er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

E


s war einmal in Hollywood, genauer
gesagt in Pat and Lorraine’s Coffee
Shop am Eagle Rock Boulevard in
Los Angeles, als ein Mann vor der Kamera
eine frauenfeindliche Zote erzählen konn-
te und dafür nicht verachtet wurde oder
gefeuert. Im Gegenteil, mit solchen Sprü-
chen begann einst eine Weltkarriere.
Pat and Lorraine’s Coffee Shop ist der
Schauplatz der allerersten Szene von
Quentin Tarantinos Debütfilm, »Reservoir
Dogs« aus dem Jahr 1992, der Regisseur
und Drehbuchautor war damals 28. Die
Szene zeigt acht Männer beim Essen, sie
diskutieren über die Frage, wen oder was
die Sängerin Madonna eigentlich gemeint
habe mit ihrem Song »Like a Virgin«. Ist
»Jungfrau« wörtlich zu verstehen?
Die Unterhaltung wird sehr schnell sehr
vulgär. Einer der Männer, er nennt sich
Mr Brown, behauptet, Madonnas Song sei
»eine Metapher für große Schwänze« und
den Schmerz, den eine Frau dadurch beim
Sex empfinde. »Es tut ihr richtig weh!«
Mr Brown ist sichtlich stolz auf seine In-
terpretation. So wie der Darsteller von
Mr Brown, Quentin Tarantino selbst, in
der Szene erkennbar begeistert darüber
ist, diesen pubertären Quatsch in obsessi-
ver Ausführlichkeit zu erzählen. Höhö,
was ich mich alles traue! Später in »Reser-
voir Dogs« wird einer Geisel ein Ohr ab-
geschnitten, aus Spaß.
Für seinen nächsten Film, »Pulp Fiction«,
gewann Tarantino beim Festival von
Cannes die Goldene Palme und einen Os-
car für das beste Drehbuch. Seitdem gilt
er als Star, als einer der wenigen amerika-
nischen Filmemacher, deren Handschrift
so eigenwillig ist, dass man ihre Filme so-
fort als solche erkennt. Tarantinos bevor-
zugtes Stilmittel: Provokation – grotesk
überzeichnete Gewaltdarstellungen, Dia-
loge voller Kraftausdrücke, ironische Spie-
le mit der Zeitgeschichte. In seiner Nazi-
satire »Inglourious Basterds« wird Adolf
Hitler 1944 bei einem Attentat in einem
Pariser Kino ermordet.
»Alle meine Filme spielen in meiner ei-
genen Welt«, sagte Tarantino einmal im
SPIEGEL-Gespräch (32/2009), »am Ende
wollen Sie doch genau das sehen.«
Über Letzteres kann man streiten. Ta-
rantinos Welt und die Welt außerhalb sei-
nes Kopfes passten zuletzt immer weniger
zusammen. Wer seine Werke heute (wie-
der) sieht, stellt fest: Viele Tarantino-Filme


sind schlecht gealtert. Die Wirklichkeit hat
seine Fantasien längst übertroffen.
Folterszenen wie in »Reservoir Dogs«
oder zuletzt in seinem Western »The
Hateful Eight« wecken inzwischen böse
Assoziationen an die Henker-PR-Videos
islamistischer Terroristen, die ihre Opfer
vor der Kamera massakrieren. Echte Mas-
senmörder von Christchurch bis El Paso
präsentieren bei Facebook voller Sünden-
stolz Waffenarsenale, die aus der Requisi-
tenkammer eines Tarantino-Films stam-
men könnten.
Tarantinos neuer Spielfilm »Once Upon
a Time in Hollywood« löste bereits Pro-
teste aus, bevor er gedreht wurde. Kol -
legen reagierten verstört auf die Idee,
ausgerechnet die Mordserie der Charles-
Manson-Bande aus dem Jahr 1969 zum
Thema zu machen – und den Film zum


  1. Jahrestag des Verbrechens herauszu-
    bringen (Kinostart: 15. August). Zu den
    Opfern der Bande gehörte die Schauspie-
    lerin Sharon Tate, die Ehefrau des Re -
    gisseurs Roman Polanski.
    »Warum finanziert jemand so etwas?«,
    fragte auf Twitter der Filmemacher Judd
    Apatow, Produzent der bei jungen Femi-
    nistinnen populären Fernsehserie »Girls«.
    Die Antwort twitterte er gleich mit: »$$$$«,
    »deshalb wurde Weinstein nicht gestoppt«.
    Weinstein, das Unwort, die Unperson.
    Harvey Weinstein, der Produzent aller
    Tarantino-Filme seit »Pulp Fiction«. Im
    Herbst 2017 wurde er von mehreren Schau-
    spielerinnen beschuldigt, sie vergewaltigt
    oder sexuell belästigt zu haben – der Be-
    ginn der #MeToo-Debatte in Hollywood
    und darüber hinaus.
    Weinstein hatte ursprünglich auch Ta-
    rantinos Manson-Film produzieren sollen.
    Nachdem die Vorwürfe bekannt gewor-
    den waren, beendete der Regisseur die
    Zusammenarbeit. Doch auch er selbst
    geriet für seinen Umgang mit Frauen in
    die Kritik.
    Uma Thurman sagte der »New York
    Times«, Tarantino habe sie bei den Dreh-
    arbeiten zu »Kill Bill« in Lebensgefahr


gebracht. Und Tarantino selbst erzählte,
wie beim Dreh von »Inglourious Basterds«
Christoph Waltz seine Kollegin Diane
Kruger würgen sollte; in der Szene sollte
es so aussehen, als ob sie erdrosselt wür-
de. Doch Tarantino legte lieber selbst
Hand an: Die Hände an Krugers Hals, im
Film in Großaufnahme, sind die Hände
des Regisseurs.
»Wenn ich nicht richtig zudrücke, sieht
es nicht echt aus, sondern wie eine norma-
le Filmstrangulierung«, erklärte Tarantino
der verdutzten Schauspielerin. »Wenn du
nichts dagegen hast, würde ich gern richtig
zudrücken, 30 Sekunden lang oder so«,
bis die Adern anschwellen würden und
man echte Panik in ihrem Blick erkennen
könne, »dann sieht es richtig gut aus«. Viel-
leicht müsse man das Ganze auch noch
einmal wiederholen. Aber jemand von der
Crew werde schon aufpassen.
Lange war Tarantino für seine Metho-
den und Gewaltfantasien gefeiert worden.
Doch kann er auch mit Kritik umgehen?
Hat sie ihn überhaupt erreicht? Würde er
in »Once Upon a Time in Hollywood« ir-
gendwie reagieren auf die Debatten über

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Kultur

Der Film nach #MeToo


KinoRegisseur Quentin Tarantino wurde als Provokateur
berühmt, Harvey Weinstein war sein Produzent. Passt Tarantinos
neuer Film »Once Upon a Time in Hollywood« noch in die Zeit?

In einer Szene reizt
Tarantino seine
spätpubertären Fantasien
noch einmal aus.

Filmemacher Tarantino bei der »Once Upon a
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