NZZamSonntag8. September 2019
Schweiz 9
Von den Absprachensollen
auchAngestellte von Kanton
undGemeinden profitie rt
haben. Hinweise darauf
rücken inden Fokus der
laufendenUntersuchungen.
AndreasSchmid
Abgesahnt habenviele,geschä-
digtwurden der Kanton, Gemein-
den und private Bauherren. Mit
Absprachen über Preise und
Hundertevon Auftragsvergaben
bereicherten sich BündnerBau-
firmen über Jahre illegal. Die
Wettbewerbskommission(Weko)
verhängte nun mit einemweite-
ren Entscheid zum Kartell eine
Bussevon gesamthaft elf Millio-
nenFrankengegen ein Dutzend
Strassenbaufirmen. Diese hatten
zwischen 2004 und 2010 im
ganzen Kanton Submissionen im
Wert von 190 MillionenFranken
untereinander ausgemacht.
Bereits imFrühling 2018 hatte
dieWekoeinUnterengadiner Kar-
tell, das denregionalenHoch-
und Tiefbau manipuliert hatte,
BündnerBaukartell:Beamte gerateninsVisier
mit einer Bussevon total7, 5 Mil-
lionenFranken belegt.
Dass die beteiligten Unterneh-
mer das Kartell überJahre unge-
stört aufrechterhaltenkonnten,
liege daran, dass Kantons- und
Gemeindeangestellte mitgewirkt
hätten, sagt ein Eingeweihter. Er
nennt brisante Beispiele:Sohät-
ten Firmen imWissenvon Mit-
arbeitern des Tiefbauamts einen
zu hohenBedarf an Kies oder
Asphalt für kantonaleBaupro-
jekteveranschlagt.Der nicht be-
nötigteÜberschuss sei dann etwa
für das Erstellen einer Mauer oder
eines Parkplatzes eines privaten
Bauherrn verwendet worden.
Das Material sei diesem ebenfalls
verrechnetworden, womit es
doppelt – sowohlvom Kanton
als auchvomPrivaten – bezahlt
worden sei.
Angestellte des regionalen
Tiefbauamts hätten sich alsGe-
genleistung unentgeltlich Arbei-
ten an privaten Liegenschaften
ausführen lassen undteilweise in
bar sogenanntes Feriengelderhal-
ten, erzählt der Insider. Einer der
GIAN EHRENZELLER
/ KEYSTONE
BaustelleimEngadin:JahrelangwurdenVergabenabgesprochen.
Beteiligten habe sich einst für ei-
neBaufirma an den Absprachen
beteiligt, und nach einem Stellen-
wechsel zum Tiefbauamt habe er
dann alsBeamter davon profi-
tiert. Nicht alle Angestellten des
Bezirks-Tiefbauamts hätten aber
mitgemacht.
Brisantes Indiz: Esexistieren
Listen mit Namenvon kantona-
len Angestellten undGemeinde-
politikern, die mit Vermerken
versehen sind.Auf diesenDoku-
menten hielten die Firmen laut
der Quelle detailliertfest,wer En-
deJahr beschenktwerden sollte
undwie viel ervon wem zugut
hatte. Nicht selten hättenKuverts
mit einigen tausendFranken In-
halt die Handgewechselt.
Nun befasst sich die Parlamen-
tarische Untersuchungskommis-
sion mit den Hinweisen und be-
fragt involviertePersonen dazu.
Im Anfang Woche von der
Wekopublizierten Strassenbau-
Entscheidgeht es um Absprachen
im Zeitraumvon 2004 bis 2010.
Jährlichvergab der Kanton da-
mals etwa 100 Strassenbaupro-
jekte. In hohem Rhythmus trafen
sich dieBauunternehmer in die-
ser Zeit zu Sitzungen, um die aus-
geschriebenenAufträge unterein-
ander zuverteilen und diePreise
zu bestimmen.Wie dieWekoher-
ausfand,wurdenzeitweisefast
wöchentlich solcheVersammlun-
gen anberaumt;vor allem jeweils
zuBeginn desJahres,wennviele
Projekte ausgeschrieben waren.
«Gerade systematischgeführte,
grosse Kartelle führen zugewis-
senAuffälligkeiten, die durchaus
erkennbar sind», sagtFrank Stüs-
si, der stellvertretende Direktor
desWeko-Sekretariats.
