SPORTSMittwoch, 21. August 2019 Mittwoch, 21. Au gust 2019 PORT
Der Traum vom Rasenmäher
Mit dem Gabentempel begeht man am Eidgenössischen die Sehnsuchtslandschaf t der ruralen Schweiz
SAMUELTANNER, ZUG
Schwinger, die nicht mindestens ein Ein-
familienhaus mit Garten und Carport
bewohnen, sind verloren. Ihnen bleibt
höchstens der 1500 -Franken-Gutschein
für die Horseshoe-Eventbar inOber-
arth oder der Gutschein der Nudelfirma
Bschüssig. Der grosseTeil der Gaben,
die es am Eidgenössischen Schwing-
fest in Zug zu gewinnen gibt, erfordern
einen grossräumigeren Lebensstil.
Schwinger werden nicht mit Preis-
geldern belohnt, sondern mit Kränzen
undGaben.Jebesser die Klassierung,
desto früher dürfen sie den sogenann-
ten Gabentempel betreten – und eine
der Gaben mit nach Hause nehmen. Die
Tr adition will es, dass sich jeder Schwin-
ger mit einem Brief beim Gabenspen-
der bedankt. Und sie will es auch, dass
die Gaben schon vor demFest ausge-
stellt werden und vom Publikum be-
sichtigt und bewundert werden dürfen.
Auf dem Zuger Stierenmarkt ist mehr
als eine Scheune dafürreserviert,die
Stimmung ist wie bei der Gewerbeaus-
stellung an der Olma, der Gabentempel
eigentlich einTempel ländlicherTr äume.
Vor der Ehrengabe von «Lusser
Carlo, Zug» steht eine Männergruppe
inFaserpelzen, Armeverschränkt, fach-
männischer Blick. Es ist ein grün-gelber
John Deere X350 R, einAufsitzrasen-
mäher undAufsitzschneepflug gleich-
zeitig,und einer der Männersagt: «Das
wäre meinTr aum.Dann müssteBarbara
nicht mehrRasen mähen, dann würde
ich.»Barbara, darf man annehmen, ist
seineFrau. Gelächter in derRunde.
«Schöni Priise»,ist der generelle
Tenor an diesem Montagabend.Vo r
einemFernsehmöbel, «macchiato deck-
lackiert, amerik.Wildnussbaum», aus der
Fabrik des MuotathalerSVP-Ständerats
PeterFöhn gibt es sogar einen kleineren
Andrang.Als eine ältere Frau die
Schublade herausfahren lässt, schreitet
aber einerderTempelwächter ein. «Ich
weiss, dieVersuchung ist gross...», sagt
er nur. DieFrau ist sich ihresVergehens
sofort bewusst. Überall steht gross auf
Klebern:«Die Gaben bitte NICHT be-
rühren».
DieTr äume liegen nah, sindaber
den Helden desWochenendes vorbe-
halten. DerKönig des Schwingens wird
mit einem sogenannten Lebendpreis
bedacht, dem Muni «Kolin»,der eine
Scheune weiter im Heu steht. Gerade
wird er geputzt. «Wellness», kommen-
tiert eine weitere Männerrunde, Faser-
pelz, Hände im Sack. Die Leute ste-
hen umKolin herum und fotografieren,
Andacht mit Smartphone.Der Muni
hat einen Gegenwert von 30 000 Fran-
ken und kann auch gegenBargeld ein-
getauscht werden, weil fürKolin nicht
einmal ein Einfamilienhaus mit Carport
reicht.Viele Nichtlebendpreise sind aber
ähnlich sperrig: ein begehbarer Hühner-
stall, riesige Gartentische, ein Strom-
generator,einWhirlpool.
«Es wird immer verrückter», sagtder
Helfer, der vorher noch dasFernseh-
möbel aus derFabrik vonPeterFöhn
bewacht hat. «Schauen Sie, da hinten,
das ist eine Harley.» An einem früheren
Eidgenössischen hatte sich das Gewerbe
gegenseitig so überboten, dass einer der
Tr aktoren mehrWert hatte als der Sie-
germuni.Darauf haben sie in Zug ge-
achtet, die Gabenhierarchie darf nicht
durcheinanderkommen.
Am weitesten verbreitet sind alle Ar-
ten von Maschinen, die einem das Le-
ben erleichternkönnen: Luftkompres-
soren,Laubbläser,Hubwagen. Sie bil-
den die Lebensrealität vieler Schwinger
ab und vielleicht noch mehr dieRealität
von früher, als die Mehrheit der Schwin-
gerdie Maschinen amTag darauf bei der
Arbeit einsetzenkonnten.
