er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

nal 11 des Bordfernsehens laufen Liveauf-
nahmen vom Pool.
Noch bevor der Koffer auf die Kabine
gebracht ist, soll mit dem Film der Eindruck
erweckt werden, dass eine eventuelle Skep-
sis in Sachen Umweltfragen unangebracht
sei, der Gast ohne schlechtes Gewissen in
den Wohlfühlmodus umschalten dürfe.
Die »Mein Schiff 6« fährt nicht unter
deutscher, sondern unter maltesischer
Flagge, aber getauft wurde sie am 1. Juni
2017 vor der Elbphilharmonie im Ham-
burger Hafen. Zur Premierenparty kamen
Natascha Ochsenknecht, Heino und Didi
Hallervorden. An Bord erinnert nichts an
Malta, aber alles an Hamburg. Die Ein-
kaufspassage auf Deck 4 heißt Neuer Wall,
wie die Hamburger Einkaufsstraße, das
Theater ab Deck 3 heißt Große Freiheit,
und in der Bar Außenalster auf Deck 14
sind die Getränke im Preis inbegriffen:
Pils von Bitburger, Weißbier von Paulaner,
die Stimmung dort ist in der Regel sehr gut.
Der Morgen beginnt mit Durchsagen,
zuverlässig meldet sich »Ihre Wiebke«, die
Kreuzfahrtdirektorin. Sie stellt die High-
lights aus dem Tagesprogramm vor, wirbt
für Bordaktivitäten und Angebote in den
Shops. An Seetagen, wenn die Gäste nicht
vom Schiff können, bleiben nur die Ge-
schäfte an Bord, um Konsumgelüste zu stil-
len. Die Ausgaben der Passagiere in den
Schiffsshops machen bis zu einem Fünftel
des Umsatzes einer Kreuzfahrt aus.


Der Grundpreis für eine WocheKreuz-
fahrt liegt weltweit pro Person durch-
schnittlich bei 1300 Dollar, in Deutschland
um die 1500 Euro. Zusätzlich gibt ein Gast
im Schnitt 200 bis 300 Euro in Bars und
Cafés an Bord aus, etwa 100 Euro für
Landausflüge, 50 Euro für Spa-Anwen -
dungen. Dazu kommen pro Tag 20 Euro
für Trinkgelder. Und dann sind da noch
diese ständigen Einladungen zum Geld-
ausgeben für Extras: Fleischverkostung
im Steakhouse auf Deck 5 (30 Euro),
Workshop »Meine Seife – ein Stück Ur-
laub für zu Hause« (20 Euro). Das Treffen
allein reisender Gäste in der Diamant Bar
auf Deck 5 kostet nichts.
Gegenüber der TUI-Bar auf Deck 4
können Passagiere im Gespräch mit einem
Reiseberater gleich die nächste Kreuzfahrt
buchen, mit drei Prozent Rabatt.
Betriebe TUI in Deutschland ein Hotel
von der Größenordnung der »Mein Schiff
6«, müsste der Touristikkonzern Einkom-
men-, Mehrwert- und Gewerbesteuer ab-
führen, seinen Angestellten Sozial-, Kran-
ken- und Rentenversicherungsbeiträge zah-
len, und er dürfte sie nicht unter dem Min-
destlohn für das Hotelgewerbe von 9,19
Euro pro Stunde beschäftigen. Die Mitar-
beiter hätten Anrecht auf Urlaub und einen
Betriebsrat, der ihre Interessen vertritt. Auf
hoher See gibt es solche Auflagen nicht.


Die Kreuzfahrtindustrie wächst auch
deshalb so kräftig, weil sich auf See ver-
gleichsweise unreguliert Geld verdienen
lässt. Ansonsten beruht das Geschäfts -
modell darauf, die wenigen Regeln optimal
auszureizen. Schiffe werden in steuer- und
abgabefreundliche Länder ausgeflaggt, Fir-
mensitze nach Liberia, Panama oder eben
Malta verlegt. So werden Steuerzahlungen
teils in Milliardenhöhe vermieden, und
Angestellte können zu Arbeitsbedingun-
gen wie in Sweatshops beschäftigt werden.
Alles ist der Rendite untergeordnet. Sogar
an Rettungsbooten wird gespart, um mehr
Balkonkabinen vermieten zu können. Die
13 Rettungsboote auf der »Mein Schiff 6«
reichen laut Kapitän für die 2534 Passa-
giere. Die Besatzung müsste sich im Not-
fall mit Rettungsinseln behelfen. Die War-
tung der Rettungsboote ist aufwendig.
Betrachtet man die vielen Anzeigen und
Angebote der Kreuzfahrtgesellschaften,
entsteht der Eindruck, die Kreuzfahrtindus-
trie bestünde aus vielen Firmen, die mit -
einander im Wettbewerb wären. Aber das
Gegenteil ist der Fall. Die Kreuzfahrtindus-
trie ist ein Oligopol. Vier Konzerne, Carni-
val Cruise, Royal Caribbean, Norwegian
Cruise Line und MSC beherrschen mehr
als 90 Prozent des Marktes. Sie erzielen
zweistellige Umsatzrenditen, von denen an-
dere Branchen nur träumen können.
Moderne Kreuzfahrten sind eine Ent-
wicklung, die sich an amerikanischen Ur-

