Baerbock:Wir wollen eine stärkere euro-
päische Zusammenarbeit in der Verteidi-
gungspolitik. Das funktioniert nur, wenn
die geltenden Regeln für Rüstungsexporte
von allen voll und ganz angewandt wer-
den. Diesen Regeln – dem Europäischen
Standpunkt – haben auch die Franzosen
zugestimmt.
SPIEGEL:Die deutschen Richtlinien schlie-
ßen den Export von Kriegswaffen in Krieg
führende Staaten außer zur Selbstvertei-
digung aus. Der gemeinsame Standpunkt
ist in der Frage weniger restriktiv, er er-
laubt solche Exporte unter bestimmten
Umständen. Wären Sie bereit, diesen Preis
zu akzeptieren?
Baerbock:Der gemeinsame Standpunkt
ist an etlichen Stellen schärfer als die deut-
schen Richtlinien. Aus meiner Sicht sollten
Verstöße gegen diese Regeln bestraft wer-
den können. Dafür braucht es ein europäi-
sches Rüstungskontrollgremium, das par-
lamentarisch legitimiert sein müsste.
Die Regeln für Rüstungsexporte in
Krisengebiete würden dann so gel-
ten, wie sie im gemeinsamen Stand-
punkt formuliert sind.
SPIEGEL:Nach Ihren Vorstellungen
würde es am Ende kein nationales
Rüstungskontrollgremium mehr ge-
ben, sondern ein EU-Gremium?
Baerbock: Genau. Deutschland
muss die Regeln über ein Rüstungs-
exportkontrollgesetz umsetzen.
Deutsche und europäische Rüstungs-
güter haben in Kriegen und in Hän-
den von Diktatoren nichts verloren.
SPIEGEL:Eine europäische Rüs-
tungspolitik hieße auch eine euro-
päische Rüstungsindustrie. Die Grünen ha-
ben den Ruf, die Waffenindustrie grund-
sätzlich abzulehnen. Sehen Sie darin kein
Problem?
Baerbock:Abrüstung ist das Ziel. Aber so-
lange es Kriege und Krisen auf der Welt
gibt, muss Europa auch für seine Sicher-
heit sorgen können. Dafür ist eine euro-
päische Rüstungszusammenarbeit die rich-
tige Grundlage. Sie würde deutlich weni-
ger kosten als heute und wäre effektiver.
Wir Europäer geben viermal so viel Geld
für Militär aus wie Russland und haben
trotzdem schlechtere militärische Fähig-
keiten. Nicht jedes große europäische
Land muss alle militärischen Fähigkeiten
selbst haben.
SPIEGEL:Briten und Franzosen haben
beim Einsatz militärischer Mittel eine an-
dere Tradition als die Deutschen. Die
Deutschen gelten als Zauderer und Weg-
ducker. Steht das nicht einer Europäisie-
rung im Wege?
Baerbock:Die historische Verantwortung
von uns Deutschen lautet: nie wieder
Krieg, nie wieder Auschwitz. Das spiegelt
sich zu Recht in der deutschen Außenpoli-
tik wider. Ich halte es auch 74 Jahre nach
Ende des Zweiten Weltkriegs für richtig,
sehr kritisch auf jeden Militäreinsatz zu
schauen. Franzosen oder Polen blicken auf
eine andere Geschichte zurück. Es war im-
mer die Stärke Europas, diese unterschied-
lichen Traditionen nicht gegeneinander
auszuspielen.
SPIEGEL:Ein Problem für die europäi-
schen Partner ist auch, dass jeder Bundes-
wehreinsatz ein Mandat des Bundestags
voraussetzt. Stimmt das Parlament nicht
zu, muss die Bundesregierung sogar
Of fiziere aus internationalen Stäben der
Nato oder der EU herausnehmen. Müsste
der Parlamentsvorbehalt nicht reformiert
werden?
Baerbock: Wenn, dann europäisiert.
Wenn wir mit der Integration der EU so
weit vorangeschritten sind, dass wir uns
auf den Weg zu einer europäischen Armee
machen, dann brauchte es auch den Parla-
mentsvorbehalt auf europäischer Ebene.
