Neue Zürcher Zeitung - 21.08.2019

(John Hannent) #1

Mittwoch, 21. August 2019 FEUILLETON 37


Als Frauen in Hollywood noch rauchen durften

In der Rechten die Zigarette, die Linke lässig in der Hosentasche: Leinwand-Schönheiten qual mten einst wie Fabrikschlote


JÜRG ZBINDEN


In der Art-déco-Ärarauchte eineDame
vonWelt mitBakelit-, Bernstein- oder
Elfenbeinspitze. Sie hüllte sich inkost-
baren Pelz; an Ohrläppchen, Hals und
Handgelenk baumeltenJuwelen. Heute
steht dieWelt anscheinend allenFrauen
offen, Zobel und Zigaretten aber rufen
missbilligende Blicke hervor, und an
Diamanten befürchtet man Spuren von
Blut. Die Mondäne ist zu einem musea-
lenRelikt geworden, dessen Schönheit
ähnlich problematisch erscheint wie ein
Gemälde unterRaubkunst-Verdacht.
Beim starken Geschlecht sahdie Sache
etwas anders aus. Männerrauchten schon
immer mit derselben Selbstverständlich-
keit, mit der sie einen über denDurst tran-
ken. Im19.Jahrhundert pafften sie dicke
Zigarren, der schlanken Zigarette bedien-
ten sich vorwiegendDandys,Homosexu-
elle und homosexuelleDandys.


Marlene, dieFrühvollendete


Das sollte sich mit demAufstieg des
Kinos gründlich ändern. Den weiblichen
Filmstars allerdings wurde der Glimm-
stengel weitere zweiJahrzehnte ver-
wehrt. Frauen, die nach einer Zigarette
zu verlangen wagten, galten als «demi-
monde»,anrüchigeWesen der Halbwelt.
Bis HollywoodsKönigin GloriaSwan-
son und eine Berlinerin sich dieFreiheit
herausnahmen und es dem Mannsvolk
gleichtaten – die junge Deutsche trug
den Namen Marlene Dietrich.
DerVamp preussischer Schule be-
herrschte die GestikdesRauchens in
Vollendung. IhreKunst, die Zigarette
zwischen denFingern zu halten,bis die
Asche der Kippe sich dem Boden zu-
neigte, zelebrierte Marlene in Slow
Motion mit Maximalwirkung. EineFoto-
grafie von Albert Eisenstaedt zeigt sie
beim Berliner Presseball1929, bereits in
Frack und Zylinder, amRevers eine XL-
Boutonnière, die linke Hand lässig in der
Hosentasche, in derrechten die Zigarette.
In «Morocco» (1930),Dietrichsers-
tem Hollywoodfilm unter der Regie
Josef von Sternbergs, bezirzt sie das
Publikum im selben ikonischen Look,
nur dass sie auf die Knopflochblume
verzichtet. Frack, Zylinder und Ziga-
rette – derFrack diesmal in blendendem
Weiss – spielen harmonisch zusammen.
Nicht ausgedienthatte die Zigarette.
Marlene Dietrichrauchte auch weiter-
hinKette, jahrzehntelang. Erst in ihrem
letzten, bizarr missratenenFilm «Schö-
ner Gigolo,armer Gigolo» liess die
77-Jährige dasLaster, in das ihreKunst
sich verkehrt hatte, endlich bleiben.
Auch Schwedens Naturschönheit
Greta Garbo, «die Göttliche», qualmte
wie einFabrikschornstein, auf Publi-
city-Stills für «Anna Christie» (1930),
in «Mata Hari» (1931) oder als fast zur


Gänze humorlose«Ninotchka» (1939).
Noch bevor die ersten Screwball-Komö-
dien beschwingt die Gegensätze zwi-
schen Mann undFrau thematisierten,
entdeckte Letzteredie Zigarette als ele-
ganten Zeitvertreib für sich.Ausserdem
setztenRaucherinnen wie Louise Brooks,
Katharine Hepburn oder MaeWest un-
übersehbar, bisweilen auch unbeabsich-
tigt, ein Zeichen der Emanzipation.

