Der Spiegel - 17. August 2019

(Ron) #1
diese handfesten wie verbalen Übergriffe
stillschweigend als akzeptabel dargestellt:
Es wird ja im Fernsehen gezeigt, also wird
es schon okay sein. Eine der großen Stär-
ken von »Ich bin ein Star – Holt mich hier
raus«, die dieses Filetstück von den ande-
ren Produktionen in der Gammelfleisch-
auslage des Trash-TV unterscheidet, ist
nicht umsonst ihre Moderation: Wie ein
griechischer Chor im klassischen Drama
resümiert sie und ordnet ein. Nicht nur
das Verhalten der Männer im »Paradise
Hotel« bedürfte dringend einer solchen
Korrektur: Wenn Jacqueline später Linda
als »billige Hure« bezeichnet, obwohl ihr
neuer Schwarm Elyas ja Linda küsste und
nicht umgekehrt, bedient sie die hochge-
fährliche Idee, Männer könnten sich nun
mal nicht gegen ihre Triebe wehren, die

seien eben so, schuld seien die Frauen, sie
reizten.
Denn so passiere es eben mal, dass ei-
nem Mann die Hand Richtung Frauenhin-
tern ausrutsche, weil das Gesäß allzu keck
hervorgereckt würde. So geschehen im
»Sommerhaus der Stars«, wo Kandidat
Quentin – dessen Prominenzberechtigung
hier zu umständlich zu erklären wäre – sich
in der Schmierenrolle des Dirty Old Man
suhlt. »Hat er dich auch angetatscht?« –
»Ja, dich auch?« – »Mich auch«, tauschen
die Bewohnerinnen in der Küche ihre
Grabscherfahrungen mit ihm aus, der
sich schlicht damit entschuldigt, seine Hän-
de seien ein »Arschmagnet«: »Ich mache
das, weil ich das mag. Jede Frau hat so
einen schönen Körper, ich möchte es an-
fassen.«


Eigentlich ist das »Sommerhaus« eines
der besseren Trash-Formate, in denen es
nicht um billige Balz geht. Stattdessen zie-
hen acht leidlich bekannte Menschen zu-
sammen mit ihren jeweiligen Liebespart-
nern in eine räudige Ferienbutze. Das
schafft interessante Dynamik, weil auch
professionelle Schundprotagonisten vor
ihren Liebsten oft die Maske verlieren. Und
erlaubt einem das Zuschauen ohne schlech-
tes Gewissen, weil all diese Menschen ent-
weder selbst an einschlägigen Trash-Forma-
ten teilgenommen haben und darum ihre
Mechanismen und Nachwirkungen ken-
nen – oder zumindest, als Lebensgefährte
oder Lebensgefährtin, aus zweiter Hand.
In diesem Jahr brach das »Sommer-
haus« diese Regel, als Schlagersänger Mi-
chael Wendler, 47 Jahre, mit seiner Freun-

din Laura Müller, 18 Jahre, einzog. Ob sie
bei ihrem ersten TV-Format tatsächlich
komplett überriss, was sie da tat und was
daraus gemacht werden kann, darf man
anzweifeln. So spielte Wendler ungehin-
dert auf ihre Kosten den nimmermüden
Potenzborz, tätschelte ihren halb nackten
Hintern, heuchelte mit gespielter Dezenz –
»die Kamera guckt dich schon an, das geht
nicht, ich kann deinen Popo nicht so zei-
gen« –, schob ihre Unterhose dann noch
ein bisschen höher, um rhythmisch auf die
freigelegte Backenauslage zu patschen.
»Willst du auch mal?«, bot er seine Freun-
din dann einem vorbeikommenden Mitin-
sassen an und würgte leise Kritik an ihrer
altersbedingten Unbedarftheit mit einer
neuen Schippe Ekligkeit ab: »Die sind
doch heute mit 15 schon fertig.«

Inzwischen ist das Wendler-Paar ausge-
zogen, die Entgleisungen haben sich von
männlichen Übergriffen wieder in den gen-
derneutralen Zeterbereich eingependelt und
zeigen: Trash-TV muss nicht per se sexis-
tisch sein. Auch wenn es natürlich Formate
wie »Der Bachelor« gibt, die ganz unver-
blümt auf einer patriarchalen Verfügungs-
fantasie erbaut sind: 20 willige Frauen, aus
denen der Mann nur auszuwählen braucht.
Ausgleichenderweise gibt es zwar auch
»Die Bachelorette« mit umgedrehten Vor-
zeichen, doch in diesem Format zeigt sich
zumindest noch der geschlechtsbezogene
Pay Gap: »Der Bachelor« wird in Mexiko
oder Florida gedreht, »Die Bachelorette«
kommt aus Europa kaum heraus, eine in-
teressante Entsprechung zu auch außer-
TV-lichen Gehaltsverhältnissen.
Wie Trash-TV überhaupt als
Zerrspiegel der Verhältnisse
gesehen werden kann, der sie
eben manchmal auch zur frat-
zigen Kenntlichkeit verzerrt.
Wenn Ex-Boybandmitglied
Benjamin Boyce in Strumpfho-
sen und Badeanzug durch das
Sommerhaus paradiert, weil es
natürlich nichts Lachhafteres
gibt, als wie eine Frau auszu-
sehen. Oder TV-Detektiv Jür-
gen Trovato bei »Promi Big
Brother« das Wort »schwul«
allen Ernstes als abwertendes
Adjektiv für alles Minderwer-
tige und Schlechte benutzt
und, darauf von einem ande-
ren Kandidaten angesprochen,
seinen Fehler partout nicht ein-
sehen will.
Das sei aber eben einfach
authentisch, Menschen seien
nun mal so? Vielleicht. Viele
Sexismen sind allerdings von
den Machern dieser Sendun-
gen produziert. Wenn sie zum
Beispiel bei »Promi Big Bro -
ther« bei einem Spiel »mit Ge-
schlechterklischees aufräumen« wollen –
und dann nur die Kandidatinnen zur Be-
lustigung einen gar nicht mal so kleinen
Wohnwagenanhänger einparken lassen,
was natürlich unter viel Geschrei misslingt.
Die Männer bekommen derweil keine
Gelegenheit, ihrerseits zu scheitern, was
bleibt, ist die Bestätigung: Frauen können
eben nicht einparken.
Ob der Zuschauer da inzwischen weiter
ist, zeigt sich spätestens im Januar, wenn
das Dschungelcamp wieder losgeht. Es
bleibt spannend, ob es die Telefonvoter
nach Sarah, Georgina, Larissa und Gisele
in den vergangenen Staffeln dieses Mal
schaffen, nicht immer nur junge Frauen als
Dauerdemütigungsopfer in die Dschungel-
prüfungen zu wählen.

DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019 117

RTL
»Sommerhaus der Stars«-Kandidatenpaar Wendler, Müller: Rhythmisches Patschen
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