Der Spiegel - 17. August 2019

(Ron) #1

die Börse bringen. Und wir sind in allen
anderen Bereichen bereit, Partnerschaf-
ten einzugehen oder Teile zu verkaufen.
SPIEGEL: Wenn Sie damit fertig sind, ist
Thyssenkrupp pleite.
Kerkhoff:Nein, wir sehen uns jeden Be-
reich an. Jetzt einfach alles zu verkaufen,
das macht auch wirtschaftlich keinen Sinn.
Dafür bin ich nicht zu haben. Wir haben
unsere Strategie geändert und werden
nicht mehr an den etablierten Konzern-
strukturen festhalten. Dieses klare Signal
haben wir an Investoren und Arbeitneh-
mer gesendet. Deutlicher kann man nicht
werden.
SPIEGEL: Faktisch stehen Sie heute wie-
der genau da, wo Sie zu Beginn Ihrer
Amtszeit vor gut einem Jahr waren. Sie
wollten den Konzern eigentlich aufspal-
ten: in eine Zukunftssparte mit Aufzügen
und Autoteilen und eine Resterampe mit
Stahl und Werften. Den Plan mussten Sie
abblasen. Und jetzt erklären Sie den un-
geliebten Stahl wieder zum Kerngeschäft.
Kerkhoff:Ich verwahre mich gegen den
Begriff »Resterampe«. Wir wollten zwei
gleichberechtigte Unternehmen schaffen.
Auch darin hätte der Stahl eine wichtige
Rolle gespielt, weil er immer schon sein
Geld verdient hat und weil er als wichtiger
Werkstoff für die Zukunft nicht wegzu-
denken ist. Diesen Weg werden wir we-
gen des Verbots der Wettbewerbsbehörde
nun allein gehen. Wir haben eine der
modernsten Stahlproduktionen in Europa
mit hervorragenden Mitarbeitern. Des-
halb werden wir das auch schaffen.
SPIEGEL: Das hörte sich vor wenigen Mo-
naten noch ganz anders an. Da lamen -
tierte das Management über eine Stahl-
schwemme auf den Weltmärkten, sinken-
de Preise, Handelshemmnisse und freute
sich über die Möglichkeit, das zyklische
Geschäft nach einer Fusion mit Tata nicht
mehr in der Bilanz konsolidieren zu müs-
sen. Das stimmt jetzt alles nicht mehr?
Kerkhoff: Das ist alles nicht falsch, und
natürlich bleiben die Herausforderungen
erhalten. Aber als Deutschlands größtes
Stahlunternehmen können wir die Frage,
wie man in zehn Jahren Stahl erfolgreich
in Europa produziert, am besten beant-
worten. Da sind wir heute schon mit un-
serem Duisburger Werk weiter als die
meisten Wettbewerber, vor allem was die
CO 2 -arme Produktion angeht. Da tun sich
in den nächsten Jahren Chancen auf. Da-
für müssen wir jetzt nur die richtigen Ent-
scheidungen treffen.
SPIEGEL: Vorausgesetzt, Ihr Aufsichtsrat
lässt Sie. Im Moment müssen Sie alle paar
Wochen in der Zeitung lesen, dass die
Kontrolleure Zweifel an Ihren Fähigkeiten
haben. Wie stecken Sie das weg?


Das Gespräch führten die Redakteure Markus Brauck
und Frank Dohmen in Essen.


Kerkhoff:Das ist keine einfache Situation.
Aber es ist meine Aufgabe, Wege für das
Unternehmen aufzuzeigen – und genau
das mache ich. Natürlich kann man in
schwierigen Situationen einfach weglau-
fen. Aber das ist zu einfach. Ich will mich
der Verantwortung stellen.
SPIEGEL: Das hört sich abgeklärt an.
Kerkhoff: Ist es aber nicht. Als mein Vor-
gänger Heinrich Hiesinger im vergange-
nen Jahr ging, habe ich mich natürlich ge-
fragt, ob ich diesen Job machen soll. Ich
bin zum Aufsichtsrat gegangen und habe
gesagt, das ist mein Plan. Meine Bedin-
gung war, dass ich ein einstimmiges Vo-
tum erhalte. Das habe ich bekommen.
SPIEGEL: Warum war Ihnen das wichtig?
Kerkhoff: Ich mag dieses Unternehmen
und die Menschen, die hier arbeiten und

trotz all der Unsicherheiten Tag für Tag
einen großartigen Job machen. Deshalb
habe ich mich der Verantwortung gestellt
und einen Weg nach vorn vorgeschlagen.
SPIEGEL: Der prompt in die Sackgasse
führte.
Kerkhoff: Es kann auch ein Zeichen der
Stärke sein, nicht stur an seiner Meinung
festzuhalten. Die Welt hatte sich verän-
dert. Das Joint Venture hat nicht geklappt,
und die wirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen hatten sich deutlich verschlechtert.
Außerdem war die Teilung des Unterneh-
mens von Anfang knapp gerechnet, da
unsere Bilanz nicht mehr erlaubt. Ich fand
es richtig, möglichst früh die Reißleine zu
ziehen, anstatt noch mehr Geld zu ver-
brennen, mit großem Knall gegen die

