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Konjunktur
»Eine Rezession ist
nicht ausgeschlossen«
Christoph Schmidt, 56,
leitet das RWI-Leibniz-
Institut für Wirtschaftsfor-
schung und ist Vorsitzen-
der des Sachverständigen-
rats der Bundesregierung.
SPIEGEL: Herr Professor Schmidt, rutscht
Deutschland in die Rezession?
Schmidt: Der Sachverständigenrat ist bei
seiner jüngsten Prognose noch von einem
Wachstum von knapp einem Prozent für
dieses Jahr ausgegangen. Inzwischen deu-
tet einiges darauf hin, dass die Steigerungs-
rate geringer ausfällt. Eine anhaltende
Schrumpfung der Wirtschaft ist nach wie
vor unwahrscheinlich, solange sich die
Handelskonflikte in der Welt nicht weiter
zuspitzen. Sollte es aber dazu kommen, ist
auch eine Rezession nicht ausgeschlossen.
SPIEGEL: Manche Ökonomen halten in
diesem Fall ein Konjunkturprogramm
in Deutschland für erforderlich. Sehen Sie
das auch so?
Schmidt: Nein. Deutschland hat einen
zehnjährigen Aufschwung mit überdurch-
schnittlichem Wachstum hinter sich.
Wenn die vorübergehenden Steigerungs-
raten nun etwas geringer ausfallen, ist das
allein noch kein Grund zu übertriebener
Besorgnis. Und wenn es zu einem
Abschwung kommt, stützen sinkende
Steuerlasten und steigende Sozialausga-
ben automatisch die Konjunktur. Ein rich-
tiges Konjunkturprogramm wäre nur zu
erwägen, wenn es zu einem so außerge-
wöhnlich starken Einbruch kommen wür-
de wie nach der Finanzkrise 2008. Davon
kann aber derzeit keine Rede sein.
SPIEGEL: Einige Ihrer Kollegen fordern,
auch unabhängig von der Konjunktur,
dass der Staat zusätzliche Schulden
machen sollte, um mehr zu investieren.
Was halten Sie davon?
Schmidt: Der Staat sollte in der Tat mehr
investieren, etwa in die Ausstattung von
Bildungseinrichtungen oder die Infra-
struktur für den Klimaschutz. Dazu muss
er aber nicht unbedingt neue Kredite auf-
nehmen, er könnte auch seine Konsum-
ausgaben zurückfahren.
SPIEGEL: Derzeit sind die Zinsen extrem
niedrig; aktuell verdient der Staat sogar
Geld, wenn er Kredite aufnimmt. Was
spricht dagegen, die Gelegenheit zu
ergreifen?
Schmidt: Dagegen spricht die Erfahrung:
In der Krise Schulden zu machen, fällt
dem Staat nicht schwer. Sie im Auf-
schwung wieder zurückzufahren, ist ihm
oft weniger gut gelungen.
SPIEGEL:Sollte die Regierung an der
Schuldenbremse und der schwarzen Null
festhalten?
Schmidt:An der im Grundgesetz veran-
kerten Schuldenbremse unbedingt; denn
sie führt zu einer disziplinierten Haus-
haltspolitik, die wir im Interesse künftiger
Generationen fortsetzen sollten. Bei der
schwarzen Null hingegen handelt es sich
nur um eine politische Richtschnur für die
Haushaltspolitik. Diese hat sich im letzten
Aufschwung bewährt und für eine solide-
re Haushaltsführung gesorgt. In einem
ausgeprägten Abschwung wäre sie jedoch
als Richtschnur nicht geeignet. MSA
Verkehr
Bahn soll Tickets der
Konkurrenz verkaufen
Die Grünen wollen die Deutsche Bahn
AG per Gesetz dazu zwingen, mehr Wett-
bewerb auf der Schiene zuzulassen. Der
Konzern soll etwa Angebote von Wettbe-
werbern wie Flixtrain in ihren Strecken-
auskünften und Apps nicht mehr nur
anzeigen. Kunden sollen die Fahrkarten
der Wettbewerber auch direkt über den
Bahnvertrieb und die Fahrscheinautoma-
ten des Ex-Monopolisten buchen und
abrechnen können. Außerdem schlägt
der bei den Grünen zuständige Bundes-
tagsabgeordnete Oliver Krischer vor, dass
die Preise für die Nutzung der Trassen im
Personenverkehr halbiert werden und
die Wettbewerber bei der Aufstellung der
Fahrpläne – anders als heute – nicht
mehr auf un attraktive Randzeiten und
Strecken gedrängt werden können. Sie
sollen im Gegenteil eine Art »Erstzu-
griffsrecht« für attraktive Fernverbin-
dungsstrecken be kommen. Mit ihrer Ini-
tiative reagieren die Grünen darauf, dass
der Wettbewerb auf der Schiene 25 Jahre
nach dem offiziellen Ende des Bahnmo-
nopols im Personenverkehr immer noch
gering ist. Nach Auskunft der Bundesre-
gierung auf eine entsprechende Anfrage
der Grünen setzt die Deutsche Bahn in
Deutschland »454 Züge« im deutschen
Fernverkehr ein. Die Konkurrenten kom-
men nach Analyse der Grünen gerade
einmal auf 6 Züge und einen Marktanteil
von unter zwei Prozent. Die Partei will
mit ihrer Initiative erreichen, dass in fünf
Jahren mindestens 50 Züge von Wettbe-
werbern unterwegs sind. FDO
Lufthansa
Schonung für Ex-Chef
der Kabinengewerkschaft
In dem seit Monaten schwelenden
Streit zwischen der Lufthansa und der
Flugbegleitergewerkschaft UFO um
finanzielle Forderungen wegen angeb-
lich zu Unrecht erfolgter Freistellungen
vom Dienst (SPIEGEL50/2018) gibt es
eine Annäherung. Weil Ex-Ufo-Chef
Nicoley Baublies und weitere Funk -
tionäre längere Zeit überwiegend mit
Tarifverhandlungen beschäftigt waren,
anstatt zu fliegen, verlangte das Unter-
nehmen im vergangenen Dezember
von ihnen und der Organisation rund
800 000 Euro Gehalt zurück. Allein
Baublies sollte die Summe von
235 736,14 Euro erstatten. Nun lenkt
die Lufthansa überraschenderweise ein.
Am Mittwoch vergangener Woche
einigten sich beide Seiten vor dem
Frankfurter Arbeitsgericht auf einen
Vergleich, wonach Baublies nur sieben
Prozent der Summe zahlen muss. DID
PAUL LANGROCK / ZENIT
Flixtrain-Zug
SVEN LORENZ / RWI
FRIEDER BLICKLE / LAIF