Spektrum der Wissenschaft - 09.2019

(Tuis.) #1
ob all diese Codons tatsächlich notwendig sind. Was würde
passieren, wenn im Genom von E. coli jedes AGG gegen ein
CGA ausgetauscht würde? Schließlich codieren beide Tri­
pletts für die Aminosäure Arginin, und daher sollte das
Bakterium weiterhin alle Proteine korrekt herstellen. Tilgte
man aber auch die tRNA, die sich mit AGG paart, aus der
Zelle, dann würde das AGG­Codon in eine Sack gasse füh­
ren, also zu einem Kettenabbruch bei der Proteinbildung.
»Mir wurde klar, dass die Zellen dann gegen alle Viren
resistent würden. Und das wäre möglicherweise ein enor­
mer Vorteil«, erzählt Church. Viren wie der Lambda­Phage
sind darauf angewiesen, dass die von ihnen infizierte Zelle
ihren Gencode korrekt abliest und in Proteine übersetzt.
Wenn allerdings die zu AGG komplementäre tRNA nicht
mehr in der Zelle vorhanden ist, wird jedes virale Gen, das
ein AGG­ Codon enthält, vergeblich auf sie warten, und es
wird kein Virusprotein mehr fertig gestellt.
Da sich Viren rasend schnell weiterentwickeln, vermutete
Church, dass sie rasch einen Weg finden würden, trotz der
einen verschwundenen tRNA zu arbeiten. Entfernte man
allerdings genügend Codons und die dazugehörigen tRNAs,
sollte es dem Virus nahezu unmöglich sein, durch spontane
Mutationen die richtige Kombination zur Nutzung des verän­
derten Codes zu treffen. Um den Aufwand einigermaßen zu
begrenzen, wählten die Wissenschaftler als Ausgangspunkt

definiert ist. So steht beispielsweise das Basentrip lett TGG
für die Aminosäure Tryptophan und CAA für Glutamin. Solch
ein spezifisches Basentriplett wird als Codon bezeichnet;
jedes Gen stellt eine lineare Abfolge von Codons dar.
Beim Zusammenbau von Proteinen wird diese Sequenz
in eine mRNA umgeschrieben und diese als Bauplan an die
Ribosomen geschickt, die zellulären Fabriken. Hier werden
die Codons mit so genannten transfer­RNAs (tRNAs) ge­
paart, die als Adapter fungieren: Jede tRNA bindet mit
einem Ende an ein bestimmtes Codon, mit dem anderen an
eine spezifische Aminosäure. Während die Sequenz von
Codons diese Protein­Fertigungsstraße durchläuft, reihen
die tRNAs die Aminosäuren aneinander, bis das Protein
fertig gestellt ist.
Eine Besonderheit an diesem System ist die große
Redundanz. Da auf Grund der Dreier­Kombinationen der
vier Basen A, C, G und T insgesamt 64 (4^3  = 64) unter­
schiedliche Kombinationen möglich sind und es demzufol­
ge 64 Codons gibt, sind die meisten der 20 natürlichen
proteinbildenden Aminosäuren mehrfach codiert. Manche
von ihnen besitzen sogar sechs verschiedene Basentri­
pletts, etwa Arginin, für das die Codons AGG, CGA und
noch vier weitere stehen.
2004 fragte sich der in Harvard tätige Genetiker George
Church, in dessen Forschungsgruppe Ostrov heute arbeitet,


AGGAG

CGA

UCC
AGG

Virus gegen Zelle


Es gibt Millionen von Viren, die menschliche und bakterielle Zellen
infizieren und so in Viren produzierende Fabriken verwandeln.
Biologen konstruieren derzeit die DNA eines Bakteriums, genannt
rE.coli-57, das allen Virusangriffen trotzen und gleichzeitig normal
funktionieren soll. Die Idee in fünf Schritten:

Eindringen
des Virus
Ein Virus ist im We­
sentlichen ein biologi­
scher Apparat, der sich
selbst kopiert. Dazu
infiziert es eine Zelle
und bringt sie durch
einen Trick dazu, virale
Proteine zusammenzu­
bauen.

Ein Virus landet auf einer Bakterienzelle
und injiziert seine eigene DNA hinein.
Weil diese denselben »Buchstaben­
code« verwendet wie die Bakterien­
DNA, behandelt die Zelle beide gleich.

Kapern der zellulären Maschinerie
Die virale mRNA (türkis) wandert zum
Ribosom (violett), der Zellfabrik, die die
Proteine zusammenbaut. Dort paart
sich jeweils ein Triplett von mRNA­Buch­
staben, ein »Codon«, mit einem spezifi­
schen komplementären Molekül, der
tRNA (blau). Daran bindet sich wiederum
jeweils eine bestimmte Aminosäure (gelb).

Die Virus­DNA wird in einen so
genannten mRNA­Strang umge­
schrieben (transkribiert), der
Anweisungen zur Herstellung der
Virusproteine enthält.

Die tRNAs reihen die Amino­
säuren entsprechend der auf
der mRNA vorgegebenen
Abfolge aneinander, was ein
Protein entstehen lässt.

tRNA­Codon (auf der mRNA)

Aminosäure

tRNA

Virus­DNA

Virus­mRNA

CAMPBELL MEDICAL ILLUSTRATION / SCIENTIFIC AMERICAN JULI 2019

Ribosom
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