Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1

Nach seiner Rückkehr 2004 arbeitete
Khangoshvili seiner Ex-Frau zufolge mit
den georgischen Behörden zusammen.
Drohungen und Angriffe gehörten fortan
zu seinem Alltag. 2006 wurde Maryam T.s
Vater in Grosny entführt. Es war offenbar
eine Aktion, die gegen Khangoshvili ge-
richtet war. »Ihr seid in Gefahr«, habe man
ihnen damals gesagt, erzählt T.
Sie zogen in die georgische Hauptstadt
Tiflis, wo Khangoshvili weiter als Infor-
mant für die Behörden arbeitete, auch
im Kampf gegen Terrormilizen wie den
»Islamischen Staat«. »Wenn die Amerika-
ner oder wir Informationen brauchten,
etwa aus der tschetschenischen Diaspora
in der Türkei, war er unser Mann«,
sagt ein ehemaliger hochrangiger georgi-
scher Nachrichtendienstler. Ihm zufolge
hat Khangoshvili auch gegen das Regime
von Tschetschenen-Diktator Kadyrow
und russische Kräfte in Georgien ge -
arbeitet.


Eines Morgens im Jahr 2015 dann
schickte Maryam T. in Tiflis ihren Mann
zum Milchholen. »Ich war spät dran auf
dem Weg zur Arbeit«, sagt sie. Auf dem
Weg lauerte ein Killer. Mehrere Schüsse
trafen Khangoshvili. »Es war ein Wunder,
dass er überlebte.«
Khangoshvili floh daraufhin ohne Fami-
lie in die Ukraine. Seiner Frau erzählte er
damals, er handele nun mit Honig und ar-
beite im Baugewerbe. In Wahrheit setzte
er nach Angaben ukrainischer Quellen
wohl dort seinen Kampf gegen Russland
und Truppen aus Kadyrows Tschetsche-
nien fort, die schon immer seine Gegner
gewesen waren. Im Osten der Ukraine
kämpften zu diesem Zeitpunkt viele
»Kadyrowzy« in russischen Diensten. Ih-
nen wurden Folter und Morde angelastet.
Auch die Familie in Georgien fühlte sich
mit der Zeit nicht mehr sicher. »Ich bekam
einen Hinweis, dass mir und meinen Kin-
dern etwas zustoßen könnte«, sagt Ma -

ryam T. Mit den Kindern floh sie nach
Polen, 2017 dann weiter nach Deutschland,
wohin ihr Mann bereits gereist war. Hier
sollte alles besser werden. »Ich dachte, das
Leid sei nun zu Ende«, sagt Maryam T. Es
war ein Trugschluss.
Zunächst ging die Ehe in die Brüche,
weil Khangoshvili in der Ukraine eine an-
dere Frau kennengelernt hatte. Dann setz-
ten ihm die deutschen Behörden nach, weil
Moskau ihn als islamistischen Terroristen
angeschwärzt hatte. Er sei, teilten die Rus-
sen den Deutschen mit, Mitglied des »Kau-
kasischen Emirats«, einer in den USA und
Russland als Terrorgruppe gelisteten Ver-
einigung.
Fortan galt Khangoshvili als islamisti-
scher Gefährder, gar als »ein führendes
Mitglied der tschetschenischen terroristi-
schen Szene«, wie es in einem Papier aus
dem brandenburgischen Innenministe -
rium heißt. Er war mehrmals Thema im
Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum
des Bundes und der Länder.
Der Georgier war zur Beobachtung aus-
geschrieben. Bei Antreffen sei »sofort« das
Bundesamt für Verfassungsschutz zu un-
terrichten, heißt es in einem internen Ver-
merk. Aufenthaltsort und Reiseziel seien
mitzuteilen.
Erst nachdem sich innerhalb von mehr
als zwei Jahren kein einziger Verdacht auf
terroristische Aktivitäten ergeben hatte,
nahmen die Behörden Khangoshvili von
ihrer Gefährderliste.
Einen guten Monat später, am 29. Juli,
betritt ein Mann die französische Botschaft
in Moskau und stellt einen Visumantrag.
Er hat, wie auf dem beigelegten Foto zu
erkennen ist, einen Kinnbart, kurz rasierte
Haare und dunkle Augen. Nach den An-
gaben des Antrags wurde Vadim Andre -
evich Sokolov im August 1970 in Irkutsk,
Sibirien, geboren. Er ist kräftig gebaut, bei
1,76 Meter Körpergröße bringt er 86 Kilo-
gramm auf die Waage.
Sokolov will mit einer offenbar falschen
Identität in die Europäische Union einrei-
sen. Das belegen gemeinsame Recherchen
des SPIEGELmit den Investigativnetzwer-
ken Bellingcat und The Insider.
Auf dem Visumsformular gibt Sokolov
eine Adresse in Sankt Petersburg in der
»Alpenstraße« an. Doch dort existiert nur
eine Straße mit dem Namen »Alpengasse«.
Hinter der angegebenen Hausnummer ver-
birgt sich ein großer Wohnkomplex. Nor-
malerweise hätte Sokolov eine Block- und
Apartmentnummer hinzufügen müssen,
sie fehlt auf dem Antrag.
Der zu dem Antrag vorgelegte Reisepass
ist nur elf Tage vor dem Visumantrag aus-
gestellt und ist eines der älteren Modelle,
die nur fünf Jahre gültig sind und keine bio-
metrischen Daten enthalten. Nachforschun-
gen im russischen Passregister ergeben, dass
in dem Wohnblock niemand mit diesen Per-

DER SPIEGEL Nr. 36 / 31. 8. 2019 35

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Ermordeter Georgier Khangoshvili: Von Moskau als Islamist angeschwärzt
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