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Boysen-Hogrefe fest. „Eine tiefe Rezession,
die für viele Menschen dramatisch spür-
bar wäre, sehen wir nicht. Es deutet mehr
auf eine ausgeprägte Schwäche hin denn
auf einen Absturz der Konjunktur.“
Doch gerade in Unternehmen gibt es die
Tendenz, mögliche Krisen vorwegzu-
nehmen und sich immer auch auf das
Schlimmste einzustellen. Wie die „Prep-
per“, die sich Bunker im Garten graben und
Vorräte für die Apokalypse und den Angriff
der Zombies horten, so präparieren Ma-
nager ihre Firmen gern frühzeitig. Auch
das verstärkt die Krisenstimmung, ist
fast schon eine sich selbst erfüllende
Prophezeiung.
Hüseyin Öncü erlebt so etwas gerade.
Er ist stellvertretender Betriebsratsvor-
sitzender bei der Württembergischen
Metallwarenfabrik (WMF) in Geislingen.
Dort soll jetzt die traditionsreiche Koch-
topf-Fertigung eingestellt und nach Süd-
europa verlagert werden. „In unserem
Stammwerk geht es vermutlich um die
Streichung von rund 250 Arbeitsplätzen“,
schimpft Öncü. „Für uns ist es ein Schlag,
zumal die WMF kein Sanierungsfall ist.
Aber laut Geschäftsleitung ist die Koch-
geschirr-Fertigung defizitär.“
Im beschaulichen Geislingen geht die
Angst vorm Abstieg um, denn auch andere
Unternehmen am Ort planen Personalab-
bau. Es gibt hier viele mittelständische
Automobilzulieferer, bisher Rückgrat des
Wirtschaftsbooms, die sich ebenfalls kri-
senfest machen wollen. Bisher herrschte
nahezu Vollbeschäftigung wie fast überall
im Süden Deutschlands, jetzt könnten bis
zu 2000 Arbeitsplätze allein in Geislingen
wegfallen. „Viele meiner Kollegen arbeiten
seit dreißig, vierzig Jahren im Unterneh-
men. Wir alle haben zum Erfolg beige-
tragen – und haben jetzt Angst um unse-
re Zukunft“, sagt Öncü. Seit Juli suchen er
und seine Kollegen die Öffentlichkeit,
marschieren montags in gelben Warn-
westen ums Werksgelände und erhoffen
sich Hilfe von der Politik.
Dort ist das Thema Rezession längst
angekommen: Im Foyer eines Hotels am
Templiner See bei Berlin sitzt der CDU-
Bundestagsabgeordnete Carsten Linne-
mann und isst noch schnell ein Eibrötchen.
Nach und nach zieht die gesamte CDU-
Prominenz an ihm und dem mannshohen
Plüschbraunbären in seinem Rücken vor-
bei: der Gesundheitsminister – „Hi, Jens!“,
ruft Linnemann –, die Parteichefin, der
Bundestagspräsident. Alle auf dem Weg
zur Klausursitzung der Unionsbundes-
tagsfraktion.
Linnemann ist Vorsitzender der Mittel-
standsvereinigung seiner Partei und hat
sein Ohr an der Wirtschaft. „Ich bekomme
sehr unterschiedliche Signale“, sagt er. „Das
Handwerk, vor allem der Baubereich,
erlebt weiter Konjunktur. Aber jeder, der
mit Export zu tun hat, spürt es.“ Maschi-
nen- und Anlagenbauer, die Zuliefer-
betriebe der Automobilindustrie – für sie
sieht es nicht rosig aus.
Linnemann will die Lage nicht mies-
reden. Er weiß, wie wichtig Psychologie für
die wirtschaftliche Entwicklung ist – und
setzt deshalb auf positive Signale aus der
Politik. Er würde sich gern mit der SPD
noch mal den Koalitionsvertrag vorneh-
men, der unter viel besseren konjunktu-
rellen Bedingungen verhandelt worden ist:
„Hinsetzen, überarbeiten und Dinge vorzie-
hen, die die Wirtschaft unterstützen.“
3,15 Mio. -0,88 %
Euro bekommt Siemens
dafür, sich zwei Jahre lang eine
Milliarde Euro zu leihen
ist der Basis-
zinssatz der Deutschen
Bundesbank
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