Motschmann:Ja, dass die Frau sich in
einer Ehe vor allem um Kinder und Haus-
halt kümmert, war für mich absolut positiv.
Ich habe meinen Mann gern in seiner Ar-
beit unterstützt und hatte nie das Gefühl,
dass ich benachteiligt oder zurückgesetzt
bin. Ich habe 1986 sogar ein Buch heraus-
gegeben mit dem Titel: »Nur Hausfrau?
Zeit haben für die Zukunft unserer Kin-
der«. Früher war ich überzeugt, dass es
unmöglich ist, sich verantwortungsvoll um
die Entwicklung eines Kindes zu kümmern
und gleichzeitig Karriere zu machen. Heu-
te sage ich: Es geht beides. Viele Frauen
meiner Generation sind, als sie Mutter
wurden, in Teilzeit gegangen oder haben
ihren Job ganz aufgegeben. Das sind jetzt
diejenigen, die mit den geringen Renten
klarkommen müssen. Insbesondere, wenn
sie geschieden sind.
SPIEGEL:Gab es ein Erlebnis, das Ihr Um-
denken eingeleitet hat?
Motschmann:Das war ein Prozess. Es
fuchst mich, dass es für Männer immer
noch viel leichter ist, in hohe Ämter und
Positionen zu gelangen. Ich habe das im
Berufsleben auf Schritt und Tritt erlebt,
das hat meine Sicht verändert. Frauen ha-
ben heute teilweise die besseren Abitur-
zeugnisse und Examina, sie haben die glei-
chen Praktikumserfahrungen, und deshalb
ärgert es mich, wenn die Bildungsrendite
von Männern deutlich besser ist als bei
Frauen.
SPIEGEL:Wie konnte es passieren, dass
der Anteil der Frauen in der Unionsbun-
destagsfraktion zuletzt sogar gesunken ist?
Motschmann:Das liegt daran, dass die
Landeslisten selten greifen und die meisten
Abgeordneten als Direktkandidaten ins
Parlament einziehen. Sich in den Wahl-
kreisen zu behaupten ist aber für Frauen
noch deutlich schwerer als für Männer.
SPIEGEL:Warum ist das so?
Motschmann:Es liegt vielleicht daran,
dass Frauen nicht so ermutigt werden wie
Männer, dass sie nicht so oft angesprochen
Motschmann, 66, ist stellvertretende Lan-
desvorsitzende der CDU Bremen und Mit-
glied im Bundesvorstand ihrer Partei. Nach
zahlreichen politischen Ämtern in Bremen
sitzt sie seit 2013 im Deutschen Bundestag
und ist Sprecherin für Kultur und Medien
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die
Mutter dreier Kinder und Frau eines
Pfarrers ist Mitglied der evangelischen
Kirche und sehr religiös. Sie verfasste Auf-
sätze, in denen sie größere Wertschätzung
für Mütter und Hausfrauen forderte, und
zoffte sich mit Feministinnen wie Alice
Schwarzer.
SPIEGEL:Frau Motschmann, Sie waren
einst glühende Verfechterin der klassi-
schen Hausfrauenehe. Heute bezeichnen
Sie sich selbst als Feministin. Was ist ge-
schehen?
Motschmann:Hätten Sie mich vor 20
oder 30 Jahren gefragt, ob ich Feministin
bin, hätte ich es weit von mir gewiesen.
Aber dann kam die Realität dazwischen.
Ich halte es für ein Unding, dass Frauen in
Leitungsfunktionen absolut unterrepräsen-
tiert sind. Die Zahl der Frauen im Deut-
schen Bundestag ist sogar wieder ge-
schrumpft, gerade auch in meiner Unions-
fraktion. Wir waren schon mal bei einem
Frauenanteil von 25 Prozent, jetzt sind wir
auf 20 Prozent abgesackt. In den Ministe-
rien sind deutlich mehr Männer als Frauen
in Spitzenpositionen. Das Gleiche gilt für
Rundfunkanstalten, Gewerkschaften, Ban-
ken, Versicherungen, Dax-Unternehmen.