Wand zu fahren und mich dann vom
Acker zu machen.
SPIEGEL: Haben Sie mit dem Gedanken
gespielt?
Kerkhoff: Nein, ich habe mich der Situa-
tion gestellt und auch dafür die volle Un-
terstützung des Aufsichtsrates bekommen.
Das ist übrigens prägend für unsere Situa-
tion. Alle finden die Lage schlimm, aber
niemand hat ein Patentrezept. Deshalb
ist die Diskussion über eine Zerschlagung
auch so wenig zielführend.
SPIEGEL: Die permanenten Querschüsse
aus dem Aufsichtsrat stecken Sie weg?
Kerkhoff: Wissen Sie, mich totzuschrei-
ben ist nicht besonders schwer, das kann
ich sogar selber: »Der Kerl ist schon acht
Jahre da, hat den Umschwung nicht ge-
schafft und alle alten Entscheidungen mit-
getragen, dazu ist er ein trockener Finan-
zer, und jetzt muss er schon wieder die
Strategie ändern.«
SPIEGEL: Ist die Beschreibung falsch?
Kerkhoff: Ich versuche, Perspektiven auf-
zuzeigen, und wenn man mich nicht mehr
will, dann soll man mir das sagen. Wissen
Sie: Der Job macht mir Spaß, ich bin mo-
tiviert. Aber ich brauche keinen CEO-Pos-
ten in meinem Leben. Ich habe mir meine
Unabhängigkeit erhalten, und die ist mir
wichtig. Es gibt einen Guido Kerkhoff
auch außerhalb von Thyssenkrupp.
SPIEGEL: Das war jetzt ziemlich emotio-
nal für den rationalen Finanzer.
Kerkhoff: Dieses Bild ist viel von mir ge-
zeigt worden, aber es trifft nicht zu. Ich
lache gern, bin emotional und kann mit
Kritik umgehen. Wir reden hier anders
als früher. Offener, direkter, die Sachen
werden sachlich diskutiert. Ich schätze es
sehr, wenn Leute zu mir auch mal sagen:
Was Sie da sagen, das ist falsch. Und wenn
ich dann grimmig gucke, heißt das ja nicht,
dass ich nicht darüber nachdenke.
SPIEGEL: Wie war das früher?
Kerkhoff: In der Vergangenheit musste
man bei allen Debatten immer die Unter-
titel mitlesen: Was hat der eigentlich ge-
meint? Ich bin so nicht. Ich kann mit
Hierarchien nichts anfangen, ich habe
auch noch nie im Leben jemanden mit Ti-
tel angeredet, schon als Student habe ich
nie »Herr Professor« gesagt.
SPIEGEL: Der Thyssenkrupp-Campus, auf
dem Sie heute residieren, ist immer noch
pompös. Er erinnert an glorreiche Zeiten,
ist viel zu groß, viel zu teuer, meint auch
Ihr Anteilseigner Cevian.
Kerkhoff:Einige Bilder, die dieser Cam-
pus hervorruft, passen nicht zum Unter-
nehmen. Das ist klar. Der Campus steht
aber auch für Transparenz und Offenheit.
Das passt gut zu uns. Aber es ist schon
richtig, insgesamt sind wir nicht effizient
aufgestellt. Wir haben viel zu viele Hie-
rarchieebenen. Bis bei uns der Kunde
kommt, ist er längst aus dem Geschäft.

DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019 63


2000 2010 2018

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25

Anlagenbau
und -service

Thyssenkrupp
Konzernbereiche nach Umsatz
in Mrd. €

Stahlerzeugung
Europa

Werk- und Roh-
stoffhandel

Marine-
technik

Aufzugs-
technologie

6,8

5,1

5,8

10,6

2,8

1,3

Aktienkursin €

Quelle: Refinitiv Datastream

9,5


Fusion
Thyssen und
Krupp

Industrie-
komponenten

* konsolidiert,
erstes bis drittes
Quartal, Geschäfts-
jahr 2018 / 2019

Konzernumsatz*
31,2 Mrd. €
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