laubsvorlieben orientiert. In Miami, Flo-
rida, lernten sich Mitte der Sechziger-, An-
fang der Siebzigerjahre drei Männer mit
großen Ideen kennen. Ted Arison war ein
israelischer Geschäftsmann, Knut Kloster
und Arne Wilhelmsen stammten aus nor-
wegischen Reederei-Dynastien. Obwohl
die drei Männer grundverschieden waren,
einte sie eine Vision: Sie waren überzeugt
davon, dass sie gutes Geld verdienen könn-
ten, wenn es ihnen gelänge, dass sich Men-
schen auf Kreuzfahrtschiffen amüsierten.
Kloster und Arison gründeten die Nor-
wegian Cruise Line, Arison Carnival Cruise
und Wilhelmsen Royal Caribbean Cruises.
Sie entstaubten das alte, steife Image der
Kreuzfahrt, lockerten die Kleiderordnung,
boten Reisen in die nahe Karibik an und
verdienten vor allem am Glücksspiel, das
außerhalb der Zwölfmeilenzone erlaubt
war. Da die meisten Amerikaner nicht
mehr als elf Tage Urlaub pro Jahr hatten,
konnte man nun eine Kreuzfahrt auch
schon für drei Tage buchen. Die schwim-
menden Casinos und Hotels mutierten
über die Jahrzehnte zu schwimmenden Re-
sorts mit künstlichen Wellen für Surfer und
Eislaufflächen für Schlittschuhläufer.
Je größer die Schiffe wurden, desto
günstiger konnten die Reeder die Kreuz-
fahrten anbieten und umso mehr Umsatz
machen. Und so entstand die heutige
Flotte der Royal Caribbean, die einem
vorkommt wie aus einem Fantasyfilm. Die
»Symphony of the Seas«, die »Oasis of
the Seas«, die »Allure of the Seas« befah-
ren die Meere mit jeweils weit mehr als
5000 Passagieren, kleine schwimmende
Städte auf der Jagd nach dem maximalen
Shareholder Value.
Die TUI Cruises GmbH gehört zur einen
Hälfte der TUI AG und zur anderen einer
niederländischen Holding von Royal Ca-
ribbean. TUI Cruises hat voriges Jahr laut
Geschäftsbericht 200 Millionen Euro Ge-
winn zum TUI-Konzernergebnis beigetra-
gen. Royal Caribbean verbuchte einen
Reingewinn von 1,9 Milliarden Dollar, Kon-
kurrent Carnival 3,2 Milliarden Dollar, bei-
de Unternehmen sind an der Börse notiert.
Da die »Mein Schiff 6« unter maltesi-
scher Flagge fährt, entfallen die Steuern
auf Bordverkäufe. TUI Cruises muss Mal-
ta nur Gebühren für die Registrierung des
Schiffs zahlen. Die »Mein Schiff 6«, die
so deutsch daherkommt, ist ebenso wenig
ein deutsches Schiff wie die Pötte der
Aida-Flotte. Diese gehört zur italienischen
Reederei Costa, einer hundertprozenti -
gen Tochter von Carnival Cruise, dem Bran-
chenführer.
Die Papes aus Braunschweig machen
Urlaub und genießen ihre Zeit auf dem
Balkon. Ja, sie hätten schon Leute in ihrem
Bekanntenkreis, die schimpften, wenn sie
wieder einmal auf Kreuzfahrt gingen.
Aber was will man machen? Und dieser

48


Titel

Dicke Luft
Schwefeloxidemissionen in ausgewählten
europäischen Hafenstädten, 2017, in Kilogramm

Quelle:
Transport & Environment

Barcelona

Palma de Mallorca

Venedig

32 838


6812

28 011


2986

27 520


1362

durch Kreuzfahrtschiffe

durch Pkw
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