er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

wegen des Handelskonflikts, sondern
auch wegen eines Sättigungseffekts – die
Volksrepublik ist kein Entwicklungsland
mehr. »China hat nur noch wenige Jahre,
um reich zu werden, bevor es alt wird«,
sagt Holger Achnitz, der den Devisenhan-
del der Citigroup in Deutschland leitet.
Die Risiken von Trumps Hasard-Politik
sind gewaltig, auch innenpolitisch. Schließ-
lich müssen die US-Verbraucher mehr für
Autos, Kühlschränke oder Maschinen
made in China zahlen, wenn die Verkäu-
fer den Zoll einfach auf den Endpreis
draufschlagen. Die Zölle »sind gleichzu-
setzen mit einer großen Steuererhöhung«,
sagt Barry Eichengreen, Volkswirt an der
Eliteuniversität Berkeley.
Ökonomen der Princeton University,
der Columbia University sowie der Fede-
ral Reserve beziffern den monatlichen
Wohlfahrtsverlust auf mehr als vier
Milliar den Dollar. Und das war die Schät-
zung im Frühjahr, seither hat Trump wei-
tere Strafzölle verhängt. Wirtschaftsno-
belpreisträger Paul Krugman rechnet den
möglichen Kaufkraftentzug bei einem
Durchschnittszoll von 20 Prozent auf rund
100 Milliarden Dollar im Jahr hoch.
Auch die Notenbank nennt Trumps
Handelspolitik als Grund für ihre inzwi-
schen negativere Sicht auf die Konjunktur.
Gerade hat sie den Leitzins gesenkt, erst-
mals seit 2008; weitere Schritte könnten
folgen, um die Wirtschaft zu stützen.
Trump reicht das nicht. Er beschimpft
die Fed, ihre Geldpolitik sei schuld an der
sich abzeichnenden Flaute. Sie müsse die
Zinsen weiter senken – wohl auch, um ei-
nen Abschwung vor der Präsidentschafts-
wahl im November 2020 zu vermeiden.
Die Fed ist in Not. Gibt sie Trumps
Druck nach, droht sie ihre Unabhängigkeit
zu verspielen und einen Abwertungswett-
lauf zu starten. Zudem könnte die Regie-
rung die Fed verpflichten, Renminbi, so
die offizielle Bezeichnung der chinesischen
Währung, aufzukaufen, um diese teurer
zu machen und der Volksrepublik zu scha-
den. Die Notenbank stünde als Trumps
willfähriger Helfer da.
In einer Zwickmühle befindet sich auch
der IWF. Er überprüft regelmäßig, ob Län-
der ihre Währungen manipulieren und so
gegen die Regeln des Fonds verstoßen. Für
China hat der IWF dies stets verneint.
Trump zwingt ihn jetzt mit der Behaup-
tung, China betreibe Währungsmanipula-
tion, dazu, Position zu beziehen – ein wo-
möglich perfider Schritt, denn: »Unter-
stützt der IWF die USA, untergräbt er
seine Glaubwürdigkeit«, sagt Felbermayr.
Gehe er auf Konfliktkurs, könnten die
USA wichtige IWF-Gremien blockieren.
»Die Gefahr eines Währungskriegs
existiert«, sagt Felbermayr. Er werde von
Trump jedoch eher mutwillig vom Zaun
gebrochen. Die Abwertung des Renminbi


sei geradezu eine logische Folge der Zölle:
Die Wirtschaft leidet, die Währung fällt.
»Die Abwertung ist ja genau das, was
Trump will: Die Chinesen tragen die Kos-
ten des Handelskriegs, die USA erhalten
weiter Waren aus China, bezahlen dafür
aber weniger Dollar.«
Trumps Handelskrieger verstünden das
nicht und blickten nur auf die Handels -
bilanz. »Das ist deren Fetisch.« Daher
sei es möglich, dass die USA wieder mit
neuen Zöllen reagieren und der Renminbi
weiter nachgibt. Die Chinesen könnten
schlicht Geld drucken, um ihre Währung
und damit ihre Waren billiger zu machen.
Schließlich ist Chinas Notenbank so ab-
hängig von der Staatsführung, wie es
Trump gern für die Fed hätte.
Der Dollar hat auch zum Euro und ja-
panischen Yen aufgewertet, weil sich die
Wirtschaft dort schwächer entwickelt als
in den USA. Nun besteht die Gefahr, dass
sich auch diese beiden Währungsräume
auf einen Abwertungswettlauf einlassen –
das Dreißigerjahreszenario. »Die EZB und
die Bank of Japan werden ihre Geldpolitik
weiter lockern, weil das Wachstum
schwach und die Inflation niedrig ist.«
Europa könnte rasch in den Verdacht der
Währungsmanipulation kommen.

