Der Spiegel - 31.08.2019

(lily) #1
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ivia und Erich Leichner, wohnhaft in Herne, sind seit
41 Jahren verheiratet und, wie es unter Sportlern heißt,
ein eingespieltes Team. »War eine schöne Zeit bis jetzt«,
sagt sie, »mein Mann war meistens nicht zu Hause.« Darauf
er: »Die Gattin wieder.«
Sie sitzen an einem sonnigen Montag auf der Klubhaus -
terrasse der Sportfreunde Wanne-Eickel 04/12, deren Spielstätte
seit dem 1. August Livia-Leichner-Stadion heißt. Der Untertitel
lautet, in schönstem Ruhrpottdeutsch: »Dem Bürgermeister
seine Frau ihr Stadion«. So steht es, weiß auf rot, auf einem
Schild am Zaun zur Schlachthofstraße. Es ist einer der ganz
wenigen Fußballplätze in Deutschland, die den Namen einer
Frau tragen. Livia Leichner sagt dazu: »Als ich von der Idee
gehört habe, war mein erster Gedanke: Ach, du Scheiße.«
Die Leichners machen jedes Jahr das Sportabzeichen, zu-
letzt in Silber, denn »für Gold reicht der Ehrgeiz nicht mehr«,
sagt Erich Leichner und zündet sich eine selbst gedrehte Zi-
garette an. Seine Paradedisziplin
ist Schwimmen, ihre Werfen. Li-
via Leichner ist in Wanne-Eickel
geboren, sie ging auf ein Mäd-
chengymnasium, das nahe des
Fußballplatzes der Sportfreunde
lag, heute leitet sie ein Familien-
zentrum. Erich Leichner hat
beim kirchlichen Dienst gearbei-
tet, seit 31 Jahren ist er für die
SPD aktiv, 2014 wurde er zum
Ersten Bürgermeister von Herne
gewählt. Er sagt: »Ich habe mal
ein Hallenbad mit einer Arsch-
bombe vom Dreier eröffnet.« Sie
sagt: »War das Wasser schon wie-
der raus.« In der Jugend hat
Erich Leichner für Eintracht Gel-
senkirchen gekickt, später für die
DJK Schwarz-Weiß Neustadt, er
hat halblinks gespielt, dann Li-
bero und Torwart. Sein letzter
Einsatz liegt 15 Jahre zurück, ein
Kirmes-Cup. Auch als Zuschauer war er lange nicht mehr
beim Fußball: Die Leichners gehen lieber zum Basketball.
Sie schauen sich die Damen des Herner TC an, die amtie-
render deutscher Meister sind. Ihre Spiele tragen die Frauen
in der Turnhalle einer Gesamtschule aus, 1300 Leute passen
auf die Tribüne, die Leichners haben Zugang zur VIP-Lounge,
»damit meine Frau mit den Chefs Kaffee trinken kann«, sagt
Erich Leichner. Und Livia Leichner: »Rede du mal nur.« Die
Halle heißt H2K-Arena, Namensgeber und Sponsor ist eine
Sicherheitsfirma. Vielleicht löste das etwas aus.
Bei einem Basketballspiel im März sprach der Vorsitzende
der Sportfreunde Wanne-Eickel Erich Leichner an: ob er je-
manden wisse, der die Namensrechte am Fußballstadion kau-
fen wolle, für einen guten Zweck? Mit dem Geld solle die Ju-
gendarbeit im Verein verbessert werden. Leichner versprach,