Inzwischen fragen sich nicht mehr
nurJournalisten bei diversen Gaben,
wozu diese wohl nützlich seinkönnten.
Vor einemroten Hüttchen bleibt selbst
dasFachpublikumratlos stehen. «Ist
das eine Stehsauna?», fragt eine jüngere
Frau. «Nicht eher einWerkzeughaus?»,
fragt eineihrerFreundinnen. Es ist die
«Grillbox» der Schreinerei Eberli in
Wiezikon, «für versierte Grillmeister»,
steht auf der Anzeige. Im unterenTeil
des Hüttchenskönne der Grill verstaut
werden, oben das Zubehör. Nebenan
steht ein Klauenpflegestand derFirma
Berweger in Uerzlikon, eine Einrich-
tung, die denBauern dabei hilft, die
Füsse ihrerKühe zu pflegen.Auf einem
kleinen Plakat steht, dieKonstruktion
sei in der Schweiz ausgetüftelt worden.
Wer wollte das auch bezweifeln!
DerMuni Kolin ist der begehrteste Preis, weil er demKönig zusteht. Sein Gegenwert: 30000 Franken.
Zug plant das Schwingfest der Superlative
Warum findet dasFest in Zugstatt?
Die fünfTeilverbände wechseln sich in
derAustragung des Eidgenössischen
(Esaf) imTurnus ab, daheristnach 15
Jahren die Innerschweiz wieder an der
Reihe.Und innerhalb dieserRegion
wollte man nach Schwyz, Nidwalden
und Luzern den Kanton Zug berück-
sichtigen. Die grösste Herausforde-
rung für das Zuger OK waren die en-
ge n Platzverhältnisse.Anders als zuletzt
findet das Esaf 20 19 in der Stadt statt.
Wie viele Zuschauerwerden erwartet?
Ursprünglich wollten die Zuger die
Dimensionen des Esaf 20 16 in Esta-
vayer nicht übertreffen. Doch man habe
gemerkt, dassman mehr Kapazität brau-
che, umkostendeckend wirtschaften zu
können, hiess es seitens des OK. Die-
ses schreibt von der «grössten temporä-
renArena derWelt», 56 500 Zuschauer
finden darin Platz.Nur 4000 Tickets ge-
langten in den für jedermann zugäng-
lichenVerkauf,1 83000 Tickets hätte
das OK absetzenkönnen. Ein gedeck-
ter Sitzplatz für zweiTagekostet 245
Franken (ÖV-Reisen sind im Preis inbe-
griffen). In der Näheder Arena gibt es
ein PublicViewing für 80 00 Leute.Auf
dem ganzenFestgelände, das mehr als
70 Hektaren gross ist,rechnet das OK
mit bis zu 350 000 Besuchern.
Wie hoch sind dieKosten?
Das Bruttobudget desFestes stieg lau-
fend, bis auf rund 37 MillionenFranken.
Das Zuger OK betont, es weisePosten
aus, die an anderen Esaf nicht ersicht-
lich gewesen seien. Sein Nettobudget
bewege sich auf ähnlichem Niveau wie
jenes in Estavayer 20 16. Dank 240Part-
nern nimmt es rund 17 MillionenFran-
ken mit Sponsoring ein. 20 01 in Nyon,
als die Schwingarena fast halb so gross
war, lag dasFestbudget bei8Millionen.
Wie berichtet dasFernsehen?
SRF sendet amWochenende mehr als
18 Stunden aus Zug. Zum Expertenteam
gehören dieSchwingerkönigeSempach,
Abderhalden und Käser. Erst in die-
semJahrtausend hat SRF begonnen,
das Esaf in vollerLänge livezuübertra-
gen. 2013, beim Schlussgang in Burgdorf,
waren durchschnittlich 961 000 Perso-
nen zugeschaltet (Marktanteil 78,5 Pro-
zent). SRF zahlt für dieRechte an den
wichtigstenFesten rund 170000 Fran-
ken proJahr, ein Schnäppchen.
Gibt es spezielle Gästefans?
Ein paar Innerschweizer mit gutenVer-
bindungen mögen sich gedacht haben:
Wenn wir schon nur einen Schwinger-
könig stellen, laden wir Blaublüter aus
demAusland ein. Erwartet werden der
König vonTonga im Südpazifik, derVer-
wandte in Zug hat, undFürst Albert von
Monaco. ac.
Auch im Gabentempelgibt es eineklare Hierarchie. BILDERWALTER BIERI / KEYSTONE
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