulturobjekte
Afrikas südlich der
Sahara befinden
sich laut Sarr/Savoy
ausserhalb des
Kontinents.
3
von 16 Objekten aus
dem Königreich
Benin in denBestän-
den des Rietberg-
Museumsstammen
vermutlich aus dem
britischen Rache-
feldzugvon 18 97.
0
Anfragen nach
Rückgabevon
Objekten hat das
Völkerkunde-
museum Zürich in
den letzten zehn
Jahren erhalten.
Schwierige
Restitution
Wächterfigur auseinem indischen Tempel,
die über einen Archäologen an einenPariser
Händler gelangte und um 1930von Eduard
von der Heydt gekauft wurde. Heutesteht
sie im Museum Rietberg, Zürich.
MUS
EUM RIETBERG
ETHNOGRAPHISCHES MUSEUM GENF
Von einem Genfer
Diplomaten 1890
nachts abtranspor-
tiert:aus einem
buddhistischen
Kloster entwende-
ter Hausaltar, heute
im Ethnografischen
Museum Genf.
Augenhöhe ist das Ziel. Objekte sind ein
Mittel, ihn herzustellen.
Das muss nicht immer eineRückgabe sein.
Oft ziehen Urhebergesellschaften einenAus-
tauschvor. Soberichtet AnnaSchmidvon
zwei Grabfiguren, die der damalige Direktor
desMuseums derKulturen1949 von der
indonesischen Insel Sumba mitbrachte. Er
wargerade amVerpacken, als alte Männer sie
zurückforderten,weil siegestohlen seien.
Er überredete sie mit Stoff und einem Kilo
Tabak. «Als 1980 ein Mitarbeiter desMuse-
ums nach Sumbareiste und erklärte, man
würde die Objekte zurückgeben,wiesen die
Nachfahren das ab. Siezogen esvor, mit den
Fotos neue Figuren herzustellen.»
Wie dieserAustausch aussehen kann,
zeigt dasMuseum Rietberg. Das Haus pflegt
seitzehnJahren eineKooperation mit dem
Palastmuseum inFumban in Kamerun. In
Workshopswerden mit den dortigen Part-
nernRestaurierungstechniken entwickelt,
die man mit den Materialienvor Ort ausfüh-
ren kann. Dasreichtvon gerundeten Kleider-
bügeln, die dieTextilienvor scharfen Kni-
cken schützen, bis Transportverfahren, die
dazu beitragen, dass Ritualobjekte sicherer
zwischenMuseum und Zeremonien bewegt
werdenkönnen. DieWiederbelebung tradi-
tioneller Handwerkstechniken zurRestaurie-
rungzählt ebenso dazuwie dieSensibilisie-
rungfürdieSammlungsgeschichte. Auch die
afrikanischenMuseenkennenvon vielen
Objekten ihreProvenienz nicht.«Wir haben
bei dieser Arbeit immerwiedergehört, dass
Restitution zwar einwichtiges Thema ist,
aber nicht imVordergrund steht. Man
wünscht sichKooperationen für den Erhalt
des kulturellen Erbesvor Ort», sagt Michaela
Oberhofer, die dasProjekt betreut.
Damit dieserAustauschgelingen kann,
und nicht zuletzt auch, damit Objekte an ihre
Urheber zurückgegebenwerdenkönnen,
braucht es Information.Je zugänglicher die
Bestände derwestlichenMuseen für die
Ursprungsländer der Objektewerden, desto
besserkönnen sie ihre Interessen einbringen.
Mareile Flitsch sprichtvon der Notwendig-
keit einer «digitalen Transformation» der
Schweizer ethnografischen Institutionen
undverweist auf Erfolge, die damit erzielt
werdenkönnen.Sofertigt manvon Ausstel-
lungen in Zürich 360-Grad-Dokumente an
und stellt diese Indigenen zurVerfügung.
Gemeinschaften in Surinam, die aus ehema-
ligengeflohenen Sklaven der südamerikani-
schenKolonie hervorgegangen sind,verwen-
den das Material in derSchule.
Wiss ensspeicherfürdieMenschheit
In einem anderenFall besuchte eine Indiane-
rinvon der nordamerikanischenWestküste
dasVölkerkundemuseum, um an Objekten
alte Flechttechniken ihresVolkes zu studie-
ren. Sie nahm digitales Anschauungsmaterial
mit, um die alteFertigkeit in derSchule zu
unterrichten. Mareile Flitsch spricht da
von«digitalerRepatriierung». DasMuseum
erfüllt mithilfe neuer digitalerTechniken
seineAufgabe desBewahrens undDoku-
mentierens oftfragiler Objekte undLebens-
verhältnisse. Es ist da im ganz unmittelbaren
Sinn Speichervon Wissen für dieMensch-
heit, es bietet darüber hinaus aber auch eine
kulturpolitische Chance: Unter demMotto
«sharing objects building trust»können zwi-
schenLändern Brückengebautwerden.
Wie gut das funktioniert,zeigt ein ein-
fachesBeispiel aus St. Gallen. Dasrelativ
kleineVölkerkundemuseumgeht imWesent-
lichen auf St. Galler Kaufleute undReisende
zurück, die in dieHeimat schickten oder
mitbrachten, was sie in derWelt bemerkens-
wert fanden. Darunter befindet sich auch ein
Seelenholz, ein sogenanntes Tjurunga, der
Aborigines. Die australischen Ureinwohner
sagen ihm besondere spirituelle Kräfte nach,
dieverheerendwirkenkönnen,wenn esvon