Spektrum der Wissenschaft - 08.2019

(Ron) #1
Doch still, was schimmert
durch das Fenster dort?
William Shakespeare (1564–1616)

SCHLICHTING!


PHYSIK AM FLUGZEUGFENSTER


Über den Wolken herrschen außerhalb des Flugzeugs dramatisch
andere Temperaturen und Drücke als in der Kabine. An den Schei-
ben, die beide Reiche voneinander trennen, kommt es so zu
eindrucksvollen optischen und thermodynamischen Phänomenen.

H. Joachim Schlichting war Direktor des Instituts für Didaktik der Physik an der Universität Münster.
Seit 2009 schreibt er für Spektrum über physikalische Alltagsphänomene.

 spektrum.de/artikel/1654764


Die Konstrukteure von Flugzeugen würden wohl am
liebsten ganz auf Fenster verzichten, denn diese sind
Schwachstellen im Flugzeugrumpf. Das liegt am
Druckunterschied: In der heute üblichen Reisehöhe von
zirka zehn Kilometern beträgt der Luftdruck nur noch
etwa ein Viertel des Normalwerts auf der Erdoberfläche
von rund 1000 Hektopascal (hPa). Das wäre für die Passa­
giere lebensgefährlich. Die meisten von uns sind niedere
Regionen gewohnt und ertragen für längere Zeit allenfalls
einen Druck, wie er etwa auf der Zugspitze herrscht.
Entsprechend werden in der Kabine etwa Dreiviertel
(750 hPa) des normalen Atmosphärendrucks aufrecht­
erhalten. Wegen des innen höheren Drucks unterliegt der
Rumpf großen Belastungen, ähnlich wie ein aufgeblase­
ner Luftballon. Ecken an Fenstern würden die Kräfte
ungleichmäßig verteilen und wären Ansatzpunkte für
Risse. Darum ist die vertraute, abgerundete Form weni­
ger eine Frage des Designs als schlicht physikalische
Notwendigkeit.
Flugzeugfenster bestehen aus drei Kunststoffschei­
ben. Die äußere ist etwa einen Zentimeter dick und fest
mit dem Rumpf verbunden. Zwischen ihr und der mit­
tleren Scheibe befindet sich zur Wärmedämmung Luft.
Diese kann durch ein winziges Loch in der mittleren
Scheibe hin­ und herfließen, so dass letztlich der gesam­
te Druckunterschied auf dem äußeren Fenster lastet.
Die innerste Scheibe befindet sich in einigem Abstand
dazu und ist nicht sicherheitsrelevant – sie soll vor allem
Passagiere von der Berührung der mittleren abhalten.
Das schützt nicht nur das Acrylglas, sondern bei Außen­
temperaturen von bis zu minus 60 Grad Celsius ebenso
die Passagiere vor unangenehmen Kälteempfindungen.

Mehrere physikalische Erscheinungen am Flugzeugfens-
ter beeinträchtigen den Blick auf die Außenwelt. Zu den
von Wasserdampf und Eis verursachten Phänomenen
kommen hier noch viele kurze, konzentrische Streifen um
die Sonne. Sie entstehen, weil in den (zufällig verteilten)
Kratzern auf der Scheibe gerade diejenigen Einkerbungen
das Licht ins Auge reflektieren, die senkrecht zu den
Strahlen orientiert sind. Ein ähnlicher Effekt entsteht auf
welligen Gewässern bei tief stehender Sonne.

H. JOACHIM SCHLICHTING

Die Fenster bieten den Reisenden einen außergewöhn­
lichen Blick auf die Landschaft sowie auf eine Vielzahl
physikalischer Phänomene. Dazu gehören nicht nur die
von mir bereits in früheren Ausgaben beschriebenen
Halos, Glorien und Wolkenstrukturen, sondern auch
Erscheinungen, die entstehen, indem das Flugzeugfens­
ter selbst mit der Umgebung wechselwirkt. Manchmal
zeigen sich gleich mehrere interessante Effekte zur
selben Zeit (siehe Foto oben). In Häusern sind bei Mehr­
fachverglasung die Zwischenräume der Scheiben luft­
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