Das ist doch deprimierend.
SPIEGEL:Mit welchem Rollenverständnis
sind Sie groß geworden?
Motschmann:Ich wurde sehr konservativ,
sehr traditionell erzogen. Meine Mutter
war immer zu Hause, so war der Zeitgeist.
In jedem CDU-Wahlprogramm stand da-
mals: Während der ersten drei Lebens jahre
eines Kindes sollte die Mutter bei den Kin-
dern bleiben, beruflich zurückstecken oder
am besten ganz aufhören zu arbeiten. Das
habe ich aus voller Überzeugung auch so
gemacht. Ich habe drei fröhliche Kinder,
deshalb bereue ich das nicht. Aber es hat
den Nachteil, dass man entweder später in
den Beruf startet – oder durch eine lange
Pause zurückgeworfen wird.
SPIEGEL:Sie waren eine Verfechterin der
klassischen Rollenverteilung.
werden. Sie trauen sich leider auch sel -
tener, in eine Kampfkandidatur zu gehen.
Frauen sind da tendenziell gehemmter,
nicht offensiv genug. Sie wollen lieber ge-
fragt werden.
SPIEGEL:Sie meinen, dass viele Frauen
auch deshalb nicht an die Macht kommen,
weil sie das, was gefragt ist, um an die
Macht zu kommen, nicht mögen?
Motschmann:Ja, das ist wohl so. Leider.
Der Weg zur Macht setzt Bereitschaft zur
Konfrontation voraus. Viele Frauen arbei-
ten nicht so konfrontativ wie Männer, sie
müssen ermutigt werden, sich einer Wahl
zu stellen.
SPIEGEL: Die Frauen sind also selbst
schuld, weil sie oft zurückhaltender auf-
treten als Männer?
Motschmann:Zum Teil ja. Frauen steht
bisweilen ihre Selbstreflexion im Weg.
Wir fragen uns oft: Kann ich das, bin ich
richtig ausgebildet, passt das? Wir haben
sehr viele Selbstzweifel, oft einen Mangel
an Selbstbewusstsein. Ich hab’s neulich
bei mir selbst wieder erlebt. Unser Vor -
sitzender Norbert Röttgen kündigte an,
dass Außenminister Heiko Maas in un -
seren Auswärtigen Ausschuss kommen
werde. Der CDU stünden vier Wortbei -
träge zu, wer wolle reden? Ich fing an zu
überlegen: Worüber wird Maas wohl spre-
chen? Bin ich dafür Berichterstatterin?
Habe ich da überhaupt Kompetenzen? Ist
es vernünftig, mich da einzubringen? Und
während ich so überlegte, hatten sich na-
türlich schon vier Männer gemeldet. Da-
mit waren die Reden vergeben. Deshalb
möchte ich Frauen Mut machen: Fordert,
geht nach vorn, damit ihr gehört werdet.
Es wäre übrigens auch hilfreich, wenn
Frauen von den Medien größere Aufmerk-
samkeit bekämen. Nur ein Beispiel: Da
kommen viele neue Abgeordnete ins Par-
lament, aber wer wird ständig interviewt?
SPIEGEL:Philipp Amthor.
Motschmann:Genau. Das ist ein kluger
junger Mann, keine Frage. Aber eine Frau,
wie zum Beispiel Silvia Breher aus Nie-
dersachsen, die sich gegen drei Männer in
einer Urwahl durchgesetzt hat, wird viel
zu selten interviewt. Das ist schade. Sie
als Journalisten können auch Karrieren
befördern.
SPIEGEL:Haben Frauen ein anderes Ver-
hältnis zur Macht?
24 DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019
Deutschland
»Frauen müssen ermutigt werden«
SPIEGEL-GesprächDie CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann hat lange
die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau verteidigt. Heute bezeichnet sie
sich als Feministin und blickt skeptisch auf die Frauenpolitik Angela Merkels.
»Manche Männer leiten
ihre Bedeutung ab
von der Klasse der Autos,
die sie fahren.«