Umweltfilm in der Kabine, der erkläre,
wie sauber die »Mein Schiff 6« fahre, das
könne doch eigentlich nicht gelogen sein,
sagt Renate Pape.
An Seetagen bleibt auf dem Sonnendeck
keine Liege frei. Erfahrene Kreuzfahrer re-
servieren sich ihren Lieblingsplatz am Pool
schon früh mit Handtüchern. Auf großen
Kreuzfahrtschiffen müssen sich die Passa-
giere um einen begehrten Platz bemühen.
Da die Wohlfühlbadetücher auf der »Mein
Schiff 6« alle gleich aussehen, kommt es am
Rand des Wohlfühlpools manchmal zu
Wortwechseln unter den Passagieren.
Solche und ähnliche Szenen werden zur
Zukunft des Reisens gehören. Stand Ende
Juni werden 124 neue Kreuzfahrtschiffe mit
einem Ordervolumen von mehr als 69 Mil-
liarden Dollar in den nächsten Jahren ge-
baut. Bei den Reisezielen gibt es längst kei-
ne Grenzen mehr. Wer über Flugscham
spricht, muss auch ein neues Wort dafür er-
finden, dass Menschen auf Kreuzfahrten in
die Antarktis fahren, um den Polkappen
beim Schmelzen zuzusehen. Und dabei
Prosecco zu trinken.
In Dubrovnik legt die »Mein Schiff 6«
um kurz nach sieben Uhr morgens an. Man
werde das einzige Kreuzfahrtschiff im Ha-
fen sein, heißt es. Dubrovnik, die Perle der
Adria, gilt als besonders abschreckendes
Beispiel für das Phänomen des »Overtou -
rism«, der feindlichen Übernahme einer
Stadt durch den Massentourismus.
»Lassen Sie sich vom Reiz Dubrovniks
am besten bei einem Spaziergang durch
die malerischen Gassen der Altstadt ver-
zaubern«, steht im Tagesprogramm, das
jeden Abend ausgelegt wird. Wem das zu
langweilig ist, der kann sich »Games of
Thrones«-Schauplätze ansehen.
Die Gäste werden für neun Euro in Reise -
bussen vor die Altstadt von Dubrovnik ge-
fahren. Sie ist von einer begehbaren Stadt-
mauer umgeben und von der Unesco als
Weltkulturerbe ausgezeichnet. Highlight
der Sehenswürdigkeiten wäre die älteste
Apotheke Europas im Franziskanerkloster,
die 1317 eröffnet wurde. Aber sie hat ge-
schlossen, wegen eines Feiertags.
Es ist schon am Vormittag knapp 40 Grad
heiß. Vor dem Stadttor warten Hunderte
Menschen, die sich nach und nach ins über-
füllte alte Dubrovnik drängen, Besucher aus
aller Welt, die dem Schild ihres Reiseführers
folgen. Der Eintritt zur Stadtmauer kostet
200 kroatische Kuna, knapp 30 Euro, aber
das hält hier keinen ab. Der Rundgang auf
der Mauer erfolgt dicht an dicht im Gänse-
marsch und dauert eine gute halbe Stunde.
Jedes Selfie sorgt für Stau. Vor der Stadt
flimmert das Meer.
Sanitäter legen Touristen Eisbeutel in
den Nacken. Rund drei Millionen Besu-
cher fluteten die Altstadt im vergangenen
Jahr. Mehr als 400 Kreuzfahrtschiffe leg-
ten im Hafen an, eine ungute Belagerung.
Tagestouristen bringen Geld, aber sie brau-
chen keine Läden des täglichen Bedarfs.
Wo Bäcker waren in Dubrovnik, wird jetzt
chinesischer Tand verkauft. Wo Metzger
waren, gehen »Game of Thrones«-Anden-
ken über die Theke. Wo Einheimische wa-
ren, wird nur noch Englisch gesprochen.
»Als nach dem Krieg die ersten Kreuzfahrt-
schiffe nach Dubrovnik kamen, haben wir
sie mit Blaskapellen empfangen«, sagt
Mato Franković, Bürgermeister von Du-
brovnik, der SPIEGELerreicht ihn telefo-
nisch. »Wir haben in diesen Schiffen die
Zukunft gesehen.« Jetzt geht es mühsam
rückwärts in die Vergangenheit.
Seit diesem Jahr dürfen in Dubrovnik
morgens nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe
gleichzeitig anlegen, ein drittes erst ab Mit-
tag. Vom nächsten Jahr an dürfen nur noch
4000 Passagiere pro Tag von Bord, von
2021 an wird laut Franković eine Sonder-
steuer von zwei Euro pro Passagier erho-
ben. Außerdem müssen die Kreuzfahrtschif-
fe, die ihre Motoren aus Kostengründen
bislang auch in den Häfen laufen ließen, um
ihren Bedarf an Energie günstig zu pro -
duzieren, verbindlich die Landstromanla-
gen nutzen. Das alles ist für die Stadt und
ihren Bürgermeister eine heikle Abwägung.
