44 SPORT Mittwoch, 21. August 2019
Gross in Berlin, neu in der Schweiz
Fabian Lustenberger führt YB als Captain in di e Champions-League-Play-offs – er ist wie sein Vorgänger, aber eine Figur für sich
BENJAMINSTEFFEN, BERN
DieFragen anFabian Lustenberger
lauten:Wie gewinnt man einen Zwei-
kampf? Und ist ihm ein gewonne-
ner Zweikampf unvergessen?Wenn ja:
gegen wen? «Sie stellen aber auchFra-
gen»,sagt Lustenberger,Fussballer,31
Jahrealt,YB-Captain.
Am 10.August 2007 warFabian Lus-
tenberger, 19 Jahre alt, vom FC Luzern
zu Hertha Berlin gewechselt.
EineWoche später wechselte Steve
von Bergen,24 Jahre alt, vom FC Zürich
zu Hertha Berlin.
Zwei Schweizer neu in einer gros-
sen Stadt,«wirwuchsen so etwas wie
zusammen», sagt Lustenberger zwölf
Jahre später. Gemeinsam machten
sie die ersten Schritte im Bundesliga-
klu b, auf Reisen wohnten sie im sel-
ben Hotelzimmer, «da entwickelte sich
etwas». Lustenberger nennt es «eine
vertrauensvolleFreundschaft». Manch-
mal wählt erWorte aus demFussballer-
Slang, aber viel öfter eben nicht.
Und wie er soredet, da scheint es,
als hätten Lustenberger und von Ber-
gen manchmal auch Spielchen gemacht,
wer mehrWörter in eine Minute zu ver-
packen schafft. Beidereden sie in einem
manchmal sagenhaftenTempo.
Und was Lustenberger und von Ber-
gen auch noch verbindet: dieRolle bei
YB; diese Bereitschaft, Leader zu sein,
aber nicht dominant.
Von Bergen ist zurückgetreten in
diesem Sommer, Lustenberger ist ge-
kommen. Er soll der Anführer aus der
Innenverteidigung sein, der von Ber-
gen beim Schweizer Meister zuletzt
war. Lustenberger ist bei YB bereits der
Captain; aber er braucht ein Umfeld,
das ihn dieseRolle so spielen lässt, wie
es zu ihm passt. Er istkein Platzhirsch,
der verjagt, wer ihm zu nahekommt.Ab
2007 blieb er zwölfJahre lang bei Her-
tha Berlin, er stieg zweimal ab und wie-
der auf.Während einigerJahre war er
Captain; er genoss eine Akzeptanz, die
fast unvorstellbar ist für Schweizer, die
nur Lustenbergers Nationalteam-Sta-
tistik sehen:drei Länderspiele. Lusten-
berger habe «immer etwas zu sagen ge-
habt», sagt Michael Preetz, der langjäh-
rige Geschäftsführer von Hertha Berlin.
«Aber ich musste ihn auch ermutigen,
sich mehr einzubringen – das ist ihm
nicht immer leichtgefallen.» Preetz ist
seit ewigen Zeiten in Berlin, der Bun-
desliga-Rekordtorschütze der Hertha,
84 Tore.Aber er hat in der1. Bundesliga
für die Berliner wenigerPartien absol-
viert als Lustenberger:196 zu 220.
Es gab Zeiten, in denenLustenberger
in der Bundesliga zu den besten Zwei-
kämpfern gehörte,eine Statistik führt
ihn in der Saison 2017/18auf dem drit-
ten Platz. Eine erstaunliche Marke, denn
was von Bergen und Lustenberger auch
verbindet: die Physis.
Schlau stattkräftig
Keiner der beiden ist ein Bulle von
einemFussballer, von Bergen 1 Meter
82 gross, Lustenberger 1 Meter 80, nicht
besonderskräftig und übrigens auch
nicht besonders schnell.Aber Lustenber-
ger hat einen Stil gefunden,und er sehe
sich in seiner Spielweise derart bestätigt,
«dass ich mich nicht gleich hinterfrage,
wenn ich einen Spielzug zweimal falsch
lese. Ich stelle nicht sogleich mein gan-
zes Spiel infrage, ich weiss, dass ich mich
zu 90, 95 Prozent darauf verlassen kann.»
Bei allem schnellenRedefluss: So
spricht jemand, der weiss, was er sa-
gen will – der weiss, wie er selber und
wie sein Spiel funktioniert. Preetz sagt:
«Fabian ist ein schlauerFussballer. Ich
nenne esvororientiert, er steht auf dem
Platz intuitiv oft richtig,erhat ein sehr
gutes Gespür für denRaum.»
