Beobachter - 13.09.2019

(nextflipdebug5) #1
FOTO: JEAN-CHRISTOPHE BOTT/KEYSTONE

O


ffiziell klingt alles plausibel. Viagogo ist
eine Plattform, auf der jeder sein Ticket
für ein Konzert oder ein Fussballspiel ver­
kaufen kann, falls er nicht selber hingehen kann.
Ein Zweitmarkt. Dahinter steckt ein raffiniertes,
undurchsichtiges Geschäftsmodell. Kunden aus
der ganzen Welt klagen seit Jahren, weil Preise
auf Viagogo überrissen oder Tickets plötzlich
ungültig sind.
1300 Beschwerden stapeln sich beim Staats­
sekretariat für Wirtschaft (Seco). Auch beim
Beobachter melden sich fast täglich verärgerte
Kunden. Einer davon ist Bruno Enz aus Adlis­
wil ZH: Im Frühling wollte er für das Monumen­
talspektakel Fête des Vignerons zwei Tickets
kaufen. Auf seiner Internetsuche landete er bei
Viagogo und buchte dort.
«Die Plätze konnte ich nicht auswählen. Weil
aber der Gesamtbetrag auffallend hoch schien,
dachte ich, ich hätte eine sehr gute Sitzkategorie
erhalten.» Als die Billette eintrafen, musste er
leer schlucken. Es waren zwei Plätze der schlech­
testen Kategorie, Originalpreis 79 Franken pro
Ticket. Bezahlt hatte er je 191 Franken, dazu
kamen Gebühren: alles in allem Fr. 578.80.
Es kam noch dicker. Auf den Tickets waren
Name und Adresse einer Frau aus Rostock auf­
gedruckt. Bruno Enz glaubte, diese Frau habe
ihre Tickets auf Viagogo überteuert zum Verkauf
angeboten. Er machte seinem Ärger Luft und
schrieb ihr einen Brief. Das Schreiben erreichte
die Ticketverkäuferin aber nie, es war unzustell­
bar und kam postwendend zurück.

Nur eine Adresse. Vermutlich gibt es die Frau
nicht. Wie es bei Viagogo überhaupt vieles nicht
gibt. Oder im Hintergrund anders funktioniert,
als es den Anschein macht.
Das Versteckspiel beginnt am Hauptsitz in
Genf. Hier gibt es nicht einmal einen Briefkasten,
nur eine Adresse bei einem professionellen
Bürodienstleister. Ob der einzige Verwaltungs­
rat, Prabhat Shah, in der Schweiz lebt, ist unklar.
Recherchen zeigen: Die Viagogo­Bosse sitzen
in London und New York. Das operative Zentrum
liegt in Limerick, Irland, und in Taipeh, Taiwan.
Die Eigentümer verstecken sich hinter der weit­

gehend unbekannten Muttergesellschaft Pug­
nacious Endeavors Inc., einer im US­Steuerpara­
dies Delaware domizilierten Briefkastenfirma.
Die technische Abwicklung läuft über eine
weitere Briefkastenfirma, die YSG Safe Proces­
sing Ltd. mit Sitz in Malta.
Der starke Mann hinter Viagogo und Pugna­
cious Endeavors Inc. heisst Eric Baker. Das geht
aus Unterlagen der US­Börsenaufsicht und des
britischen Firmenregisters hervor. Der Ameri­
kaner Baker hatte vor Jahren eine ähnliche
Ticket­Verkaufsplattform aufgebaut und sie an­
geblich für mehrere Hundert Millionen Dollar an
Ebay verkauft. Bis heute hält sich Baker im Hin­
tergrund. So wie die früheren Tennisstars Steffi
Graf und Andre Agassi, die bei Baker investierten
und ihre Beteiligung immerhin bestätigten.

Blick ins Handelsregister. Wie man ein Firmen­
konstrukt aufstellt und die Hintermänner ver­
bergen kann, lässt sich aus den Angaben im
Handelsregister nachvollziehen.
Am 30. Dezember 2011 sitzen in Basel zwei
Mitarbeiter einer renommierten Anwaltskanzlei
zusammen. Gemäss Gründungsakten vertritt
der eine die Pugnacious Endeavors Inc. als Auf­
traggeber. Sein Arbeitskollege beglaubigt als
Notar den Gründungsakt.
Dass Eric Baker mit zwei Gefolgsleuten hinter
der Pugnacious Endeavors Inc. steht, müssen die
Basler Anwälte niemandem verraten. Sie müssen
auch nicht bekannt geben, weshalb sie wenige
Tage später den Firmensitz nach Genf verle­
gen – vermutlich hatte das steuerliche Gründe.
Seit Jahren beissen sich verärgerte Kunden
und Kläger an diesem Konstrukt die Zähne aus.
Auch Veranstalter laufen gegen die Plattform
Sturm. Bei vielen Grossevents sind Tickets heu­
te personalisiert. Wer über Viagogo kauft, erhält
darum ungültige Karten. Erboste Konzertbesu­
cher stehen sich vor Stadien die Beine in den
Bauch, Veranstalter müssen eigene Schalter für
Viagogo­Opfer einrichten. Auf Reklamationen
antwortet die Firma mit Standardschreiben.
Doch woher stammen die Viagogo­Tickets?
Ehemalige Mitarbeitende berichten, sie hätten
sich bei populären Konzerten und Sportveran­

TICKETS. Die Onlinebörse zockt seit Jahren Ticketkäufer ab – mit
undurchsichtigen Methoden. Jetzt gerät die Firma in Bedrängnis.

So schummelt


Viagogo


578
Franken
haben die-
zwei Tickets
auf Viagogo
gekostet –
statt der
regulären
158 Franken.

28 Beobachter 19/2019
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