Die Folge einer globalen Geldschwem-
me wären Chaos an den Finanzmärkten
und womöglich Inflation. Das aber kann
niemand wollen. Die USA und China
leiden gleichermaßen, und beide haben
sogar das gleiche Interesse. »Trump will
Wachstum, um wiedergewählt zu werden,
China, um sein Gesellschaftsmodell auf-
rechtzuerhalten«, sagt Michael Spencer,
Chefökonom der Deutschen Bank in
Asien. Dennoch dürfte es konfrontativ
weitergehen, beide haben sich tief in ihren
Positionen eingegraben.
Wer am längeren Hebel sitzt, ist unklar.
Die Chinesen? Theoretisch könnten sie
ihre Währung ins Bodenlose fallen lassen,
um Trump zu ärgern. Praktisch aber
würden sie sich selbst schaden. Viele
Unternehmen haben hohe Dollarschul-
den, zudem zahlt das Land seine Ölim-
porte in Dollar. Beides würde teurer,
wenn der Renminbi fällt und der Dollar
steigt. Setzt sich der Handels- und Wäh-
rungskrieg fort, könne sich Chinas Wirt-
schaftswachstum auf 3 oder 4 Prozent
von derzeit 6,6 Prozent verringern, denn
der Zollstreit treffe das Land immens, sagt
der Ex-Chefökonom des IWF, Kenneth
Rogoff. »Das Risiko einer wackeligen Lan-
dung der chinesischen Wirtschaft ist ziem-
lich groß.«
Nadelstiche können die Chinesen aber
setzen, wie jüngst den Stopp der US-Agrar-
importe oder die Aufforderung ans Volk,
anstatt Apple-Produkte heimische Huawei-
Ware zu kaufen. Zudem hat die Volks -
republik den Markt für seltene Erden mo-
nopolisiert. Diese Metalle sind essenziell
für die Herstellung von Bildschirmen, Ak-
kus, Computern oder Smart phones – und
damit für die US-Tech-Industrie.
Oder ist doch Trump im Vorteil? »Die
USA beherrschen das globale Finanz -
system und können viele Länder in eine
Anti-China-Koalition nötigen«, sagt Fel-
bermayr. Allerdings wird Trump seine
Wiederwahlchancen kaum dadurch gefähr-
den wollen, dass er die US-Wirtschaft in
die Rezession treibt und sich an der Fed
die Zähne ausbeißt.
Um vor den Wählern als Held dazuste-
hen, der die Chinesen zu einem Handels-
abkommen gezwungen hat, wird er irgend-
wann einlenken, meinen viele Ökonomen.
Das müsse kein umfassender Deal sein, da-
für seien die Probleme zwischen beiden
Ländern zu tiefgreifend. Wichtig sei die
Symbolkraft, glaubt etwa Felbermayr, und
dass Trump sagen könne: »Das ist der bes-
te Deal, der zu haben war.«
Bis dahin muss die Welt hoffen, dass
sich der Schaden in Grenzen hält.

Tim Bartz, Martin Hesse,
Christian Reiermann
Mail: [email protected]

60 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019


Kampf der Giganten


* indiziert, Landeswährung, konstante Preise
** gesamt, ohne Goldreserven
Quellen: IWF, Refinitiv Datastream

2018 betrug das BIP pro Kopf in China 9608 $,
in den USA 62 606 $.

Veränderung des Brutto-
inlandsprodukt pro Kopf*

2018
China +183%

USA +13%


2005 = 0

Yuan pro Dollar

6

7

2008 2019

2008 2019

2

China

USA

Internationale Devisenreserven**
in Billionen Dollar

4
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