Kennengelernt habe er seinen Vater ei-
gentlich erst während des Studiums, sagt
er, als er als Assistent in dessen Büro
jobbte. »Es war hart. Er ließ sich von mir
nichts sagen. Etwa dreimal pro Woche hat
er mir gekündigt.« In der Zeit habe er ge-
lernt, in politischen Dingen kompromiss-
los zu sein. »Und ich habe gelernt, mich
abzugrenzen. Ich bin ein anderer Vater als
er. Ich bin da, wechsle Windeln, füttere
meine Kinder.«
Vor Jahren hatte Jarosław Wałęsa einen
schweren Motorradunfall. Es heißt, der Va-
ter habe sich zunächst geweigert, ihn zu
besuchen. Heute sehen sich die beiden sel-
ten. »Mein Vater hängt ständig vor dem
Computer«, sagt der Sohn.
»Lech Wałęsa kann gut mit Massen um-
gehen, aber nicht wirklich mit Einzelper-
sonen«, sagt der polnische Reporter Ceza-
ry Łazarewicz, der Wałęsa oft getroffen
hat. »Ich glaube, er merkt selten, wie sehr
er Menschen verletzt.«
Wałęsa war ein sehr guter Kämpfer. Ein
guter Sieger. Nur verlieren konnte er nie.
Über die Fehler seiner Präsidentschaft will
er gar nicht erst reden.
Anfang der Neunzigerjahre hatte die Re-
gierung neoliberale Reformen beschlossen,
die Arbeiter besonders schmerzhaft trafen.
Staatsunternehmen wurden geschlossen,
viele Menschen wurden arbeitslos.
Auch Wałęsa strauchelte. Was auf der
Werft noch charmant gewirkt hatte, seine
direkte Art, sein Trotz, seine kindliche
Ungeduld, funktionierte bei Staatsban -
ketten nicht mehr. Er saß in Warschau
und hasste die Stadt, zerstritt sich mit
seinen Mitarbeitern. 1995 wurde er ab -
gewählt.
Die Helden der Antike lebten nach ihrer
Heldenfahrt zurückgezogen. Sie vertrau-
ten auf die Wirkung ihrer Taten. Die Höhe,
aus der Wałęsa fiel, war schwindelerre-
gend. Aber er findet bis heute kein Ende.
Immer wieder kündigt er an, sich aus der
Politik zurückzuziehen. Dann mischt er
sich doch wieder ein.
Warum nur? Er sagt: »Ich will nicht,
aber ich muss.«
Den Satz wiederholt er ständig. Wer ge-
zwungen wird, der ist fein raus, wenn Feh-
ler passieren: Das ist die Logik dahinter.
Und die Tragik eines Mannes, der einen
würdevollen Abgang verpasst hat. Heute
belächeln ihn auch Polen, die eigentlich
auf seiner Seite stehen.
»Haben Sie einen guten Freund, Herr
Wałęsa?«
»Ich brauche keine Freunde.«
»Was machen Sie abends, wenn Sie al-
lein sind?«
»Ich sitze am Computer. Oder ich spiele
Schach.«
Er mache einen Zug. Dann wechsle er
die Seite. Wałęsa kämpft gegen sich selbst.
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Präsident Wałęsa mit Queen Elizabeth 1991: Kampf um Anerkennung
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Brüder Lech, Jarosław Kaczyński 1989: Rachlustige Härte
Familienvater Wałęsa, Sohn 1980: In Ungnade gefallen