Wettervorhersagen
»Sie hatten
keine Chance«
Der Hamburger Meteo-
rologe Rüdiger Hartig,
63, über den Orkan
südlich von Irland, der
vor 40 Jahren die Teil-
nehmer der berühmten
Fastnet-Regatta über-
raschte. In der größten
Katastrophe des Segel-
sports starben am
- und 14. August 1979 15 Segler und 6 Zu -
schauer auf Begleitschiffen. Rund 4000
Menschen waren an der Seenotrettung
beteiligt. Nur 85 von 303 Jachten erreich-
ten das Ziel.
SPIEGEL:Herr Hartig, warum haben Ihre
britischen Kollegen damals die Regatta -
leitung nicht rechtzeitig vor dem aufzie-
henden Horrorsturm gewarnt?
Hartig:Sie hatten keine Chance dazu. Um
den 11. August gab es erste Anzeichen
für ein ziemlich unbedeutendes Tief, das
sich vor Neufundland bildete. Am glei-
chen Tag startete die Regatta bei ruhigem
Wetter vor der südenglischen Küste.
Niemand hätte beim Start damit rechnen
können, dass die Schiffe binnen Tagen
in einen für die Jahreszeit sehr ungewöhn-
lichen Orkan mit 15 Meter hohen Wellen
geraten würden. Die Wettermodelle beka-
men damals gerade einmal die Zwölf -
stundenvorhersage so einigermaßen ver-
lässlich hin.
SPIEGEL:Das hätte doch auch gereicht,
die Segler auf die Gefahr hinzuweisen?
Hartig:Die Meteorologen hatten leider
auch noch Pech. Ihre Computer waren
ausgefallen, also mussten sie wie ehedem
mit Papier und Bleistift arbeiten, was
besonders schwer ist. Aber wie auch
immer: Die Regatta war ja schon unter-
wegs und nicht mehr zu erreichen. Satelli-
tentelefone gab es nicht, nur wenige
Segler hatten Kurzwellenradio an Bord.
SPIEGEL:Wäre die Katastrophe mit den
heutigen Mitteln zu verhindern gewesen?
Hartig:Auf jeden Fall. Wir können das
Wetter jetzt für fünf Tage sehr gut und für
weitere fünf Tage ziemlich gut vorhersa-
gen. Wir haben aber
auch ungleich schnellere
Rechner, viel bessere
Modelle und eine Fülle
an Daten, zum Beispiel
aus flächendeckenden
Satellitenmessungen.
Aus Interesse haben mei-
ne Kollegen Tobias
Schaaf und Reinhard
Strüfing zum anstehen-
den Jahrestag jetzt die
damalige Wettersituation
nachgerechnet – mit den
sehr spärlichen meteoro-
logischen Daten von
damals und den Metho-
den von heute.
SPIEGEL:Was kam dabei
heraus?
Hartig:Das Ergebnis
war ein Volltreffer. In der
72-Stunden-Vorhersage
wird das Sturmtief mit
Windstärke 10 sehr gut
vorhergesagt. Auf
Grundlage dieser Infor-
mation würde eine
Regattaleitung heute ver-
hindern, dass die Segler
in solch ein Sturmfeld
geraten. ME
DER SPIEGEL Nr. 33 / 10. 8. 2019 93
Der Juli 2019 war der heißeste Monat mindestens seit Beginn der
globalen Wetteraufzeichnung vor rund 140 Jahren. Und schon der
Juni 2019 war der wärmste Juni der bekannten Geschichte. Die
fünf Jahre seit 2014 sind im weltweiten Temperaturmittel die hei-
ßesten, die je gemessen worden sind. Das Klima tut genau das,
wovor Forscher seit über vier Jahrzehnten lautstark warnen: So -
lange die weltweiten Kohlendioxidemissionen nicht massiv sinken,
wird die Erderwärmung weitergehen.
Ohne Frage ist all dies sehr beunruhigend, aber ein Gutes hat es:
2019 mobilisiert. Dies könnte das Jahr werden, in dem die plötz-
lich erschrockene Menschheit ihren Ups-Moment erlebt und tat-
sächlich eine Wende einleitet. Millionen Jugendliche sorgen dank
der 16-jährigen Greta Thunberg derzeit dafür, dass Millionen
Familien das Thema Klimakrise diskutieren und Maßnahmen für
mehr Nachhaltigkeit ergreifen. Das hat Folgen. Selbst ein Politiker
wie Markus Söder (CSU) will den Klimaschutz plötzlich im
Grundgesetz festschreiben und den Kohleausstieg schon bis 2030
schaffen. Ende September ruft Uno-Generalsekretär António
Guterres die Mächtigen der Welt (und Greta Thunberg) zu einem
Sonderklimagipfel zusammen. Erwartet wird, dass sich dort jeder
Mitgliedstaat zu weitaus ehrgeizigeren Klimazielen als bisher ver-
pflichtet. Die »Fridays for Future«-Bewegung wird den Gipfel mit
weltweiten Großdemonstrationen am 20. und 27. September
begleiten. Die Graswurzelbewegung »Earth Strike« will am 27.
sogar zum »globalen Generalstreik« aufrufen.
Bislang haben Politiker die Mahnungen der Klimaforscher höf-
lich angehört, um sie sodann zu ignorieren. Folglich reißen Länder
wie Deutschland ihre selbst gesteckten Klimaschutzziele, und die
weltweiten Kohlendioxidemissionen steigen sogar immer noch.
Jetzt spüren Politiker (und die Bürger auch), dass sie nicht weiter-
machen können wie bisher. Eine wichtige Voraussetzung für eine
Wende ist damit endlich erreicht. Marco Evers
Kommentar
Der Ups-Moment
Das Jahr 2019 könnte die Wende bringen im Kampf gegen die globale Erwärmung.
GEOFFREY WHITE / DAILY MAIL / REX
Überlebender auf beschädigter Jacht »Camargue« 1979