Neue Zürcher Zeitung - 21.08.2019

(John Hannent) #1

Mittwoch, 21. August 2019 WIRTSCHAFT 27


Die Spielebranche blüht – und bettelt umStaatsgeld

Cloud-Gaming und Indie-Games sind die grossen Trends an der elften Spielemesse Gamescom in Köln


MICHAEL RASCH, FRANKFURT


«Beim Spiel kann man einen Menschen
in einer Stunde besserkennenlernen als
im Gespräch in einemJahr», das soll be-
reits dergriechische Philosoph Platon ge-
sagt haben. Stimmt dieseAussage, bietet
sich in dieserWoche inKöln eine phan-
tastische Gelegenheit, zahlreichen Men-
schen innerhalb kürzester Zeit auf den
Zahn zu fühlen.Am Dienstag startet dort
offiziell die elfteAusgabe der Games-
com, der nach Angaben derVeranstalter
grössten Messe fürVideo- und Compu-
terspiele derWelt. Doch heutzutagesitzt
man sich aufgrund desInternets und der
Digitalisierung beim Spielen immer sel-
tener direkt gegenüber. Ob Platons Er-
kenntnis daher immer noch gilt?


EinMilliardengeschäft


Der Spielemarkt begeistert jedenfalls
nicht nur Millionen von Menschen in
Deutschland – angeblich spielt fast jeder
Zweite –,sondern ist längst auch zu einem
Wirtschaftszweig geworden. Im ersten
Halbjahr stieg der Umsatz mit Spielen
und der dazugehörigen Hardware gegen-
über der gleichenVorjahresperiode um
11% von 2,5 Mrd.auf 2,8 Mrd. €.Der sta-
gnierende Hardware-Markt hatte daran
einen Anteil von knapp1Mrd.€.
Darüber hinaus erreicht der deutsche
Videospielemarkt mit steigenderTen-
denz einenJahresumsatz von 4,4 Mrd. €.
Das Interesse spiegelt sich auch inKöln,
wo 1150Aussteller (+10%) aus über 50
Ländern auf derrekordgrossenAusstel-
lungsfläche von 218000 m² (+8 %) ihre
Neuheiten anbieten.Dabei geht es um
Konsolen, Hardware, Software, Mobile,
E-Sports undVirtual Reality .Am Diens-
tag ist die Messe nur für dasFachpubli-
kum geöffnet, von Mittwoch bis Sams-
tag werden sich auf dem Messegelände
dann jedochmehrere hunderttausend
Spielefans tummeln; im vergangenen
Jahr kamen 370000 Besucher. Partner-
land sind 2019 die Niederlande.
Die Mitveranstalter vomFachver-
band Game sehen in diesemJahr zwei
grosseTrends an der Gamescom:Cloud-
Gaming und Indie-Games. Beim soge-
nannten Cloud-Gaming finden alle für
das Spiel wesentlichen Berechnungen
in einemRechenzentrum statt und nicht
mehr auf der Hardware des Spielers.
Der Gamer benötigt somitkeine be-


sonders leistungsstarke Hardware mehr,
so dass selbst die technisch anspruchs-
vollsten Spiele auf einfachenLaptops,
Smartphones oderTablets gespielt wer-
den können.

E-Sportwirdimmer wichtiger


Die Bildschirminhalte werden da-
bei nur noch auf das eigene Gerät ge-
streamt.Allerdings benötigen die User
eine schnelle und latenzarme Internet-
verbindung – in Deutschland dürfte es
daran vielerorts mangeln.Bei den Indie-
Games handelt es sich um Spiele, die
von kleinen, unabhängigen Studios ent-
wickelt werden und laut denVeranstal-
tern oft durch ernsteThemen,kunstvolle
Ansätze und ein ausgefallenes Design
hervorstechen. DiesesJahr werden auf
der Gamescom rund150 Spiele von 140
unabhängigen Entwicklern aus 30Län-
dern zu sehen sein.

