er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1

unscheinbaren, stillen jungen Mann An-
fang 20, der auf das nahe gelegene Collin
College ging. Sein Honda Civic parkte vor
der Tür der Großeltern, bei denen er über-
wiegend lebte.
»Ich war wie alle schockiert, als ich von
der Schießerei hörte. Ich kenne die Groß-
eltern, nette, freundliche Leute«, sagt Es-
ser. Larry und Cynthia Brown, laut Esser
regelmäßige Kirchgänger, wohnen sieben
Häuser von Esser entfernt. Die beiden nah-
men ihren Enkel Patrick vor etwa zwei
Jahren auf, da hatte er gerade seinen
Highschoolabschluss gemacht. Im Ab-
schlussjahrbuch steht, dass Crusius die
»Welt der Strafverfolgung« interessant
finde. Ehemalige Klassenkameraden be-
schreiben ihn als stillen Einzelgänger, der
von den meisten gemieden und von eini-
gen gehänselt wurde.
Esser hat natürlich das Pamphlet von
Crusius gelesen. Er wollte verstehen, was
in seinem Nachbarn vorging. »Wie kann
man sich, wenn man hier wohnt, ernsthaft
Sorgen machen, dass Mexikaner einem
den Job wegnehmen?«, fragt Esser. Die
Häuser in der Gegend kosteten bis zu eine
Million Dollar. Wer hier wohnt, ist dem
amerikanischen Traum ziemlich nahege-
kommen. Doppelgaragen, vor denen der
Drittwagen parkt, perfekt gepflegte Vor-
gärten. Aber in Crusius’ Vorstellung ist es
offenkundig eine Welt, die kurz vor dem
Zusammenbruch steht: »Amerika verrot-
tet von innen, und es scheint keine fried-
lichen Mittel zu geben, das zu stoppen.«


Der Terror der Weißen gegen Minder-
heiten begleitet die Vereinigten Staaten seit
ihren Anfängen. Das Land gab sich 1787
die erste demokratische Verfassung der
Neuzeit. Das Dokument fand aber nur des-
halb die Zustimmung aller 13 Gründungs-
staaten, weil ihnen auf Druck des Südens
erlaubt wurde, das brutale System der Skla-
venhaltung beizubehalten. Erst im Jahr
1865, mit dem Sieg des Nordens im Bür-
gerkrieg, wurde es abgeschafft. Am vergan-
genen Samstag zogen berittene Polizisten
im texanischen Galveston einen schwarzen
Verdächtigen an einem Strick durch die
Stadt – ganz so, als hätte es die Abschaf-
fung der Sklaverei nie gegeben.  Das Bild
sorgte für wütende Proteste.
Der Terror der Rechten hat in den USA
eine lange Geschichte. Bis zu den Anschlä-
gen auf das World Trade Center im Jahr
2001 hielt Timothy McVeigh den finsteren
Rekord für den blutigsten Terroranschlag
in der US-Geschichte. McVeigh, eifriger
Konsument rechter Verschwörungstheo-
rien, jagte 1995 mit einem Sprengsatz ein
Behördenhaus in Oklahoma City in die
Luft und tötete dabei 168 Menschen. Die
Nichtregierungsorganisation ADL hat aus-
gerechnet, dass in den vergangenen zehn
Jahren drei Viertel aller extremistisch mo-
tivierten Morde in den USA auf das Konto
von Rechtsextremisten gingen.
Wie drängend die Gefahr ist, zeigte sich
spätestens im August 2017, als Rassisten
durch die Straßen des Städtchens Char -
lottes ville in Virginia zogen und dabei skan-

dierten: »Die Juden werden uns nicht ver-
drängen!« Eine Frau starb, als ein Hitler-
Bewunderer mit seinem Auto in eine Grup-
pe Gegendemonstranten raste. Donald
Trump aber kam es gar nicht in den Sinn,
die Schuldigen zu benennen. Er beließ es
bei der Bemerkung, dass es »sehr feine
Leute auf beiden Seiten« gegeben habe.
Feine Nazis? Spätestens seit Charlottes-
ville ist klar, dass Trump die Nähe zum ex-
tremen rechten politischen Rand der USA
sucht; auch widerstrebt ihm nichts so sehr,
wie Leute zu kritisieren, die ihn loben –
und viele weiße Rassisten sehen in Trump
einen Verbündeten.
Der Präsident, das muss man ihm zugu-
tehalten, hat nun zumindest in einer abge-
lesenen Rede den Massenmord in El Paso
als das verurteilt, was er ist: »Unsere Na -
tion muss Rassismus, Fanatismus und die
Ideologie der weißen Vorherrschaft verur-
teilen«, sagte Trump am Montag, als er
endlich, etwa 48 Stunden nach der Tat,
vor die Kameras trat.
Aber kann Trump, dessen politische
Existenz darauf beruht, das Land zu spal-
ten, plötzlich den Versöhner geben? Wenn
er es ernst meinen würde mit seiner Trauer
um die Opfer, dann könnte er die Republi-
kaner im Kongress dazu antreiben, die
Waffengesetze zu verschärfen.
Es spricht wenig dafür, dass der Präsi-
dent auch nur daran denkt, seine Politik
zu ändern. Barack Obama hatte einen der
größten Momente seiner Präsidentschaft,
als er im Sommer 2015 bei seiner Trauer-

76 DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019

Ausland

SCOTT OLSON / AFP
Trauernde bei Mahnwache gegen Waffengewalt in Dayton: »Die Zeit des Innehaltens und der Gebete ist vorbei«
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