Der Spiegel - 17. August 2019

(Ron) #1

SPIEGEL: Dann ziehen Sie doch hier aus.
Kerkhoff: Das löst unsere Probleme auch
nicht. Einige Aktionäre zeichnen gern das
Bild eines Konzerns, bei dem alles von
oben verwaltet wird. Tatsächlich schei-
tern wir oft daran, dass wir zu dezentral
aufgestellt sind. Genau deswegen arbeiten
wir im Zuge der neuen Strategie daran,
eine bessere Organisation zu bauen. Da
haben wir Nachholbedarf.
SPIEGEL: Das müssen Sie erklären.
Kerkhoff:Dieser Konzern ist eine interes-
sante Mischung aus den Unternehmen,
aus denen er entstanden ist. Thyssen war
extrem dezentral, Krupp war zentral.
Man hat über Jahre viele Unternehmen
zugekauft. Die haben Geld verdient, und
gut war’s. So entstand eine riesige An-
sammlung an Unternehmen, die hinzuka-
men, aber nicht richtig integriert wurden.
SPIEGEL: Und immer größer wurden.
Kerkhoff: Gesellschaften, die Geld verdie-
nen, neigen dazu, groß zu werden. Wenn
aber nicht mehr so gut verdient wird, wird
keine Organisation freiwillig klein.
SPIEGEL: Man nennt das auch Wildwuchs.
Kerkhoff: Ja, natürlich. Warum kamen
wir zum Beispiel über Jahre mit unserer
IT nicht vorwärts? Jeder Fürst hatte da
seinen eigenen Kram und hat sich ge-
wehrt, dass sich nichts ändert. Wir hatten
keine Strukturen, keine Transparenz, kei-
ne einheitlichen Systeme. Wenn Sie alle
Buchhalter zusammenlegen, aber jeder
hat noch sein eigenes System, das er mit-
bringt – da werden Sie wahnsinnig. Auch
da müssen wir eine Aufstellung finden,
die passt. Immer den Kunden im Blick
und weniger uns selbst.
SPIEGEL: Die Wahrheit ist doch, dass sich
jede Sparte auf die andere verlassen hat,
darauf, dass irgendjemand die eigenen
Verluste schon ausgleichen wird.


Kerkhoff:Das ist so. Und dann war da auch
vielfach die Überzeugung: Wir sind system-
relevant und können überhaupt nicht ka-
puttgehen. Keine Krise war da schon Party.
SPIEGEL: Klingt so, als habe Thyssen-
krupp über Jahre eine enorme Hierarchie
gehabt, aber trotzdem nicht genug Härte.
Kerkhoff: Ja, an Härte und Konsequenz
hat es vielfach gefehlt. Deshalb haben wir
jetzt einige Verlustbringer klar benannt
und angekündigt, dass wir bereit sind, uns
von ihnen zu trennen. Es ist ja nicht so,
dass wir die vorher nicht schon gekannt
hätten. Aber jetzt ist auch intern klar:
Hier kann sich keiner mehr verstecken.
Wer nicht genug leistet, dem muss klar
sein: So geht es nicht weiter.
SPIEGEL: Sie können Härte?
Kerkhoff: Ich muss es. Wir können
schlicht nicht mehr sagen: Wir gleichen
intern alles aus. Stattdessen müssen wir
in der Leistungskultur einen erheblichen
Schritt nach vorn machen.
SPIEGEL: Der Druck ist so stark, dass sich
keiner mehr wehren kann.
Kerkhoff: Ja, und wir haben jetzt Manage-
mentteams, die die Notwendigkeiten ak-
zeptieren. In der Vergangenheit waren
mir da einige nicht konsequent genug.
SPIEGEL: Sparen und Härte reichen ja
nicht, um den Konzern zu retten. Deshalb
wollen Sie die Aufzugsparte an die Börse
bringen oder verkaufen, teilweise oder
ganz. Was jetzt eigentlich?
Kerkhoff: Wir bereiten einen Börsengang
vor, und zwar ernsthaft: Dass er so viel dis-
kutiert wird, zeigt, wie interessant das Ge-
schäft ist. Es ist eines der besten Industrie-
geschäfte, die man haben kann. Deshalb
sind viele interessiert: Strategen, Finanz-
investoren, da gibt es viele Möglichkeiten.
SPIEGEL:Sie wollen an die Börse und sich
zugleich alle Optionen offenhalten?