sich umzuhören. Er versuchte es bei einem Getränkehändler,
einem Elektriker, einer Wohnungsbaugesellschaft, aber keiner
war interessiert: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmte nicht.
Die Sportfreunde Wanne-Eickel spielen in der siebten Klasse,
Bezirksliga Westfalen, im Schnitt kommen 200 Fans. Wer
zahlt da für den Stadionnamen einen mittleren vierstelligen
Betrag? Erich Leichner sagt: »Dachte ich: Wenn du keinen
findest, machste es eben selbst.«
Seine Frau wird im kommenden Februar 60 Jahre alt. Zum
Geburtstag, dachte Leichner, würde sie sich über den Stadion -
namen freuen. Es gibt auch Männer, die Hochdruckgebiete
nach ihrer Frau benennen lassen. Dass das Stadion schon
diesen Sommer nach seiner Frau heißen sollte, fand er prak-
tisch: »Hat sie ein halbes Jahr vorher was davon und ein hal-
bes Jahr nachher.«
Eines Abends saß er mit dem Vereinschef der Sportfreunde
in der Kneipe. Dessen Onkel wohnt gegenüber der Lottobude,
die der legendäre Schalker Fußballer Ernst Kuzorra betrieb.
Ihnen fiel ein Spruch von Johannes Rau ein, früher mal Minis -
terpräsident von Nordrhein-Westfalen. Auf die Frage, was er
davon halte, ein Fußballstadion nach einer Frau zu benennen,
soll Rau geantwortet haben: »Wie sollen wir das denn nennen?
Dem Ernst Kuzorra seine Frau ihr Stadion?«
Der Satz deckte für Erich Leichner einen Missstand auf:
Es gibt in Deutschland kaum Stadien, die einen Frauennamen
tragen. Die Spielvereinigung Wesseling-Urfeld kickt im Ulri-
ke-Meyfarth-Stadion, das eigentlich eine Leichtathletikarena
ist. Meyfarth war Hochspringerin. In Erfurt steht die Gunda-
Niemann-Stirnemann-Halle, be-
nannt nach einer Eisschnellläu-
ferin. Und sonst? Erich Leichner
sagt: »Altenheime, die Frauen-
namen haben, gibt’s ganz viele.«
Sein Gleichstellungsvorstoß
überzeugte am Ende auch Livia
Leichner. »Ich bin davon ausge-
gangen, dass es längst ein Fuß-
ballstadion mit Frauennamen
gibt«, sagt sie. »Wir haben doch
jede Menge gute Spielerinnen.
Nia Künzer und Steffi Jones zum
Beispiel, die sind Weltmeisterin-
nen geworden. Wieso gibt es
kein Steffi-Jones-Stadion? Ka-
piere ich nicht.«
Gefeiert wurde die Stadion-
taufe Anfang August mit Back-
fisch und Bier. Im Internet fand
einer die Namensgebung »lä-
cherlich«. Ein anderer meinte,
er würde sich schnellstens einen
anderen Verein suchen. Den Leichners ist das egal. Was sie
ärgert: Kaum jemand erwähnte, was genau mit dem Geld
passiert, das Erich Leichner für den Namen gezahlt hat. Denn
die Sportfreunde Wanne-Eickel finanzieren damit das Pro-
gramm »Anpfiff zum Berufsleben«. Der Verein vermittelt
seinen Spielern Praktikumsplätze, hilft ihnen bei der Lehr-
stellensuche, unterstützt sie bei Bewerbungen. Mehr als
30 jungen Männern konnte man schon helfen. Neben dem
Klubhaus soll nun ein Schulungsheim gebaut werden. Erich
Leichner: »Nur deshalb habe ich das überhaupt gemacht.«
Livia Leichner: »So tue ich mit meinem Namen was Gutes.«
Und sportlich? Läuft’s. Seitdem der Fußballplatz Livia-
Leichner-Stadion heißt, sind die Sportfreunde Wanne-Eickel
zu Hause noch ungeschlagen, das erste Heimspiel gewannen
sie gegen TuS Heven 6:1. Maik Großekathöfer

Erich seine Idee


Wie das Fußballstadion der Sportfreunde
Wanne-Eickel zu seinem Namen kam

Eine Meldung und ihre Geschichte

MAIK GROSSEKATHÖFER / DER SPIEGEL
Ehepaar Leichner

Von der Website Waz.de
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