Der Stern - 12.09.2019

(Sean Pound) #1
Im TV: „Hirschhausen im Hospiz“ kommenden Montag, 16. 9. 19, 20.15 Uhr, ARD

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erste Hospiz gründete. Von Saunders stammt der Satz:


„Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben,


sondern den Tagen mehr Leben.“ Die Pionierin ver-


stand, dass eine reine Schmerztherapie zu kurz greift,


wenn sie nicht die seelischen, sozialen und spirituel-


len Nöte und Schmerzen mit behandelt. Saunders


starb 2005 mit 87 Jahren in ihrem eigenen Hospiz. Sie


hat erlebt, wie ihre Idee um die Welt ging und an


vielen Orten dank einer engagierten Zivilgesellschaft


wuchs. Parallel dazu entstand auch die Idee, gezielt


Humor in die Medizin zu bringen, dank Vorreitern


wie Patch Adams und dem ersten Klinikclown Michael


Christensen. Beide sozialen Bewegungen, die Hospiz-


und die Humor-Aktivisten, sehe ich als eine Gegen-


kraft gegen die Ökonomisierung des „Gesundheits-


marktes“: Humanmedizin braucht Humanität.


An der Universität Bonn habe ich die Psychologin


Lisa Linge-Dahl und den Arzt Lukas Radbruch be-


sucht. Als Forscher untersuchen sie experimentell,


wie sich Humor in der letzten Lebensphase auswirkt.


Denn in Befragungen nach den größten Wünschen


platziert sich – bald nach „keine Schmerzen“, „nieman-


dem zur Last fallen“ – unter den Top Ten regelmäßig:


„Ich möchte meinen Humor nicht verlieren“. Aber wie


kann das gehen?


Das „Medikament“ in den Experimenten der Bon-


ner sind zwei Menschen, Mieke Stoffelen und Rainer


Kreuz, gelernte Schauspieler, langjährige Klinikclowns


und echte Improvisationskünstler. Sie konzentrieren


sich in den Begegnungen auf einen Aspekt, der bei


aller Anteilnahme manchmal zu kurz kommt. Sie


fragen, worüber jemand früher gern gelacht hat, von


Heinz Erhardt über Loriot und Otto bis Ringelnatz.


Und sie fragen nach unerfüllten Wünschen: Wenn


jemand immer davon geträumt hat, nach Venedig


zu reisen, wird aus dem Bett eine Gondel. Zur Ukule-


le erklingt ein fast-italienisches Lied, da fällt es der


Fantasie leicht, den Canal Grande zu spüren. Durch


Befragungen vorher und nachher soll belegt werden,


wie sich Stimmung, subjektive Lebensqualität und


ganz physische Phänomene wie Schmerzempfinden


bessern. Die Wirksamkeit des Humors zu erhärten ist


wissenschaftlich kein ganz leichtes Unterfangen.


Was wirkt da? Manchmal ist es einfach die Präsenz

von Menschen, die Gegenwart und „Gegenwärtigkeit“


von jemandem. Auf Englisch heißt „present“ sowohl
Gegenwart als auch Geschenk. Nicht allein sterben zu
müssen ist ein Geschenk, das in St. Hildegard gemacht
wird. Jeden Tag. Jede Nacht. Mit der Hilfe vieler Ehren-
amtlicher, von denen jeder seine eigene Geschichte hat.
Walter etwa, der Pianist, der im Obergeschoss ein Klavier
anschlägt, das sich auch in einem Western-Saloon gut
machen würde, hat hier im Hospiz seine Frau begleitet.
Seitdem kommt er einmal die Woche und macht mit dem
ziemlich verstimmten Instrument gute Stimmung. Wenn
Walter, mit sanften Händen seine Akkorde gleichmäßig
über die Tasten verteilend, „Von guten Mächten wunder-
bar geborgen“ zu Gehör bringt, glaubt man ihm gern.
Es gibt hier auch eine Trauergruppe, die sich zum Kaf-
fee trifft und zum Austausch. Ich sitze dabei, die meisten
kommen schon seit vielen Monaten und Jahren, der
Schock ist weg, die Trauer bleibt. In den Gesprächen in
der großen Runde komme ich mir ein bisschen wie beim
Skatspielen vor, mit umgekehrten Regeln: Ich nehme
einen Hauch von Wettbewerb wahr – um das schlechtes-
te Blatt: Wer am meisten gelitten hat, gewinnt. Nicht das
Spiel, sondern die Aufmerksamkeit. Als ich das anspre-
che, wird gelacht. Ein gutes Zeichen. Und als ich nach der
dritten Tasse Kaffee loskomme, fällt mir auf: Die zwei
Männer in der Runde haben praktisch nichts gesagt.
Schwester Ragnhild hat ihren eigenen Mann in diesem
Hospiz in den Tod begleitet. Und arbeitet weiter hier. Ich
überlege, welche Analogie das „draußen“ hätte. Ein Koch,
der an einem freien Tag in seinem eigenen Restaurant
essen geht?
Wenn ich davon erzählt habe, dass ich freiwillig in ein
Hospiz gegangen bin, bekam ich oft zu hören: „Das könn-
te ich nicht.“ Es bleibt ein Tabu, dem Tod Besuche abzu-
statten. Ambivalent ist unser Verhältnis zu ihm, angst-
besetzt, irrational. So als wenn es ein böses Omen wäre,
man sich in seiner Gegenwart mit etwas unsichtbarem
Fiesem ansteckt, etwas an einem für immer hängen bleibt.
Was mich im Rückblick aber am meisten beschäftigt
hat: Ausgerechnet die Menschen, die jeden Tag mit dem
Sterben zu tun haben, scheinen am wenigsten Angst da-
vor zu haben. Woody Allen meinte: „Ich habe keine Angst
vor dem Tod. Ich will nur nicht dabei sein, wenn es pas-
siert.“ Immer ein guter Lacher. Aber inzwischen denke ich
anders darüber. Jeder Mensch hat zwei Leben: Das zwei-
te beginnt, wenn man kapiert, man hat nur eins. 2

Als junge Mediziner
lernten wir: Der Tod ist
der Feind, unsere
Aufgabe heißt Kampf.
Meine Gespräche
im Hospiz, zum
Beispiel mit Rosita,
vermittelten mir einen
ganz anderen Blick

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