Kerkhoff: Der Börsengang gibt uns einen
klaren Zeitrahmen, und wenn uns andere
etwas Besseres vorschlagen, dann schau-
en wir uns das an. Wir glauben an das Ge-
schäft, das hat noch sehr viel Potenzial.
Als ich als Vorstand anfing, hatten wir ei-
nen Gewinn von 600 Millionen, jetzt sind
wir bei 900. Aber da könnten wir längst
weiter sein. Da ist noch Luft nach oben.
SPIEGEL: Wann ist ein Angebot so gut,
dass Sie den Börsengang abblasen?
Kerkhoff: Wir müssen uns das alles genau
anschauen. Es geht um einen wertvollen
Teil des Konzerns. Und um einen mit
enormen Entwicklungschancen. Die Welt-
bevölkerung wächst, die Urbanisierung
nimmt zu, die Leute werden älter. Das
heißt, dass wir in Zukunft noch mehr Auf-
züge in den Gebäuden haben werden.
Das Geschäft wächst. Unsere Entschei-
dung muss für Thyssenkrupp nachhaltig
die beste sein. Ob jeder Investor und Stra-
tege mit seiner ganz eigenen Sicht das In-
teresse von Thyssenkrupp im Blick hat,
ist dagegen nicht so sicher.
SPIEGEL: Sie müssen verkaufen, weil sie
das Geld brauchen. Das drückt den Preis.
Kerkhoff:Wettbewerb bestimmt den Preis.
Weltweit suchen zum Beispiel Private-
Equity-Gesellschaften nach Anlagemög-
lichkeiten.
SPIEGEL: Der Börsengang ist ein Druck-
mittel auf mögliche Investoren, bald ein
Angebot zu machen?
Kerkhoff:Wenn der Börsengang stattfin-
det, ist der Zug für strategische Investoren
und Private-Equity-Investoren zunächst
abgefahren. Das setzt sie unter Zeitdruck.
Sie glauben gar nicht, wie viele Telefonan-
rufe ich gerade aus dieser Ecke bekomme.
SPIEGEL: Die aktuellen Kursverluste zei-
gen allerdings, dass der Konzern zum
Spielball von aktivistischen Investoren
auf der einen Seite und Spekulanten auf
der anderen wird. Die wetten gerade mit
Leerverkäufen auf einen weiteren Verfall
des Aktienkurses. Ist das zu stoppen?
Kerkhoff: Für Langfristaktionäre ist un-
sere Lage unsicher. Sie sind es leid, ständig
Ankündigungen zu hören, ich verstehe
das auch. Wir müssen Ergebnisse zeigen,
dann kommt das Vertrauen zurück.
SPIEGEL: Klingt gut, hat aber bisher nicht
funktioniert. Der Kurs rutscht weiter ab.
Kerkhoff: Für mich zeigt das auch, wie
überhitzt die Märkte gerade reagieren. Es
ist viel Geld im Markt, das angelegt wer-
den muss. Und Hedgefonds drehen das
Geld immer schneller und aggressiver.
Aber wir dürfen uns daran nicht orientie-
ren. Wir müssen uns darauf konzentrie-
ren, Stück für Stück zu liefern. Das klingt
jetzt nicht aufregend. Aber nennen Sie
mir eine Alternative – ich kenne keine.
SPIEGEL: Herr Kerkhoff, wir danken Ih-
nen für dieses Gespräch.

64 DER SPIEGEL Nr. 34 / 17. 8. 2019


MARCEL KUSCH / PICTURE ALLIANCE / DPA
Stahlwerk in Duisburg: »Jeder Fürst hatte seinen eigenen Kram«
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