gehabt. »Dann hat se uns eine halbe Stun-
de Freizeit gegeben«, sagt Herr Pape, auf
einem sonnendurchfluteten Platz, »wo
weit und breit kein Lokal zu finden war«.
Beim letzten Landausflug in Catania bucht
das Paar keine Exkursion mehr, die Papes
erkunden auf eigene Faust die Stadt.
An einem Abend früh in der Woche prä-
sentiert sich der Kapitän mit seiner Mann-
schaft im Theater des Schiffes. Simon Bött-
ger trägt seine blonden Haare nach hinten
gegelt. »Sind Schwaben hier?«, fragt Bött-
ger zum Aufwärmen, »die erkennen Sie
daran, dass sie Ihnen die Liegen am Pool
vermieten wollen.« Gelächter, Applaus.
Diesem Kapitän, das merkt man gleich,
sitzt ständig der Schalk im Nacken.
Den Chef der Security stellt Böttger als
die CIA, das FBI, die Kavallerie des Schif-
fes vor. Den serbischen Umweltoffizier prä-
sentiert er als »unsere Greta Thunberg«.
Der Serbe sagt, dass er für die Abgasnach-
behandlungs- und die Kläranlage zustän-
dig sei und dass er noch einen ganz beson-
deren Tipp für die Gäste habe: »Um Was-
ser zu sparen, duschen Sie zu zweit und
trinken Sie viel Bier!«
Kapitän Böttger wird später in der Wo-
che einen weiteren Auftritt hinlegen. An
einem Nachmittag findet die »Kapitäns-
Fragestunde« statt. Böttger trägt einen wei-
ßen Anzug, der so eng anliegt, als wäre er
ihm auf seinen schlanken Körper gepinselt.
Auf dem großen Bildschirm hinter ihm
wird eine Skizze des Schiffes gezeigt. Die
»Mein Schiff 6« sei 2,8 Fußballfelder lang,
sagt Böttger, er mag es wirklich witzig,
»also zwei ganze Fußballfelder und eines
vom Hamburger SV. Die brauchen den
gegnerischen 16er immer nicht so viel«.
In seinem norddeutschen Singsang mo-
nologisiert Böttger in einem Ton, als sprä-
che er zu Kindern. Letztlich variiert er nur
die immer gleiche Marketingbotschaft,
dass TUI Cruises eine tolle Firma und ihre
Schiffe in jeder Beziehung top seien, dass
weder die Reiseziele noch die Umwelt
durch Kreuzfahrten beeinträchtigt würden.
Böttger erzählt,wie die »Mein Schiff 6«
im finnischen Turku gebaut wurde, wie
10 717 Stahlplatten durch 2000 Kilometer
Schweißnähten verbunden wurden und
dass die Kiellegung am 21. August 2015
und die Ablieferung am 9. Mai 2017 über
die Bühne gingen. Die Werft in Turku ge-
hört zum Meyer-Konzern aus Papenburg,
einer von nur drei Großwerften weltweit,
die in der Lage sind, die schwimmenden
Giganten zu bauen.
Auf dem großen Bildschirm im Theater
ist dann die Abgasnachbehandlungsanlage
zu sehen, das ist ein Wort mit 26 Buchsta-
ben, in dem sich einiges verstauen lässt.
Die Anlage sitzt irgendwo unter dem
Schornstein und heißt in der Fachsprache
Scrubber. Man versteht Böttger richtig,
wenn man versteht, dass der Scrubber die
Abluft quasi sauber schrubbt.
Der Kapitän fragt rhetorisch in die Run-
de: »Ja, womit wird Ihr Schiff angetrie-
ben?« Na? »In unseren Tanks haben wir
Schweröl«, sagt Böttger, »das kennen Sie
von zu Hause, ist böse verschrien, auch in
der Presse im Moment, aber es kommt
nicht drauf an, was Sie unten reinfüllen,
sondern was am Ende aus dem Schorn-
stein oben rauskommt.« Und oben, sagt
Böttger, komme eben nicht viel raus.
Experten vom Naturschutzbund Deutsch -
land können dagegen detailliert vorrech-
nen, dass diese Darstellung ziemlicher
Quatsch und vieles an Böttgers Vortrag
arg geschönt ist.
»Dass Kreuzfahrtschiffe von TUI mit ei-
nem Treibstoff mit nur 0,8 Prozent Schwe-
felgehalt fahren, erscheint nicht plausibel
und deckt sich nicht mit den Angaben
aus dem Nachhaltigkeitsbericht von TUI
Cruises«, sagt Sönke Diesener vom Natur-
schutzbund Deutschland. Der Verein be-
fasst sich seit Jahren mit der Kreuzfahrt-
industrie, erstellt Studien und eine jährli-
che Rangliste der Schiffe, die diese nach
Umweltkriterien bewertet.
»Die ›Mein Schiff 6‹ ist auf den Betrieb
mit giftigem und billigem Schweröl aus -
gelegt«, sagt Diesener, »sie verfügt hier -
zu über Scrubber, um die Grenzwerte für
DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019 51
ISA FOLTIN / GETTY IMAGES
»Mein Schiff 6«-Taufe vor der Elbphilharmonie in Hamburg im Juni 2017: Fast 300 Meter lang, fast 60 Meter über Wasser hoch