er Spiegel - 10. August 2019

(John Hannent) #1
77

Spuren des Terrors
Morde weißer Extremisten in Nordamerika
und Europa seit 2011 und wer von welchem
Attentat beeinflusst wurde

2019
El Paso, USA
Schießerei in einem Walmart
22 Tote
Christchurch, Neuseeland
Anschlag auf zwei Moscheen
51 Tote
Tallahassee, USA
Attentat auf Frauen in einem Yogastudio
2 Tote

2018
Toronto, Kanada
Todesfahrt mit einem Van
10 Tote

2017
Aztec, USA
Highschool-Schießerei
2 Tote

2016
München, Deutschland
Schießerei
9 Tote
Leeds, Großbritannien
Ermordung der Labour-
Politikerin Jo Cox
1 Tote

2012
Oak Creek, USA
Attentat auf Sikh-Tempel
6 Tote

2011
Oslo/Utøya, Norwegen
Attentate u. a. auf Jugendliche
77 Tote

2014
Isla Vista, USA
Massaker
6 Tote
Overland Park, USA
Antisemitisches Attentat
3 Tote

London, Großbritannien
Anschlag vor Moschee
1 Toter
Québec, Kanada
Moscheeattentat
6 Tote

2015
Trollhättan, Schweden
Schulattentat
4 Tote
Umpqua, USA
Collegeschießerei
9 Tote

Charleston, USA
Anschlag in einer Kirche
9 Tote

Quelle:
»New York
Times«

rede für die Toten des Kirchenmassakers
von Charleston in South Carolina das
Lied »Amazing Grace« anstimmte und
danach die Namen aller schwarzen Opfer
verlas.
Als Trump am Mittwoch Dayton und El
Paso besuchte, um die Verletzten der Atta-
cken und Rettungskräfte zu besuchen, nutz-
te er eine Pause zwischen zwei Terminen,
um sich über seinen möglichen demokrati-
schen Herausforderer Joe Biden lustig zu
machen: »Schaue gerade dem schläfrigen
Joe bei seiner Rede zu. Sooo langweilig!
Die Einschaltquoten und Klickzahlen wer-
den mit diesem Typen abstürzen.« Das war
so pietätvoll wie ein Rülpser auf einer Be-
erdigung. Zuvor sagte er: »Ich denke, meine
Rhetorik bringt Menschen zusammen.«
Nichts ist mehr heilig in der Ära Trump,
der Präsident hat schon so oft gelogen und
das Land mit Häme und Spott verseucht,
dass der ernsthafte politische Diskurs er-
stickt ist. Fakten und das leise Abwägen
werden immer seltener. Was zählt, ist der
schrille Spruch, der richtige Spin, Aufmerk-
samkeit.  Auch der mutmaßliche Schütze
von El Paso ist ein Kind der Ära Trump,
so viel lässt sich sagen.
Schon bevor Crusius zur Tat schritt, hat-
te er über die mediale Wirkung nachge-
dacht, die seine Morde haben würden. Er
habe sich seine Meinung schon lange vor
Trump gebildet, schreibt er. »Ich weiß,
dass die Medien mich wahrscheinlich trotz-
dem einen weißen Rassisten nennen und
die Rhetorik des Präsidenten kritisieren
werden. Die Medien sind berüchtigt für
Fake News, und ihre Reaktionen auf mei-
ne Attacke werden das wahrscheinlich nur
bestätigen.«
Nichts geht an der Wahrheit weiter vor-
bei, als Crusius zu einem geistig verwirrten
Einzeltäter zu erklären, wie Trump das
nun tut. Nein, Crusius hat seine Tat genau
geplant. Und auch die Botschaft, die er mit
ihr verbreiten wollte. Aufgrund der hohen
Geburtenrate der Latinos, schreibt er, wür-
den die USA bald zu einem »Ein-Partei-
en-Staat« mutieren.  Er sieht darin eine
Verschwörung.
Als geistigen Vater für Crusius’ Manifest
könnte man den französischen Autor Re-
naud Camus bezeichnen, einen Mann, der
sich einst an homoerotischer Literatur ver-
suchte. Camus hat sich zwar mehrfach von
den Gewalttaten distanziert, die im Na-
men seiner Ideen verübt wurden. Die Rich-
tigkeit seiner Thesen aber zweifelt er nicht
an. Camus’ Buch »Le Grand Remplace-
ment« kommt zu dem absurden Schluss,
dass »europäische Stammvölker« gezielt
durch »außereuropäische Einwanderer«
ersetzt werden sollen. 
Der Attentäter von Christchurch nannte
sein Manifest mit Bezug auf Camus »The
Great Replacement«. Es beginnt mit den
Worten: »Es sind die Geburtenraten! Es


