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Aurora Australis (2010)
Der Informatiker Carlo H. Séquin von der University of California in
Berkeley ist durch hunderte Werke bekannt, die abstraktesten
geometrischen Konzepten eine Gestalt verleihen. Er hat inzwischen
eine vielseitige Sammlung außergewöhnlicher Skulpturen aus
Holz, Metall und Kunststoff geschaffen.
Für dieses Werk inspirierte ihn ein Lichtspektakel am Himmel
der südlichen Hemisphäre: die Aurora Australis. Das verdrehte
Band symbolisiert die auf- und abwiegenden Lichtstreifen. Es
wechselt von flach zu gebogen und verbindet sich schließlich
mit sich selbst. Setzt man einen Finger auf die Skulptur und folgt
ihrem Verlauf, berührt man währenddessen die gesamte Figur
und kehrt am Ende dorthin zurück, wo man gestartet ist. Die
Innenfläche ist demnach auch die Außenfläche des Stücks,
was es zu einem Möbiusband macht, der einfachsten
»nicht orientierbaren« Oberfläche. Letzteres bedeutet, dass
man einem solchen Objekt keine Begriffe wie »vorne«,
»hinten«, »innen« oder »außen« zuordnen kann.
Laut Séquin sind diese Visualisierungen nicht nur fesselnd,
sondern sie verschaffen selbst »Menschen, die Mathe hassen,
einen einfacheren Zugang zu abstrakten Konzepten«.
Borromean Rings Seifert Surface (2008)
Seit mehr als einem Jahrzehnt schmiedet die in der Nähe von Boston
lebende Künstlerin Bathsheba Grossman mit Hilfe eines 3-D-Druckers
mathematische Skulpturen aus Metall.
Die drei Außenringe ihres Werks berühren sich zwar nicht, sind aber
trotzdem untrennbar miteinander verbunden. Entfernt man einen Ring,
lösen sich auch die zwei anderen voneinander. Diese berühmten Borromäi-
schen Ringe zieren das Logo der Internationalen Mathematischen Union. Für Mathematiker, die im
Bereich der Knotentheorie arbeiten, sind solche Gebilde besonders interessant.
Die durch die Borromäischen Ringe begrenzte Oberfläche heißt Seifert-Oberfläche. Um ihre
seltsame Form hervorzuheben, hat Grossman eine perforierte Textur gewählt, die durch ein ab-
wechslungsreiches Licht- und Schattenspiel ihre ungewöhnliche Topografie betont.
CARLO H. SÉQUIN
BATHSHEBA GROSSMAN
Vielen Menschen haucht Mathematik Ehrfurcht ein.
Ihre starren Regeln und Prinzipien lassen nur wenig
Spielraum für Interpretationen. So wird es beispiels-
weise immer unendlich viele Primzahlen geben, genauso
wie die Ziffern der Kreiszahl Pi niemals enden.
Andererseits ist es diese Beständigkeit, welche die
Mathematik für viele so attraktiv macht. Ein Beweis oder
eine Gleichung kann ausgesprochen elegant wirken. Gera-
de der Bereich der Gruppentheorie, der unter anderem
Drehungen und Spiegelungen von Objekten beschreibt, ist
dabei besonders reizvoll. Denn die Transformationen
lassen sich oft durch Symmetrien visualisieren, wie man sie
etwa in den ästhetischen Mustern von Schneeflocken
erkennt.