Zwar habe man dieRolle der
Beschaffungsstellen nicht unter-
sucht; «abervor diesem Hinter-
grund ist es schwierigvorstellbar,
dass die kantonalenBehörden gar
nichts merkten», hält Stüssifest.
Der damals zuständige Regie-
rungsrat Stefan Engler (cvp.),
heute für Graubünden im Stände-
rat, betont, er habekeine Anzei-
chen für Absprachengehabt. «Ich
ärgere mich im Nachhinein dar-
über,wie der Kanton und dieGe-
meinden ausgetrickstwurden.»
Für dieLeute im Tiefbauamt, mit
denen er zu tungehabt habe, lege
er die Hand insFeuer, sagt Engler.
Sein Parteikollege MarioCavi-
gelli, der seitrund neunJahren
dem kantonalenBaudepartement
vorsteht, sagt, er habe schon 2013
nach Eröffnung derWeko-Un-
tersuchung Massnahmengegen
Absprachengetroffen.Sollten die
laufenden Untersuchungen nun
weiteren Handlungsbedarf er-
geben,werde dieRegierung die
Erkenntnisse umsetzen.
Die BündnerJustiz hält sich
weiter zurück, ein Strafverfahren
wurde bisher nicht eröffnet. Man
werde denWeko-Entscheid ana-
lysieren, sagt ein Sprecher.
KommentarSeite
YOSHIKO KUSANO/ FRESHFOCUS
BundesanwaltMichaelLauber:FührtdieWahldurchsParlamentzu gefährlichenAbhängigkeiten?(Bern,28.September2011)
LukasHäuptli,
AndreasSchmid
Es ist ein heftigerWahlkampf. Ein
Wahlkampf, als gingees um einen
Sitz im Bundesrat.Wöchentlich,
wenn nicht täglich melden sich
National- und Ständeräte, Regie-
rungsräteundRegierungsrätin-
nen,Professoren, Staatsanwälte
des Bundes und der Kantone zu
Wort. Sie erklären, warum Mi-
chaelLauber in zweieinhalbWo-
chen abgewähltwerden soll. Oder
wiedergewählt. Unbedingt.
Was bis jetzt nicht bekannt
war: Auch der Bundesanwalt
selbst mischt in diesemWahl-
kampf mit. Er hat dafür eigens
eine PR-Agentur angestellt. «Mi-
chaelLauber nimmt im Hinblick
auf seineWiederwahl für eine
weitere Amtsperiode seit letztem
Juli die Dienstleistung einer
Agentur in Anspruch», sagt eine
Sprecherin der Bundesanwalt-
schaft. «DieAgentur unterstützt
MichaelLauber persönlich, ins-
besondere mit derexternenBe-
obachtung derResonanz zu sei-
nerPerson und einer Einschät-
zung der diesbezüglichenLage.»
Weitere Angaben macht die
Sprecherin nicht – ausser dass der
Bundesanwalt die Kosten für
diese Dienstleistung privat trage.
LaubersWahl:
Politikerfordern
Systemwechsel
Bei derAgentur handelt es sich
laut einer Quelle um ein bekann-
tes Zürcher Unternehmen für
Kommunikationsberatung.
«Hexenjagd der Medien»
Der Wahlkampf ist nicht nur aus-
sergewöhnlich heftig, sondern
auch aussergewöhnlich politisch.
Die bekanntesten Parlamentarier,
die öffentlichLaubers Abwahl
fordern, sind die Nationalrats-
mitglieder Sibel Arslan(gp.) und
LorenzHess (bdp.). Sie haben am
letzten Mittwoch in derGerichts-
kommission der Bundesver-
sammlung entsprechende An-
trägegestellt; dieKommission
folgte ihnen mit 9:6 Stimmen.
Auf der anderenSeite stehen
unter anderen Ständerat Claude
Janiak(sp.) und die Nationalräte
Christian Lüscher(fdp.) undRo-
ger Köppel(svp.) fürLauber ein.
Bei der Kritik am Bundesanwalt
handle es um eine «Hexenjagd
derMedien», twitterteKöppel am
vergangenenDonnerstag.
