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rash-TV kann super sein. Weil man
dort Menschen sieht, die mit heili-
gem Ernst Sätze wie »Ich schwöre
auf meine Ziege und meinen Hund« sagen.
Und Trash-TV kann schrecklich sein.
Wenn man dort Menschen sieht, die mehr
Empathie mit einem in der Sonne schwit-
zenden Kochschinken als mit den Men-
schen um sie herum haben.
Und weil es einem ungebeten
schlimmste menschliche Ent-
gleisungen so belastend kon-
zentriert, dick eingekocht und
#MeToo-relevant serviert, wie
es gerade in diversen Reality-
Formaten passiert.
Das Trash-TV-Jahr, das tra-
ditionell mit dem Dschungel-
camp im Januar startet, hat ge-
rade seinen Höhepunkt er-
reicht: Neue Staffeln von »Die
Bachelorette«, »Das Sommer-
haus der Stars«, »Promi Big
Brother« und »Paradise Hotel«
sind kürzlich angelaufen, bald
startet auch »Bachelor in Pa-
radise«, der ressourcenbewuss-
te Grabbeltisch mit Personal
aus vergangenen Formaten.
Lange waren solche Forma-
te ein Reservat für Normab-
weichler und schutzbedürftige
Schrägvögel. Eine Parallelwelt,
in der es auch strauchelnde
Charaktere wie der ewig abge-
lehnte »Deutschland sucht den
Superstar«-Kandidat Mende-
res immerhin zu katzengoldenen Trost -
titeln wie den Dschungelkönig-Würden
bringen konnten.
Heute allerdings zeigt sich dieses Genre
reaktionärer denn je. Als hätte es sich vor-
genommen, alle möglichen Varianten da-
von durchzuspielen, wie Männer ganz
selbstverständlich über Frauen verfügen.
Zum Beispiel in »Paradise Hotel«, ei-
nem neuen Format der RTL-betriebenen
Streamingseite TV Now (das eigentlich ein
uraltes ist, eine Ramschversion von »Love
Island« nämlich): Singles, die permanent
Willigkeitserklärungen abgeben, werden
darin in eine Sammelunterkunft an fernen
Gestaden verschifft und müssen sich im-
mer wieder neu verpaaren (idealerweise
auch im körperlichen Sinn), um nicht aus
der Sendung zu fliegen.
Ständig wird neues Menschenmaterial
nachgeschossen. Die männlichen Kandi -
da ten sind testosterondampfende Schnell-
kochtöpfe, so etwa stellt man sich die Ab-
schlussklasse der sonderbaren Alpha-
Akademie vor, die der Rapper Kollegah
betreibt: Sie bezeichnen sich, ohne lachen
zu müssen, als »Wölfe« oder »Adler« und
verkünden, sie müssten »jagen« und »bei-
ßen«, Frauen natürlich, beziehungsweise:
»Beute«.
»Hey, wo ist Linda, die Fotze?«, fragt
Mario, der »crazy Surferboy mit Gute-Lau-
ne-Potenzial« (RTL), und die anderen la-
chen, denn Linda hat sich das schließlich
selbst zuzuschreiben: Sie hatte den ande-
ren Frauen geraten, mit Rücksicht auf eine
spätere bürgerliche Berufswahl eventuell
nicht unbedingt vor der Kamera Sex zu
haben, und so die Männer gegen sich auf-
gebracht. Denn natürlich soll bei »Paradise
Hotel« auch Sex gezeigt werden, zumin-
dest schummrige Aufnahmen einer Bett-
decke, die rhythmische Beulen schlägt.
Das kann man geschmacklos finden, aber
es wäre nicht weiter verwerflich, wenn es
einvernehmlich geschähe.
Eine Grenze, die bei »Paradise Hotel«
schon in der Anfangsfolge überschritten
wird: Aaron und Jacqueline steigen ins
ihnen zugewiesene gemeinsame Bett,
schnell wird klar: Sie hat zwar den ganzen
Abend mit ihm geflirtet, will aber keinen
Sex. Sie sagt »Nein«, er fragt »Wieso?«
und rückt noch näher ran, sie sagt noch
mal »Nein«, dann noch mal und noch
mal, und er sagt: »Ich schwör, ich geb
gleich auf, aber dann hast du keine
Chance mehr« (und gibt natürlich nicht
auf). Dieses ständige Bedrängen, Betat-
schen und -quatschen nennt Aaron in
ekligstem Pick-up-Artist-Sprech: »Ich
habe versucht, sie zu knacken.« Und wer-
tet Jacqueline am nächsten Tag vor den
anderen als »nicht fuckable«, nicht fickbar
also, ab.
Sexuelle Übergriffigkeit als Fernseh -
unterhaltung. Und komplett ohne einord-
nenden, in solchen Formaten üblichen re-
lativierend-ironisierenden Kommentar aus
dem Off, der zumindest eine wacklige mo-
ralische Leitplanke bieten könnte. Also
bleiben Sätze stehen wie: »Ein Mann sollte
das Alphatier sein, eine Frau sollte auf je-
den Fall gehorchen.« Das sagen die Män-
ner im Haus, und ein Teil der Frauen
stimmt ihnen direkt zu. Der Sprecher aus
dem Off schaltet sich erst ein, als zwei
Männer im Suff in den Whirlpool pinkeln,
boys-will-be-boys-verschwörerisch näm-
lich: »Aber Jungs, wir sind hier doch nicht
im Landschulheim!«
Ohne produktionsseitiges Regulativ,
ohne Eingreifen der Menschen, die diese
Parallelwelten bauen und steuern, werden
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Kultur
RTL
Teilnehmer der Realityshow »Paradise Hotel«: Testosterondampfende Schnellkochtöpfe
Arschmagneten
FernsehenDas Trash-TV-Jahr erreicht seinen Höhepunkt. Lange
ein Reservat für schutzbedürftige Außenseiter, zeigt
sich das Genre heute reaktionärer denn je. Von Anja Rützel