Zu dengro ssen Trends in der Bran-
che gehörenweiterhin E-Sports. Mit E-
Sports-Events, bei denen meistjüngere
Protagonisten vor Publikum gegenein-
ander spielen und das Ganze auf gros-
sen Leinwänden übertragen wird, wer-
den inzwischen weltweit grosse Hal-
len gefüllt und Millionenumsätzeer-
zielt.Laut dem Digitalverband Bitkom
wächst die Branche nicht nur immer
stärker, sondern professionalisiert sich
auch zunehmend.An der Gamescom
selber wird es in der Event-Arena das
deutscheFinale im Spiel «Counter-
Strike» mit Preisgeldern in Höhe von
32 000 €geben. International gehendie
Preisgelder bei E-Sports-Events gemäss
dem Datenportal Statista in die Millio-
nen.Allerdings sind65% der Deutschen
der Meinung, dass E-Sportskeine rich-
tige Sportart seien, wie einerepräsen-
tative Studie imAuftrag des Bitkom
jüngst ergeben hat.

Eröffnet wird dieAusstellung mit
dem diesjährigen Motto «Gemeinsam
sind wir Games» am Dienstagvormit-
tag vonVerkehrs- und Digitalminister
Andreas Scheuer sowie Digitalstaats-
ministerin DorotheeBär (beide CSU).
2017 hatte sich noch Bundeskanzlerin
Angela Merkel erstmals persönlich die
Ehre gegeben.Allerdings fand in diesem
Jahr dann im Herbst auch die Bundes-
tagswahl statt, und die CDU hat beim
jungen Publikum noch einigen Nachhol-
bedarf.Aus der Schweiz ist am Diens-
tag Bundesrat Alain Berset zugegen. Er
öffnete am Dienstagmorgen mit einer
kurzenRede den Stand vonSwissga-
mes und informierte sich danach über
die neusten Entwicklungen im Schwei-
zer Spielemarkt.
Berset sagte lautRedetext, der Bun-
desrat sei überzeugt,dass Games zu den
prägendenKulturformen des 21.Jahr-
hundertsgehörten und kulturell und

wirtschaftlich ein grossesPotenzial hät-
ten .Auf derMesse merke man sofort,
dass Spielenkeine Spielerei sei, son-
dern eine ernste Angelegenheit. Und
man merke auch, dass es um eine welt-
weit bedeutende Branche gehe.Ihr Um-
satz sei mehr als dreimal so hoch wie
jener derFilmindustrie. Zur Swissga-
mes-Delegation inKöln gehören heuer
Vertreter mit so phantasievollen Namen
wie Blindflug Studios, Cosmoscope mit
«MorphiesLaw» oder Digital Kingdom
mit «Swordship».

Wettbewerb der Kreativen


Zu den international führenden Anbie-
tern in der Spieleweltkann ma n jedoch
weder Schweizer noch deutsche An-
bieterrechnen. Bekannte Namen sind
vielmehr Electronic Artsaus den USA,
Ubisoft ausFrankreich und Nintendo
aus Japan. Herstelleraus Deutschland
spielen in demMarkt nur eine unter-
geordnete Rolle. Der Marktanteil deut-
scher Spieleentwicklungen auf dem Hei-
matmarkt beträgt mit sinkenderTen-
denz deutlich unter 10%. Deshalb for-
dern Branchenvertreter immer wieder
Subventionen von der Bundesregie-
rung. Solche haben die deutschen Ent-
wickler 2019 zwar tatsächlich zum ers-
ten Mal erhalten, doch imkommenden
Bundeshausha lt sind die Gelder nicht
wieder eingeplant. Die Kreativen in der
Szen e, für diesich die Brancheimmer
wieder lobt, sollten sich aber eigent-
lich auch ohne staatliche Unterstützung
durchsetzenkönnen und sich unter dem
Motto «Lasst die Spiele beginnen» dem
internationalenWettbewerb stellen.