sind die Geburtenraten! Es sind die Gebur-
tenraten.« Crusius schreibt: »Ich hatte die
Hispanics in den USA nicht im Visier, bevor
ich ›Der große Austausch‹ gelesen hatte.«
Der Autor Renaud Camus griff einen Ge-
danken der neuen Rechten auf: Plötzlich
sprachen viele Rechte nicht mehr in erster
Linie von der »Überlegenheit« der weißen
Rasse. Die Rechtfertigung für das eigene
Tun ist für sie eine Art Notwehr gegen die
Übernahme des eigenen Landes durch Ein-
wanderer. Crusius schreibt, dass er sich eine
Teilung Amerikas wünsche, damit jede Ras-
se ihr eigenes Territorium erhalte.
Einige demokratische Präsidentschafts-
kandidaten brauchten nach dem Terrorakt
nur bis zum nächsten Morgen, um Trump
eine Mitschuld an der Tat zu geben. Die
Echtheit des Pamphlets war noch nicht be-
stätigt, da sagte Cory Booker, Senator von
New Jersey: »Donald Trump trägt die Ver-
antwortung.«
Wenn jemand alle zivilisatorischen
Hemmungen fallen lässt und das Feuer
auf Familien eröffnet, die sich am Ende
der Ferien mit Schulbedarf für die Kinder
eindecken, dann gibt es dafür keine einfa-
che, monokausale Erklärung. Allerdings
hat Trump ein Klima der Häme und des
Zorns geschaffen. Trump hat immer wie-
der das Wort »Invasion« für Einwande-
rung benutzt, das nun auch in Crusius’
Manifest steht. Trump hat seine politische
Karriere mit der Verschwörungstheorie
gestartet, Obama sei gar nicht in den USA
geboren.
Ob Trump nun ein überzeugter Rassist
ist oder nicht, ist am Ende fast egal. Aber
er hat sich dafür entschieden, die nieders-
ten Instinkte seiner Basis zu bedienen. Es
war ein Tiefpunkt der jüngeren amerika-
nischen Geschichte, als Trump bei einer
Wahlkampfveranstaltung Mitte Juli in
North Carolina schweigend dastand und
dabei zusah, wie die Menge »Schick sie
zurück!« schrie. Gemeint war die US-Kon-
gressabgeordnete Ilhan Omar, die in So-
malia geboren wurde und als Kind in die
USA gekommen war. Trump hatte sie wie
drei weitere nicht weiße weibliche US-
Kongressabgeordnete aufgefordert, in ihre
Heimatländer zurückzukehren – obwohl
sie Amerikanerinnen sind.
Trump kann deshalb schwerlich der
Mann sein, der jenen weißen Terrorismus
bekämpft, vor dem nun schon die Bundes-
polizei FBI warnt. Er will es wohl gar nicht,
denn es würde die Strategie seines Wahl-
kampfs durchkreuzen, die darauf beruht,
Ressentiments anzustacheln.
Trump weiß auch, dass vor allem weiße
Amerikaner um das Recht auf die eigene
Waffe kämpfen. Wenn in Washington die
Vernunft regieren würde, dann wäre schnell
ein Weg gefunden, die Epidemie der Ge-
walt einzudämmen. Fast jeder, der von
dunklen Gedanken getrieben wird, kann in
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