Spektrum der Wissenschaft 8.19 39
Kat Arney arbeitet als Wissenschaftsautorin
und Rundfunkmoderatorin. Sie lebt in der
Nähe von London.
spektrum.de/artikel/1654776
SERIE
Gentherapie
Teil 1: Juli 2019
Gentherapie gegen Hörschäden
Dina Fine Maron
Bessere Verpackung für Genpakete
Neil Savage
Teil 2: August 2019
Eine neue Haut
Kat Arney
Anleitung zum Selbstschutz
Amanda Keener
Teil 3: September 2019
Reparatur in der Gebärmutter
Sarah Deweerdt
CENTRO DI MEDICINA RIGENERATIVA (CMR) UNIMORE
Fachartikel sind oft schwer verständlich, aber es kommt
selten vor, dass die Lektüre regelrecht schmerzt. Doch
wer das erste Bild in dem »Nature«-Paper »Regeneration
of the entire human epidermis using transgenic stem cells«
betrachtet, kann kaum anders, als zusammenzuzucken: Es
zeigt den kleinen Jungen Hassan, der von Kopf bis Fuß mit
offenen, blutenden Wunden übersät ist.
Der Sohn syrischer Flüchtlinge, die nach Deutschland
kamen, leidet an einer angeborenen Hauterkrankung na-
mens Epidermolysis bullosa junctionalis (EBJ). Dieser schwe-
ren Komplikation liegt ein Defekt in einem der Gene LAMA3,
LAMB3 und LAMC2 zu Grunde. Sie enthalten die Baupläne
für Untereinheiten des Proteins Laminin-332, das dafür
sorgt, dass die Deck- und Bindegewebsschichten der Haut
miteinander verbunden sind. Ist das Protein infolge fehler-
hafter Erbanlagen defekt, löst sich die Ober- von der Leder-
haut, und überall auf dem Körper sowie den inneren
Schleimhäuten entstehen schmerzhafte Blasen und großflä-
chige Wunden, die sich häufig infizieren.
Im Jahr 2015 war Hassan sieben Jahre alt und seine Haut
fast vollständig zerstört; auf Grund schwerer bakterieller
Infektionen schwebte er in Lebensgefahr. Ärzte an der
Ruhr-Universität in Bochum konnten ihn nur palliativmedizi-
nisch behandeln, um seine Qualen so gut es ging zu lindern.
Doch Hassans Vater fragte sie, ob es möglicherweise experi-
mentelle Therapien gebe, die sich noch im Versuchsstadium
befänden. Daraufhin nahmen die Ärzte Kontakt zu dem
Biomediziner Michele De Luca von der Universität Modena
und Reggio Emilia (Italien) auf, der eine radikale neue Thera-
piemethode entwickelt.
Patienten mit ihren eigenen Zellen behandeln
De Lucas Forschungen stützen sich auf die Arbeiten des
Zellbiologen Howard Green vom Massachusetts Institute of
Technology (MIT) in Cambridge. Dieser hatte als Erster
entdeckt, dass sich Hautgewebeschichten im Labor züchten
lassen und es auf diese Weise möglich ist, individuelle
Hauttransplantate herzustellen, die das Immunsystem des
Empfängers nicht abstößt. De Luca arbeitete in den 1980er
Jahren an der Harvard Medical School in Boston, Massachu-
setts, mit Green zusammen und begann später damit, des-
sen Behandlungsansatz weiterzuentwickeln. Er möchte
genetisch bedingte Hauterkrankungen heilen, indem er in
Zellen des Patienten den krank machenden Defekt gentech-
nisch behebt, aus den Zellen anschließend Gewebe züchtet
und dieses den Patienten einpflanzt. Besonders interessant
dabei ist das Deckgewebe der Haut, die so genannte Epider-
mis oder Oberhaut.
»Wir arbeiten schon seit vielen Jahren mit Kulturen aus
Epidermiszellen, haben hunderte Patienten behandelt und
MEDIZIN
EINE NEUE
HAUT
Wenn das größte Organ
unseres Körpers schwer
erkrankt, hat das oft fata-
le Folgen. Verblüffende
Heilungschancen bietet
nun die Gentherapie.