Die Männer wollten nicht hintan-
stehen, sie pafften in jedem Genre: im
maskulinsten, dem Gangsterfilm, aller-
dings eher Zigarren. Die Zigarette kam
in andernFilmgattungen ausreichend
zum Zug, sporadisch selbst im Horror-
fach. So gönnte sich beispielsweiseFran-
kensteins Monster Boris Karloff während
der Drehpausen zu einerTasse Earl Grey
ein Zigarettchen – in voller Maske, ein

Moment, der zumAmüsement der Nach-
welt fotografisch festgehalten wurde.
Überhaupt sind aus den goldenen
Zeiten Hollywoods unzähligeFotos im
Umlauf, auf denen echteKerlerauchen:
Gary Cooper, Cary Grant,James Ste-
wart, Clark Gable und natürlich Hum-
phrey Bogart, der Archetypund Inbegriff
des Rauchers, auf der Kinoleinwand und
privatim. So hart «Bogey» im Nehmen

war – er erlag schliesslich im Alter von
57 Jahren einem Krebs der Speiseröhre.
Dietrichs manieristischer Inhala-
tionskunst am nächsten kam Bogarts
Ehefrau, die wesentlich jüngereLau-
ren Bacall. Sie verkörperte den neuen
Frauentypus der1940erJahre, jenen der
Femme fatale. Barbara Stanwyck und
Joan Crawford, BetteDavis undBacall
warfen sich on- und off-screen bei jeder
Gelegenheit publikumswirksam inPose,
weil sie von derTabakindustrie wie
kostspielige Geliebte ausgehalten wur-
den. Nur dass die Zigarettenhersteller
keine Liebesdienste erwarteten.Viel-
mehr verlangten sie von den Stars, dass
diese ihre Marke priesen. Die Oscar-
GewinnerinJaneWyman und ihr erster
GatteRonaldReagan, der spätere Prä-
sident derVereinigten Staaten, warben
für Chesterfield, ebenso die Stanwyck
undJoan Crawford, die obendrein gegen
entsprechende Bezahlung ohne Skru-
pel Camelsrauchte, so wie der schwule
FrauenschwarmRock Hudson.

Progressiver Imageverlust


Hollywood hat seinerauchenden Übel-
täterkonserviert, in vielen mittelmässi-
gen,gutenund schlechtenFilmen.Das
Image der Zigarette verschlechterte sich
ab den1960erJahrenrapide, denn die
Medizin begann sie als Hauptverursa-
cherin von Lungenkrebs und diversen
Herzkrankheiten auszumachen. Aber
zumFilm noir gehört die Zigarette in der
Retrospektive noch wie die Mordwaffe
zum Mörder. RitaHayworth als nicht-
rauchende Gilda? Undenkbar!Auch
Humphrey Bogart als nikotinabstinen-
ten Charlie in der Altersromanze «Afri-
can Queen»möchte sich niemand vor-
stellen.Ebenso gutkönnte man von King
Kong verlangen, sich ausschliesslich von
Fair-Trade-Bananen zu ernähren.
In der Gegenwart springt Hollywood
mit denRauchern kaum wenigerhart um
als Singapur. DieWeltgesundheitsorga-
nisation fordert einTotalverbot fürFilm
undFernsehen. Inzwischen wird fast nur
noch in Serien geraucht, und nirgends so
hemmungslos unschuldig wiein«Mad
Men», der Hommage an die florierende
Werbeindustrie der sechzigerJahre.In
Serien wie «Narcos» oder «LaReina del
Sur» gehören Nikotin undTeer aller-
dings zu den harmloseren Suchtstoffen.
DieFrage,ob es irgendjemandem
hilft, Nikotin und Alkohol, hartewie wei-
che Drogen auf den Index zu setzen, ist
rhetorischer Natur. Die Prohibition ist
eineVersagerin. In seinem neuenFilm
«Once UponaTime in...Hollywood»
schert sich der Querschläger Quentin
Tarantino einmal mehr weder umPoli-
tical Correctness noch um die Gesund-
heit derWelt. Und irgendwie wirkt es er-
frischend, wenn er Leonardo DiCaprio
und Brad Pitt ihre Fluppen paffen lässt.

BeiMarlene Dietrichsitzt auchder Glimmstengel, so in «Destry Rides Again»(1939). IMAGO

Wie viel Politik steckt in unseren Genen?