BeiOnline-Spielen sitztman sic hzwarnicht mehr gegenüber,dochlernt man den Gegner trotzdemgutkennen. K. BOCSI / BLOOMBERG

Hochdorf droht nicht nur am Milch-Dilemma zu zerbrechen


Der Milchverarbeiter ist ein Sanierungsfall und ein Beispiel für eine verunglückte Diversifikation – Schuld daran tr ägt auch die Landwirtschaftspolitik


DANIEL IMWINKELRIED


Die neueFührung des Milchverarbei-
ters Hochdorf verwendet im Semes-
terbericht 2019 drastischeWorte, wie
sie in solchen Publikationen sonst sel-
ten vorkommen:Falls es nicht gelinge,
das Steuer beim Unternehmen herum-
zureissen, bestünden «erhebliche Zwei-
fel» an dessenFortbestand. Nun ist die
Versuchung für neueFührungskräfte
stets gross, den Zustand einer taumeln-
den Firma möglichst düster zu schildern.
So sichert sich die neue Mannschaft für
den Fall ab , dass derTurnaround trotz
allen Bemühungen misslingt. Hochdorf
ist allerdings ein krasses Lehrbeispiel
einer gescheitertenTransf ormation:Das
alte Management brachte für denWan-
del zu wenig Geduld auf, es wollte ihn
mit der Brechstange vollziehen.


Zwischen Hammer undAmboss


Das Kerngeschäft von Hochdorf, die
Verarbeitung von Milch, steht unter
Druck. Das Unternehmen befindet sich
zwischen Amboss und Hammer: Die
Bauern möchten für ihre Milch trotz
Überangebot einen möglichst hohen
Preis , während Nahrungsmittelherstel-
ler, etwa die Schokoladeindustrie, beim
Milchpulver auf günstige Inputkosten
angewiesen sind. Nur sokönnen sie im


Ausland bestehen. Hochdorf ist daher
nicht in derLage, das Geschäft nachrein
wirtschaftlichen Kriterien zu betreiben.
Nichtsillustriert das besser als die Stel-
lung von ZMP Invest,der Anlagefirma
der Genossenschaft Zentralschwei-
zer Milchproduzenten. Als Aktionär ist
ZMP auf eine guteRendite ihresAnteils
von 14,5% an Hochdorf erpicht.Gleich-
zeitig vertritt ZMP Invest die Anliegen
von 3000 Innerschweizer Milchbauern,
und die stimmen mit den Interessen der
Aktionäre nicht unbedingt überein.
Hochdorf versuchte sich aus diesem
Dilemma zu befreien, indem die Lei-
tung das lukrative Geschäft mit Klein-
kindernahrung (Baby Care) forcierte.
Anders als etwa derKonkurrent Emmi,
der immer wieder Ergänzungsakquisi-
tionen tätigte und so dieTransformation
vorantrieb, setzte Hochdorf dabei stär-
ker auf den grossenWurf. Im Oktober
2016 erwarb die Gesellschaft 51% von
Pharmalys, einem ursprünglich tunesi-
schenVermarkter vonBabynahrung. Mit
diesem Kauf suchte Hochdorfeine grös-
sere Nähe zu denKonsumenten.Angeb-
lich war Pharmalys immerhin in 42Län-
dern tätig, darunter allerdings auch in
schwierigen Märkten in Afrika und im
Nahen Osten.
Gemessen an der Grösse von Hoch-
dorf handelte es sich um einestattliche
Akquisition. Ursprünglich hatte das

Management von Hochdorf mit einem
Übernahmepreis von160 bis190 Mio.
Fr. gerechnet; weil si ch P harmalys und
Hochdorf aber anscheinend überaus gut
entwickelten,kostete dieTransaktion am
Schluss 245 Mio. Fr. Der Kaufpreis hing
unter anderem vom Betriebsgewinn von
Pharmalys derJahre 2016 und 2017 ab.
HochdorfsVerschuldung erhöhte sich in
der Folge stark.
Eigenartig mutetan, das s dieVer-
käufe von Phramalys 2017 noch stark
stiegen, dann abereinbrachen.Was sich
beim Unternehmen ereignete, lässt sich
von aussen nicht endgültig beurteilen.
Wollte der Pharmalys-Gründer,Amir

