er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

Z


um Handwerk des Finanzministers
gehört neben der jobüblichen Knau-
serigkeit auch die großzügige Ges -
te zur rechten Zeit. Die will Olaf Scholz,
der aktuelle Amtsinhaber, schon bald
zeigen.
Noch in diesem Monat legt er dem Ka-
binett seinen Gesetzentwurf zum Abbau
des Solidaritätszuschlags vor. Und der
birgt einige Überraschungen. »Im ersten
Schritt der Rückführung des Solidaritäts-
zuschlags werden rund 90 Prozent der
Zahler von Lohnsteuer und veranlagter
Einkommensteuer vollständig entlastet«,
heißt es in dem Entwurf.
Im ersten Schritt?
Die Formulierung ist bemerkenswert,
denn bislang war es einhellige Haltung
von Scholz und seinen Genossen, dass
es sowieso nur einen einzigen Schritt
beim Soli-Abbau geben sollte. Das obe -
re Zehntel der Steuerzahler sollte ihn
auf unbestimmte Zeit weiterbezahlen.
Die Erwähnung eines ersten Schrittes
stellt nun immerhin einen zweiten in
Aussicht.
Mit seinem Gesetzentwurf geht Scholz
auf die Unionsparteien zumindest verbal
zu. Deren Vertreter, allen voran Wirt-
schaftsminister Peter Altmaier (CDU),
fordern seit Langem, den Soli komplett
abzuschaffen. Scholz und Genossen be-
harrten hingegen auf den Abmachungen
im Koalitionsvertrag, wonach die Abgabe
von 2021 an zunächst für
90 Prozent der Steuer-
zahler wegfallen soll.
Doch auch gegenüber
den knapp zehn Prozent
an Besserverdienern zeigt
sich Scholz ein bisschen
großzügig. Für weitere
6,5 Prozent der Steuer-
zahler falle der Soli zu-
mindest teilweise weg,
heißt es in den Erläute -
rungen zu dem Gesetzent-
wurf. Der Grund: Nach
Überschreiten der deut-
lich erhöhten Freigrenze
schlägt die Abgabe nicht
sofort mit voller Wucht


zu, sondern wächst erst allmählich auf
5,5 Prozent der Einkommensteuerschuld.
»Im Ergebnis werden 96,5 Prozent der
heutigen Soli-Zahler bessergestellt«, heißt
es in dem Papier. Konkret bedeutet dies,
dass ein Single bis zu einem Einkommen
von 73 874 Euro ab 2021 keinen Solidari-
tätszuschlag mehr bezahlen muss. »Erst
ab einem Bruttojahreseinkommen von
109 451 Euro muss er den vollen Soli ent-
richten, ab 73 874 Euro wird er in der Mil-
derungszone zum Teil entlastet.«
Für eine Familie mit zwei Kindern fällt
der volle Zuschlag künftig erst ab einem
Bruttoeinkommen von 221 375 Euro an.
Vom Soli befreit sind dagegen Familien in
derselben Konstellation mit einem Ein-
kommen bis 151 990 Euro.
Die Beamten des Finanzministeriums
haben auch in verschiedenen Varianten
durchgerechnet, mit welcher Entlastung
die Steuerzahler rechnen können. Je nach
Einkommen fällt sie unterschiedlich aus.
Ein Ehepaar mit Kind zum Beispiel, sie
Krankenpflegerin, er angestellter Maurer
mit zusammen 74 400 Euro Jahreseinkom-
men, wird nach den Be-
rechnungen des Finanz-
ministeriums um 565 Eu -
ro entlastet. Ein lediger
Erzieher, der 31 500 Eu -
ro verdient, zahlt bislang
202 Euro an Solidaritäts-
zuschlag. Das Geld kann
er künftig sparen.
Doch auch Einkom-
mensgruppen, die ge-
meinhin als Besserverdie-
ner durchgehen, können
in den Genuss der Kom-
plettentlastung kommen.
Das zeigt das Beispiel
einer alleinerziehenden
Rechtsanwältin mit Toch-

ter, die 60 000 Euro verdient. Sie zahlt
bislang 278 Euro an Solidaritätszuschlag.
Diese Überweisung ans Finanzamt fällt
künftig weg.
Im ersten Jahr verzichtet der Bund
durch das neue Gesetz auf Einnahmen in
Höhe von 9,8 Milliarden Euro. Dieser Be-
trag wächst bis 2024 auf 12,1 Milliarden
Euro an. »Eine Abschaffung auch für die
einkommenstärksten 10 Prozent der Soli-
Zahler würde zusätzlich 11 Milliarden
Euro jährlich kosten«, heißt es in der Vor-
lage. Der Schritt würde »lediglich die
Nettoeinkommen von Spitzenverdienern
weiter erhöhen«.
Auch dafür haben die Scholz-Beamten
ein Beispiel parat: Der Vorstandschef ei-
nes Dax-Unternehmens mit einem unter-
stellten Einkommen von 5,8 Millionen
Euro käme auf eine Entlastung von mehr
als 140 000 Euro. Zu viel, fanden die Be-
amten. »Gerade vor dem Hintergrund der
weniger stark wachsenden Steuereinnah-
men gilt es, finanzpolitisch noch stärker
auf Prioritäten zu setzen und Haushalts-
mittel dort einzusetzen, wo sie besonders
dringend benötigt werden«, schreiben die
Beamten. Zudem hätte der Schritt »eine
erhebliche soziale Unwucht«.
Das Argument knapper Kassen dürfte
nicht überall verfangen. Es braucht keine
prophetischen Gaben, um vorauszusagen,
dass das Gesetz vor dem Bundesverfas-
sungsgericht landen wird. Nach Einschät-
zung zahlreicher Rechtsexperten wider-
spricht es dem Grundgesetz, wenn die als
vorübergehend angekündigte Zusatzbelas-
tung für einen kleinen Teil der Steuerzah-
ler dauerhaft beibehalten wird.
Scholz könnte darauf verweisen, dass
er einen zweiten Schritt, wenn auch indi-
rekt, in seinem Gesetzentwurf schon an-
gekündigt habe. Christian Reiermann

25

Soziale


Unwucht


SteuernBei seinem
Gesetz entwurf zum Abbau des
Solidaritätszuschlags zeigt
sich Finanzminister Olaf Scholz
großzügiger als angekündigt.

Solidaritätszuschlag
Einnahmen des Bundes
in Milliarden Euro
Quelle: BMF

18,9


2018

6,7


1992

PETER RIGAUD / DER SPIEGEL
SPD-Politiker Scholz: »96,5 Prozent der Soli-Zahler werden bessergestellt«

DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 08. 2019

Free download pdf