Fabian Lustenberger, wie gewinnt
man einen Zweikampf?«Viel geschieht
im Kopf»,sagt er,«dass du eine Situation
vorausahnst und alles daransetzt, ein
paarAugenblickevor dem Gegner am
Ball zu sein.»Aberwissen die meisten
Gegenspieler nicht auch, dass es genau
darum geht? «Kann schon sein.Aber ich
schaue auf mich, nicht auf den anderen.»
Was Lustenberger und von Bergen
auch verbindet: eine Direktheit und ein
gewisser Stolz vielleicht.
Getroffenund beschäftigt
Von Bergen nahm Kritik von Medien
nicht einfach hin, er diskutierte mitJour-
nal isten oder boykottierte sie auch. Lus-
tenberger überlässt dasAutorisieren von
Aussagen nicht dem Medienchef, er will
genau wissen, wie er zitiert wird. In Ber-
lin redete er einst ein halbesJahr nicht
mit denJournalisten, es waren die ersten
Monate,nachdem er als Hertha-Captain
abgesetzt worden war, «abgesägt», wie
er sagt,Fussballer-Slang.Vorher sei er
drei Jahre lang immer hingestanden und
habe sich gerechtfertigt, «also nahm ich
mir das danach mal heraus» – nach den
Spielen an denReportern vorbeizumar-
schieren, stumm.
Der Hertha-Geschäftsführer Preetz
sagt, nicht mehr Captain zu sein, habe
«natürlich etwas gemacht» mit Lusten-
berger, «das hat ihn zunächst schon ge-
troffen und beschäftigt, das ist ja nach-
vollziehbar». Es hiess, der TrainerPal
Dardai habesich einen Captain ge-
wünscht, der physisch und verbal prä-
sent er sei. Lustenberger sagt heute, er
habe ja nichts falsch gemacht, im einen
Europa-League-Spiel im Sommer 20 16
habeervielleicht nicht besonders gut
gespielt, «danach bin ichrasiert wor-
den», Fussballer-Slang, «das wardie
Entscheidung desTrainers, aber wenige
Wochen später liess er michwieder spie-
len – das hätte er sich wohl selber nicht
gedacht, dass es so schnell geht».
Wenn er etwas sagt, will er richtig ver-
standen werden – und es soll das sein,
was er wirklich meint. Ist ihm ein gewon-
nenerZweikampf unvergessen? Er über-
legt, «schwierig», er beginnt zu erzählen,
von einerBalleroberungan der Mittel-
linie, aber Lustenberger stoppt, «nein,
sorry,falsch – andere Geschichte.Ein
Stürmer wird angespielt, aber ich lese es
halt undkomme vor ihm an denBall. Ich
lei te denKonter ein, bekomme denBall
wieder, Rückpass, und wir schiessendas
2:1.» Gegner: FSVFrankfurt, 2. Bundes-
liga, Dezember 2012. Lustenberger weiss
es, als hätte er denBall gestern erobert.
Michael Preetz glaubt, dass Lusten-
berger «dann aber seinenFrieden ge-
funden» habe mit dem Ende als Her-
tha-Captain – und mit der National-
mannschaft. Die Nationalmannschaft:
ein Einsatz unter Ottmar Hitzfeld, zwei
Einsätze unter VladimirPetkovic. «Es
gab bestimmt Phasen, in denen er mehr
Anspruch hätte stellenkönnen», sagt
Preetz. «Das eine oder andere Mal war
er vielleicht nicht laut genug–doch das
ist nicht dasWesen vonFabian, dafür ist
er sich immer treu geblieben.»
Die Ansprüche stellte Lustenberger
höchstens intern; er fragte, wie es um
seine Chancen stehe, ob er womöglich
auch mal spielen dürfte. In einem Ge-
spräch Anfang 2016 habe ihmPetkovic
gesagt, dass er ihn höchstens als Innen-
verteidiger Nummer 4 oder 5 sehe, so
erzählt es Lustenberger, und da kam
nach und nach derAugenblick, dass er
die Lust verlor. «Ich war 28,Familien-
vater – einfach dabei zu sein im Natio-
nalteam, war für mich nicht mehr alles.»
Und ja, vielleicht habe er es danach «ein
wenig darauf angelegt, aber ich hatte ja
nichts zu verlieren», sagt Lustenberger.