Mechria, beweisen, was in ihm steckt,
und bestand für ihngleichzeitig ein un-
heilvoller Anreiz, denTransaktions-
preis zu maximieren? In diesemFall
hätte er dieVerkäufe über ein vernünf-
tiges Mass hinaus forciert. Oder hat die
alte Hochdorf-Führung,der auch sonst
mancher Schnitzer unterlief, Pharmalys
schlicht schlecht geführt?War sie also
ein schlechter Eigner derFirma?
Fragen wirft auch dieVertriebskette
auf. So besass Mechria nichtnur wei-
terhin 49% an Pharmalys, ihm gehörte
auch die Mehrheit an gewissen Unter-
distributoren. Der neueVerwaltungsrat
von Hochdorf beklagt sich nun, er habe
keinen Einfluss auf dieWertschöpfungs-
kett e dieser vornehmlich in Schwellen-
ländern tätigenFirmen.Trifft Mechria
dafür eine Schuld, oder wählte Hoch-
dorf dieses Modell, um dieFinanzen zu
schonen?
Jedenfalls sitzt Pharmalys nun auf
Debitorenausständen in Schwellen-
ländern von 56,1 Mio. Fr. Diese seien
überfällig und äusserst schwierig einzu-
treiben, schreibt die Hochdorf-Führung
unter dem neuen Präsidenten Bernhard
Merki. Sie nimmt daraufRückstellun-
gen von 35,2 Mio. Fr. vor.
Das erklärt allerdings noch nicht den
gesamten Semesterverlust (63,6 Mio.
Fr.). Offenbar läuft auch das herkömm-
liche Stammgeschäft von Hochdorf wei-

terhin schlecht: SchweizerBauern pro-
duzieren schlicht zu viel Milch. Es gibt
nicht genügend Produkte, die Milch als
Grundlage haben,denVerarbeitern eine
hohe Marge einbringen und imAusland
erst nochreissendenAbsatz finden.

Banken halten still


Bei Hochdorf scheint derzeit alles auf
dem Prüfstand zu stehen, zumal die
finanzielle Lage besorgniserregend
ist.Das Unternehmenhat die Kredit-
konditionen aufBankdarlehen von 151
Mio.Fr. verletzt. Die Banken finden
sich damit vorläufig bis Ende Okto-
ber ab. Bereits hoheVerluste mussten
die Aktionärehinnehmen.DerKurs
des Hochdorf-Papiers sank am Diens-
tag nochmals um 28%. DerWert einer
ausstehenden Pflichtwandelanleihe liegt
noch bei 24%.
Mit seinen drastischenWorten, wo-
nach die Existenz von Hochdorf auf dem
Spielstehe,hat derVerwaltungsrat den
Banken und Mechria sicher auchDampf
machen wollen: DieFinanzhäuser sol-
len derFirma Zeit für eine Sanierung
geben, und Mechria soll sich wohl dazu
durchringen,Pharmalys zurückzukaufen.
Ein Zückerchen hält derVerwaltungs-
rat nämlichauch parat: Er glaubt, dass
die langfristige finanzielle Stabilität von
Hochdorf gesichert werdenkönne.

QUELLE: STATISTA NZZ Visuals/cke.

Computer-und Videospiele
Umsatz in Mrd. €, in Deutschland

0

0,5

1,0

1,5

2006 2010 2014 2018

QUELLE: BLOOMBERG NZZ Visuals/cke.

Aktionäreverlier en den Glauben
Aktienkurs von Hochdorf, in Fr.

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    1. 2016 20. 8. 2019



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