Der US-Autor Sebastian Junger prescht mit einer gewagten These vor


MARC NEUMANN,WASHINGTON DC


Ist die politische Grundhaltung des
Menschen durch Gene bestimmt?Ja,
und die genetische Determinierung
unserer politischen Einstellungen sei
eine gute Sache, meinte der amerika-
nische Journalist und Dokumentar-
filmer SebastianJunger unlängst in der
«WashingtonPost». Denn ist der politi-
sche Code vorprogrammiert, dann sit-
zen Linke wieRechte zwar noch nicht
im selben Boot, aber sie schippern
immerhin im selben Gewässer: Sie ge-
hören kraft Genen und DNA beide zur
Klasse des Zoon politikon, altgriechisch
für politischesWesen. Beide haben ihre
Daseinsberechtigung und sie sind glei-
chermassenrespektabel.
Jungers Belege dafür sind freilich so
karg wie obskur. Zum einen zitiert er ein
BuchvonAviTuschman,gemäss dem
«40 bis 60 Prozent derBandbreite unse-


rer politischen Haltung auf genetische
Unterschiede zurückzuführen» seien.
Vorausgesetzt, dass dieThese stimmt,
würde daraus aber auch folgen, dass
rund die Hälfte unserer politischen Ein-
stellung nicht aus den Genen wächst –
der ganz grosseDurchbruch für diePoli-
tik-DNA ist das also kaum.

Höchstens eineMutmassung


Geradezu ins Esoterische rutschtJun-
ger ab, wenn er seine Idee zudem mit
einem Experiment begründet, nach dem
die Grösse des «anterioren cingulären
Kortex» sowie derrechten Amygdala in
72 Prozent derFällekorrektAufschluss
über die politischeAusrichtung derVer-
suchsperson gebe,was«wohl» durch
ein bestimmtes Chromosom in einem
Neurotransmitter-Rezeptor bedingt sei.
DerWissenschaftsjargon enthält besten-
falls eine Mutmassung über einen Zu-

sammenhang zwischen Erbgut und poli-
tischer Inbrunst. Argument ist erkeins.
Die Schmalbrüstigkeit der wissen-
schaftlichen Nachweise bringtJunger
mitnichten von seiner steilenThese ab,
denn diese verschafft ihm Seelenfrie-
den.Wenn nämlich Linksliberalismus
undrechterKonservativismus genetisch
verwurzelt seien, dann, soJunger, hät-
ten sie einen evolutionstheoretischen
Stammbaum.Politische Gene wären da-
mit selbst Ergebnis von Anpassungen an
gesellschaftlicheRealitäten – und damit
so sinnvoll wie notwendig.
Das leuchtet ein Stück weit ein: Eine
gemeinhin alsrechts bezeichnete frei-
heitliche politische Haltung war eine er-
folgreiche evolutionäreStrategie gegen
Monarchen, linke Sozialverträglichkeit
der Kitt für eine egalitäre, faire Gesell-
schaft. Derart historisch-evolutionär ge-
wachsen,könne «keine politischePartei
eine andere der Illegitimität oder Amo-

ral bezichtigen – wir sind, wie wir sind,
und zwar aus gutem Grund».
Möglicherweise leitet Junger da-
bei ein persönliches Motiv: Nach jahr-
zehntelanger Berichterstattung aus
Extremsituationen sehnt er sich nach
Harmonie stattKonflikt.

Harmonie statt Konflikt


Nachdem er seine Karriere mit dem
Buch«T hePerfect Storm» (bekannt ge-
worden durch den gleichnamigenFilm
mit George Clooney) lanciert hatte,
wirkte derAutor rund zweiJahrzehnte
als Kriegsberichterstatter von Afghani-
stan bisSyrien. In seinem jüngsten Buch,
«Tribe» (2016), widmet er sich dem post-
traumatischen Belastungssyndrom von
kriegsversehrten Soldaten nach der
Heimkehr in die USA; dabei vollzieht er
denWandel vom risikofreudigen Kriegs-
reporter zum nachdenklichen Gesell-

schaftskritiker, der sich schwertut mit
dem immer unerbittlicheren und schär-
ferenTon in derPolitik. Die Unverein-
barkeit derPositionen genetisch zu er-
klären,könnteJungersVersuch sein,
einenBeitrag zur Debatte über den poli-
tischen Klimawandel zu leisten.
Friede, Freude, Eierkuchen stellt
sich indes kaum ein.Politische Haltun-
gen als evolutionär undgenetisch fest-
gelegt zu sehen, ist fatalistisch – und
fatal für Argument undWahrheit.Wie
sollFalsches erkannt undrevidiert wer-
den, wenn die politischeEinstellung
genetisch festgeschrieben ist? Zemen-
tiert diese Sichtweise nicht das unver-
söhnliche Nebeneinander gegensätz-
licher Meinungen und erklärtkonstruk-
tivePolitik für unmöglich? So erscheint
Jungers evolutionär-genetischeThese
selbst nicht besonders adaptiv und fit.
Gut möglich, dass die natürliche Selek-
tion sie bald wieder verschwinden lässt.
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