Im April 2016 sagte er in einem Inter-
view mit dem «Blick»: «Ich spüre wenig
Wertschätzung.»
Ein Aufgebot bekam er danach nie
meh r, «aber Sie dürfen es gerne noch
einmal notieren», sagt Lustenberger:
«Ich bin nicht beleidigt. Ich hatte eine
schöne Zeit im Klub und spielte eine
wichtigeRolle – in der Nationalmann-
schaft leider weniger. Ich hätte es gerne
anders gehabt, aber es ist so, wie es ist.»
Niemand kannteihn
Was Lustenberger und von Bergen
auch verbindet:ihr Weg – wie sie auf-
brachen und wieso – und wohin sie zu-
rückkehrten.
Beide machten eine kaufmännische
Ausbildung, Lustenberger im Kantons-
spital Luzern. Im letzten Lehrjahr,
2006/07, spielteer unter demTrainer
Ciriaco Sforzaregelmässig in der ers-
ten Mannschaft desFCL. Der Wechsel
zu Hertha überraschte dennoch viele;
als er die Schweiz verliess, war Lus-
tenberger im Fussballland noch gar
nicht richtig wahrgenommen worden
- und anderswo schon gar nicht. «Ich
behaupte mal:Von der Hertha-Mann-
schaft kannte mich niemand, als ich
kam», sagt Lustenberger.
Er war einWunschtransfer des neuen
Hertha-Trainers LucienFavre.Auch von
Bergen war einFavre-Spieler, mit dem
FC Zürich warenFavre und von Bergen
2006 und 2007 Meister geworden. Eine
erstaunliche Entwicklung, auch bei ihm,
über von Bergen hatten früher Gegen-
spieler gesagt:«Was will der Kleine da?
Kopfbälle? Der?»
Mit 30 kam von Bergen 2013 nach
Jahren bei Hertha, Cesena undPalermo
in die Schweiz zurück. Er schoss sechs
Jahre langkeinenTreffer, bis er im letz-
ten Spiel für YB perKopf insTor traf.
Manchmal dauert es ein bisschen,
auch bei Lustenberger. Jetzt, bei YB,
lernt dieSchweiz diesen in Berlin so
grossen Spieler doch noch besserken-
nen. Am Mittwochabend treffen die
Berner im Hinspiel der Champions-Lea-
gue-Play-offs aufRoter Stern Belgrad,
und hinten in der Mitte wirdimmer
noch einTyp wie von Bergen stehen,
aber eineFigur für sich.
So weit muss es ein Klub zuerst brin-
gen:für einen wichtigenFussballereinen
Ersatz zu finden, der so ähnlich ist und
doch so original zugleich.
Ob er noch weiss,gegen wen er die-
sen Zweikampf damals, 2012, gewon-
nen hatte? Lustenberger schaut sich die
Aufstellung an, er ist sich nicht ganz si-
cher, der Spieler heisst vermutlich Odise
Roshi, ein albanischer Nationalspieler,
der an der EM 2016 gegen die Schwei-
zer (ohne Lustenberger) spielte.
Aber eigentlich geht es ja nicht
darum, wie ein Zweikampf gewonnen
wird. So viel wird durch Lustenberger
klar: EinVerteidiger gewinnt den Zwei-
kampf dadurch, dass er ihn verhindert.
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DerBeginneiner «vertrauensvollenFreundschaft»:Fabian Lustenberger (links) und Steve vonBergen, seinVorgänger als YB-Captain, 2007 bei HerthaBerlin. IMAGO
Zwei Fragezeichen
bsn.·Es ist ein erster Härtetest für das
renovierte YB-Team. Im Hinspiel der
Champions-League-Play-offs trifft der
Schweizer Meister am Mittwoch (21
Uhr) im ausverkauften Stade de Suisse
auf Roter Stern Belgrad. Die Erfahrung
spreche«sicher ein bisschen» fürRoter
Stern, sagte der YB-Trainer Gerardo
Seoane, aber: «Beide Mannschaften
haben genug Argumente und Stärken,
um sich berechtigte Hoffnungen zu ma-
chen.» Der Einsatz zweier gewichtiger
YB-Argumente war noch ungewiss. Die
zuletzt verletzten Guillaume Hoarau
undMiralem Sulejmani trainierten am
Dienstag mit, bis zum Spiel werde es in
beidenFällen knapp, sagte Seoane.