DiePolitisierung derWahl ist
bemerkenswert,weil das Amt des
Bundesanwalts ein unpolitisches
ist. Oder ein unpolitisches sein
sollte. Deshalb stellt sich die
grundsätzlicheFrage: Ist es rich-
tig, dass 246 National- und Stän-
deräteden Bundesanwalt wäh-
Namhafte National- und
Ständeräte verlangen, dass
künftig nicht dasParlament,
sondernder Bundesrat den
Bundesanwalt wählt
len? Oder entstehen sogefähr-
liche Abhängigkeiten zwischen
dem höchstenSchweizer Straf-
verfolger und den Parlamenta-
riern, die Eigeninteressenverfol-
gen und die zumindest zumTeil
als Anwälte Parteien in Strafver-
fahren der Bundesanwaltschaft
vertreten? DieseGefahr drohe,
sagt ein langjähriger Staatsanwalt
des Bundes, der seinen Namen
nicht in der Zeitung lesenwill.
«Das öffnet Tür undTor für
gegenseitige Erwartungen. Es
droht, dass das Sprichwort wahr
wird: Brätst du mir dieWurst,
lösch ich dir den Durst.»
Auch aus diesem Grundfor-
dern jetzt zahlreiche National-
und Ständeräte, dass künftig
nicht mehr das Parlament, son-
dern der Bundesrat den Bundes-
anwalt wählt. «Das Parlament ist
der falsche Wahlkörper», sagt
FDP-Ständerat MartinSchmid.
Der Bundesanwalt nehmekeine
politischeFunktion wahr und ha-
be sich allein an denGesetzen zu
orientieren. «Gerade die aktuelle
Diskussion um dieWiederwahl
von MichaelLauber führt jetzt
aber zu einer parteipolitischen
Positionierung», stellt der ehema-
lige BündnerJustizdirektorfest.
Auch SP-Ständerat und Straf-
rechtsprofessor DanielJositsch
befürwortet eineWahl des Bun-
desanwalts durch den Bundesrat.
In den meisten Kantonenwürden
dieRegierungsräte und nicht die
Parlamente die General- und
Oberstaatsanwälte wählen. «Die-
sesSystem hat sichweitgehend
bewährt», sagt er. «Natürlichkön-
nen auch daFehler passieren.
Aber eine Dauerkrise wie bei
der Bundesanwaltschaft gibt es
in den Kantonen nicht.»Jositsch
fordert in einem imJuni einge-
reichten Postulat denn auch, dass
die heutige Struktur und Orga-
nisation der Bundesanwaltschaft
überprüftwird.
«Es war ni cht kl ug»
Ähnlichtönt es bei SP-Ständerat
ClaudeJaniak. «Es war nicht klug,
das Parlament alsWahlgremium
zu bestimmen», sagt er. «Eine
Wahl durch den Bundesrat garan-
tiertwohl eher die erhoffte Ent-
politisierung der Bundesanwalt-
schaft.» FDP-Ständerat Andrea
Caroni erklärt: «Bis jetztfand ich
die unabhängige Stellung der
Bundesanwaltschaft überzeu-
gend.Wenn ich jetzt aber sehe, in
welches politische Kräftemessen
siegerät,frage ich mich, ob sie
anderswie eingegliedert nicht un-
abhängiger wäre.» Und BDP-Na-
tionalratLorenzHess sagt: «Die
Wahl des Bundesanwalts durch
den Bundesrat sollte inBetracht
gezogen werden.»
Auch der Zürcher Strafrechts-
professor AndreasDonatsch be-
fürwortet dieWahl des Bundes-
anwalts durch den Bundesrat.
Der Basler Strafrechtsprofessor
MarkPieth hingegen sagt: «Die
Wahl eines Bundes- oderGeneral-
staatsanwalts durch das Parla-
ment ist die zweitschlechtesteVa-
riante», sagt er. «Die schlechteste
ist dieWahl durch dieRegierung
oder durch einen Minister. Da
sind die Abhängigkeiten nochviel
grösser.»Zahlreiche Parlaments-
mitglieder, unter ihnen Sibel Ars-
lan oder Christian Lüscher aus
derGerichtskommission,teilen
PiethsMeinung.
Der Bundesanwalt war jahr-
zehntelangvom Bundesratge-
wähltworden. Die Affäre um den
ehemaligenJustizminister Chris-
toph Blocher und Ex-Bundes-
anwaltValentinRoschacher im
Zusammenhang mit dem Straf-
verfahrengegen BankierOskar
Holenweger hatte das Parlament
aber zu einemSystemwechsel
veranlasst.Deshalb wählen seit
2010 National- und Ständerat den
Bundesanwalt. DieBegründung:
Sowerde die Unabhängigkeit der
Behörde bessergewährleistet.
AuchMichael
Laubermischt im
Wahlkampfmit.
Erhatdafüreigens
einePR-Agent ur
angestellt.