er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1
Zug
Weniger Merkmale von Triebwagen oder
Waggon, sondern vor allem die parallel ver-
laufenden Linien der Schienenstränge geben
bei der Erkennung den Ausschlag.

Dumm, aber raffiniert Wie bestimmte KI-Systeme Bildmotive erkennen Quellen: »Nature Communications«, TU Berlin


Schiff
Die für den Menschen leicht erkennbaren
Formen des Schiffskörpers werden nur flüchtig,
die Wasseroberfläche hingegen rechenintensiv
analysiert.

Pferd und Reiter
Besonders dreist: Nicht anatomische Merk-
male, sondern der links unten lesbare Hinweis
auf die Fotoagentur führte zur richtigen
Schlussfolgerung.

Heatmaps
von der KI
intensiv
analysierte
Bildteile

DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019 101


Manche KI-Systeme gehen ähnlich vor
wie der »Kluge Hans«, zum Beispiel Pro-
gramme zur Musiksortierung, wie der
Informatiker Bob Sturm von der König -
lichen Technischen Hochschule in Stock-
holm herausgefunden hat. Verblüffend
genau können solche Programme erken-
nen, ob es sich bei einem Stück zum Bei-
spiel um Rock oder Country handelt.
Sturm entdeckte aber: Das System achtet
gar nicht wirklich auf die Musik, es analy-
siert weder die Melodie noch die einge-
setzten Instrumente, sondern registriert
lediglich ein niederfrequentes, für Men-
schen unhörbares Brummen, das statis-
tisch zu der einen oder anderen Musik-
richtung passte.
Na, und? Wer sortiert, hat recht, oder
nicht? Aber genau das ist ein Problem:
Schon kleinste Veränderungen, zum Bei-
spiel ein minimal langsameres Abspielen
eines Stückes, kann die gleichsam schwer-
hörige Musik-KI so sehr verwirren, dass
sie eine Opernarie mit einem Rocksong
verwechselt.
Die teilweise ernüchternd simple Funk-
tionsweise einiger KI-Systeme ist mehr als
eine Anekdote, es ist bisweilen ein Sicher-
heitsrisiko. »Wir haben den Punkt erreicht,
bei dem das maschinelle Lernen zwar
funktioniert, aber leicht geknackt werden
kann«, warnen die KI-Experten Nicolas
Papernot und Ian Goodfellow in ihrem
Blog »cleverhans.io«: »Die meisten Ma-
schinenlernsysteme wurden für ein schwa-
ches Bedrohungsszenario entwickelt, in
dem es keinen echten Gegner gibt.«
Papernot, ab Herbst in Toronto Assis-
tant Professor für Maschinenlernen, ar -
beitet derzeit für Google. Im Detail be-


schreibt er im Blog, wie einfach sich ma-
schinelle Lernsysteme austricksen lassen.
In einem Versuch hat Papernot das Foto
eines Pandabären durch winziges Pixel-
rauschen so verändert, dass die KI darauf
einen Gibbon-Affen erkennt. Das mensch-
liche Auge dagegen nimmt die Bildmani-
pulation nicht wahr und erkennt weiterhin
einen Panda.
Tatsächlich versagen Bilderkennungs-
programme immer wieder, weil sie sich
leicht in die Irre führen lassen. Als im April
die Kathedrale Notre-Dame in Paris brann-
te, kategorisierte der YouTube-Algorith-
mus die Videos unter »9/11« ein, als terro-
ristischen Anschlag. Warum? Möglicher-
weise, weil bei beiden Ereignissen lange
Rauchwolken am Himmel standen.
»Ich kann ja die wunderbare Anzie-
hungskraft einer übermenschlichen KI-
Gottheit nachvollziehen, das wäre so
ähnlich wie Superman«, schreibt Kevin
Kelly, einer der Vordenker der Zeitschrift
»Wired«. »Aber wie Superman ist es eben
nur eine mythische Figur.« Kelly lässt
die heiße Luft aus dem KI-Hype, um den
Blick zu schärfen. Nicht auf ein globales
Superhirn, sondern auf viele kleine, mit-
telsmarte Progrämmchen, die den Alltag
erleichtern.
Schon heute sickern derlei Mini-KI-Sys-
teme in immer mehr Nischen. So planen
Facebook-Ingenieure, Maschinenlernsys-
teme direkt auf den Handys der Nutzer
zu installieren, statt wie bisher per Internet
auf KI-Systeme zuzugreifen, die auf Groß-
rechnern laufen. »Edge AI« heißt der neue
Trend – KI auf Peripheriegeräten.
Doch auf der Facebook-Entwicklerkon-
ferenz »F8« im Mai wurden auch die Nach-

teile diskutiert: Die lokalen KI-Program-
me könnten leichter vor Ort »vergiftet«
werden mit bösartigen Angreiferdaten.
Und sie müssten geschrumpft werden, weil
auf Smartphones der Speicherplatz be-
grenzt ist, was wiederum die Algorithmen
weniger treffsicher macht – und damit feh-
leranfälliger und unzuverlässiger.
Der Weg nach vorn braucht kritische
Beiträge von Praktikern wie Papernot
oder Müller, die nicht dystopische Schre-
ckensvisionen von übermächtigen Maschi-
nenintelligenzen auswalzen, sondern die
eher wie Hausmeister in den Heizungskel-
ler der Programmarchitekturen steigen.
»Wir können uns in Weltuntergangs -
szenarien verlieren, oder wir können mit-
hilfe von KI die praktischen Alltagspro-
bleme angehen, die wir auf dieser Welt
heute haben«, sagt Klaus-Robert Müller.
So habe sein Team Windturbinen mithilfe
lernender Maschinen um mehr als ein Pro-
zent effizienter gemacht, berichtet er:
»Das ist kein Hexenwerk.«
Derzeit entwickelt Müller zusammen
mit Ärzten der Berliner Charité ein KI-
Analyseprogramm, das Krebszellen in Ge-
webeproben aufstöbern soll. »Falls ich
später einmal Krebs bekomme«, sagt der
Computerexperte, »möchte ich sicher sein,
dass meine Diagnosesoftware nicht auf
›Clever Hans‹-Strategien beruht.«
Hilmar Schmundt

Video
Der Gehirn-Flipper

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