Dafür müsste das Europaparlament ge-
stärkt werden. Ein Parlamentsvorbehalt
bleibt unverzichtbar.
SPIEGEL:Wenn Sie Europa unabhängiger
von den USA machen wollen, warum be-
kämpfen die Grünen dann die Freihandels-
abkommen, die die EU aushandelt? Damit
betreiben Sie einen ähnlichen Protektio-
nismus wie Trump.
Baerbock:Herr Trump will das inter -
nationale System kaputt machen, er be-
treibt eine Politik der Abschottung und
Erpressung. Das ist das Gegenteil von grü-
ner Außenpolitik. Die Handelsverträge,
die in den letzten Jahren ausgehandelt
wurden, sind aber nicht gut gemacht. Sie
lassen zum Beispiel wichtige Sozialstan-
dards oder das Pariser Klimaabkommen
außen vor. Das verschärft Konflikte und
läuft einer kohärenten Außenpolitik ent-
gegen.
SPIEGEL: Werden Sie dem Ceta-Ab -
kommen mit Kanada zustimmen? Es
kommt auf die Stimmen der Grünen im
Bundesrat an.
* Mit den Redakteuren Ralf Neukirch und Christoph
Schult in der Parteizentrale in Berlin.
Baerbock:Über diese Frage entscheiden
die Landesregierungen nach dem aus -
stehenden Verfassungsgerichtsurteil. Mein
zentraler Kritikpunkt sind die privaten
Schiedsgerichte. Auch etliche Mittelständ-
ler kritisieren inzwischen, dass ausländi-
sche Investoren durch sie Sonderrechte ha-
ben, während deutsche Firmen sich an eu-
ropäisches Recht halten müssen. Ich halte
es deshalb für einen Fehler, Handelsabkom-
men mit Investorenschutz zu verknüpfen.
SPIEGEL:Wäre es angesichts von Trumps
aggressiver Außen- und Handelspolitik
nicht wichtiger, Ceta zu ratifizieren, um
einen wichtigen Partner wie Kanada nicht
vor den Kopf zu stoßen?
Baerbock:Kanada ist ein wichtiger Part-
ner, und ein Großteil des Abkommens ist
ja vorläufig in Kraft. Woran ich mich eben
vor allem störe, sind die Schiedsgerichte.
SPIEGEL:Als die Grünen 1998 erstmals
an einer Regierungskoalition im Bund
beteiligt waren, hatten sie mit Josch-
ka Fischer einen Politiker, der sich
gründlich auf das Amt des Außen-
ministers vorbereitet hatte.
Baerbock:Hat er das? Da war ich
noch in der Schule.
SPIEGEL:Er hat sogar ein Buch zum
Thema geschrieben.
Baerbock:Oh, das habe ich wohl
verpasst.
SPIEGEL:Wer von den Grünen be-
reitet sich heute auf das Amt des
Außenministers vor?
Baerbock:Wir als Partei bereiten
uns gründlich vor. Moderne Außen-
politik ist umfassend. Sie reicht vom
Klimaschutz über den Zugang zu
Nahrungsmitteln bis hin zu Cybersicher-
heit und Frauenrechten.
SPIEGEL:Ist das Außenministerium ein
Ressort, das die Grünen bei einer Regie-
rungsbeteiligung beanspruchen sollten?
Baerbock:Ich spekuliere weder übers
Kanzleramt noch das Außenministerium
oder das Familienministerium. Die deut-
sche Politik kreist viel zu sehr um Personal-
und Ressortfragen, anstatt sich um die zen-
tralen Themen unserer Zeit zu kümmern.
SPIEGEL:Würden Sie sich das Amt der
Außenministerin zutrauen?
Baerbock:Muss ich dafür ein Buch schrei-
ben?
SPIEGEL:Immerhin wurde das Amt in
Deutschland noch nie von einer Frau be-
kleidet.
Baerbock:(lacht)Das stimmt.
SPIEGEL: Frau Baerbock, wir danken
Ihnen für dieses Gespräch.
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Deutschland
Baerbock beim SPIEGEL-Gespräch*
»Das Völkerrecht weiterentwickeln«
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Annalena Baerbocks
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STEFFEN ROTH / DER SPIEGEL