80 Prozent der Bewohner von Dubrovnik
leben vom Tourismus. Das bremst den Elan
im Kampf für mehr Nachhaltigkeit und ei-
nen reduzierten Tourismus.
In Venedig ist es noch schlimmer. Kritiker
sagen, dass sich die Lagunenstadt, anders
als Dubrovnik, vollends an die Kreuzfahrt-
industrie verkauft habe. Der Kreuzfahrt-
hafen wird von einer Aktiengesellschaft
betrieben, die maßgeblich dem amerika-
nischen Carnival-Cruise-Konzern und an-
deren Kreuzfahrtgesellschaften gehört. Bis
zu zehn Schiffe können dort gleichzeitig
festmachen, und in der Hochsaison tun sie
das auch. Wenn es früher kein Fremden-
zimmer mehr gab, konnte niemand mehr
zusätzlich übernachten. Heute fügen die
Kreuzfahrtschiffe der Serenissima eine
weitere künstliche Insel hinzu, für die kein
Land gewonnen werden musste.
Die Ein- und Ausfahrt der schwimmen-
den Wohnblocks führt über den Giudecca-
Kanal am Dogenpalast und am Markus-
platz vorbei. Wer sich während der Passage
gerade in der Stadt aufhält, spürt das Miss-
verhältnis zwischen den riesigen Schiffen
und der fragilen Stadt geradezu körperlich.
Die Passage gehört jedoch zu den High-
lights der Kreuzfahrttouristen, die die herrli -
che Aussicht von ihren Balkon- und Außen-
kabinen und an der Reling trotz alledem
genießen. Es ist ein Sinnbild menschlicher
Hybris und gedankenlosen Konsums und
zugleich der schlimmste Albtraum der we-
nigen Venezianer, die sich noch wehren.
»No grandi navi«, keine großen Schiffe,
heißt eine Bürgerinitiative, die regelmäßig
versucht, die Einfahrt der schwimmenden
Städte mit kleinen Booten zu verhindern.
Sie scheint erste Erfolge verbuchen zu kön-
nen. Am Donnerstag meldete die »Finan-
cial Times«, dass einige der Kreuzfahrtschif-
fe ab September umgeleitet werden sollen.
Die »Mein Schiff 6« hält auf ihrer Reise
durch das Mittelmeer nicht in Venedig. Das
Ehepaar Pape aus Braunschweig war aber
schon öfter in der Lagunenstadt. Die Papes
machen dieses Mal zwei Ausflüge mit, die
»Perlen der Adriatischen Küste im kleinen
Kreis« nach Kotor in Montenegro, und sie
fahren in einer Gruppe zu den Höhlensied-
lungen von Matera bei Bari. Frau Pape sagt,
dass beide Ausflüge sie eigentlich nur ge-
nervt hätten. Der »Perlen«-Ausflug kostete
75 Euro, die Teilnehmer wurden morgens
in Rettungsbooten durch die Bucht von Ko-
tor zum Pier getendert, »Mein Schiff 6« lag
auf Reede. Es ging mit einer Reiseleiterin
durch die Altstadt von Kotor, aber nicht
lange, wegen der Hitze. Auf dem Markt gab
es frische Aprikosen, die wie stets nur auf
eigene Gefahr zu essen waren. In einem
Sicherheitsfilm auf dem Schiff warnt TUI
Cruises alle Passagiere vor dem Verzehr von
rohem Obst bei Landausflügen. Die Risiko-
gesellschaft stellt ihre Fallen überall.
Zu Beginn des Abendessens um 18 Uhr
waren die Ausflügler wohlbehalten zurück
an Bord. Im Restaurant Atlantik Mediter-
ran auf Deck 4 aßen die Papes geschmor-
tes Kaninchen mit Kastanienpolenta, ge-
folgt von Loup de mer mit Perlgraupen -
risotto. Dazu den Rosé ohne Aufpreis.
Kotor, Montenegro, war ganz schön, muss
aber nicht unbedingt noch mal im Rahmen
einer Kreuzfahrt besucht werden.
Matera war noch schlechter. Es ging hin
und zurück anderthalb Stunden im Bus,
nur zweieinhalb Stunden vor Ort, eine ein-
zige Hetzerei in einer Gluthitze. Die Füh-
rerin habe ihnen noch erklärt, erzählt Frau
Pape, wo ein schönes Museum sei, aber
Zeit, um hinzugehen, hätten sie nicht mehr
50
Titel
ADMIR SULJANOVIC
Kapitän Böttger
»Es kommt nicht drauf
an, was Sie unten
reinfüllen, sondern was
oben rauskommt.«