Der Spiegel - 17. August 2019

(Ron) #1
Frankreich

Macron sucht die Ruhe –


und die Popularität


 Fast drei Wochen lang war es unge-
wohnt still um Emmanuel Macron. Der
Präsident nutzte die Zeit im Fort Brégan-
çon an der Côte d’Azur, so hieß es aus
dem Élysée, um Abstand zu gewinnen,
zu lesen und große internationale Begeg-
nungen vorzubereiten. Nur zu Beginn
seiner Ferien zeigte sich Macron öffent-
lich. Das Fort Brégançon ist seit Jahr-
zehnten das offizielle Urlaubsdomizil
französischer Präsidenten. Macron las

dort laut französischen Medien Dossiers
zum anstehenden G-7-Gipfel Ende
August in Biarritz und überließ seinem
Premier und den Ministern die Regie-
rungsgeschäfte. Im Umfeld des Präsiden-
ten heißt es, dies seien erste Zeichen
einer neuen Arbeitsteilung für den zwei-
ten Akt seiner Amtszeit. Nach dem un -
ruhigen vergangenen Jahr, in dem sich
Macron, auch aufgrund der Gelbwesten-
proteste, mehr als üblich ins politische
Alltagsgeschäft eingemischt hatte, will er
nun wohl Premierminister Édouard Phi-
lippe mehr Verantwortung übertragen.
Das war immer eine bewährte Strategie
französischer Präsidenten, um sich selbst
aus der Schusslinie zu nehmen und die
eigene Popularität zu steigern. Macron
will sich nach dem Abschluss der meisten
großen Reformprojekte nun angeblich –
wie von der Verfassung für seine Funk -
tion vorgesehen – vor allem um die gro-
ßen Linien und die Außenpolitik küm-
mern. Dafür unterbricht er sogar seinen
Urlaub: Am 15. August beging Macron
in Saint-Raphaël im Beisein afrikanischer
Staatschefs den 75. Jahrestag der Lan-
dung der Alliierten an der Mittelmeer-
küste, um der Soldaten aus den ehemali-
gen französischen Kolonien zu gedenken.
Am Montag will er Wladimir Putin emp-
fangen und mit dem russischen Präsiden-
ten, der seit der Annexion der Krim
von den Gipfeltreffen ausgeschlossen ist,
informelle Gespräche führen. BSA

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Ibiza-Affäre

Strache im Visier


 Vor der Parlamentswahl in
Österreich Ende September gera-
ten die beiden ehemaligen Koali -
tionspartner, die Österreichische
Volkspartei (ÖVP) von Ex-Kanzler
Sebastian Kurz und die rechts -
populistische Freiheitliche Partei
Österreichs (FPÖ), durch Ermitt-
lungen unter Druck. Nachdem die
Polizei Anfang der Woche unter anderem
das Haus des ehemaligen FPÖ-Chefs und
Vizekanzlers Heinz-Christian Strache
durchsucht hat, wollen Mitarbeiter von
Staatsanwaltschaft und Bundeskriminal-
amt nun auch dessen Mobiltelefon aus-
werten. Strache, der im Mai im Zuge der
Ibiza-Affäre von seinen Ämtern zurück-
getreten war, wird der Bestechlichkeit ver-
dächtigt. Er und weitere FPÖ-Funk tionäre
sollen Vertretern des Glücksspielkonzerns
Novomatic im Gegenzug für einen Füh-
rungsposten eine Lizenzver gabe zugesagt
haben, was Strache bestreitet. Die ÖVP
muss sich dafür rechtfertigen, dass Kurz’
früherer Social-Media-Chef unmittelbar
vor dem Regierungswechsel Festplatten

aus dem Kanzleramt hat schreddern las-
sen. Die Wiener Wirtschafts- und Korrup-
tionsstaatsanwaltschaft prüft, trotz aller
Dementis, einen Zusammenhang zwi-
schen der sogenannten Schredder-Affäre
und dem Ibiza-Video. Es zeigt, wie Stra-
che 2017 einer vermeintlichen russischen
Geschäftsfrau Staatsaufträge gegen Par-
teispenden in Aussicht stellte. Zwar gilt
Kurz nach wie vor als Favorit der Wahl.
Die Ermittlungen könnten jedoch seine
Optionen schmälern. Sollte eine Neuauf-
lage der Koalition mit der FPÖ nicht
zustande kommen, wäre Kurz auf die
Unterstützung der Grünen oder der Neos
angewiesen, um erneut Kanzler zu
werden. WMA

Jemen


»Bürgerkrieg im


Bürgerkrieg«


Im Südjemen bekämp-
fen sich seit Neuestem
bisherige Partner:
Mit den Vereinigten
Arabischen Emiraten
(VAE) verbündete
Kämpfer haben die
international anerkannte Regierung aus
Aden zurückgedrängt. Marie-Christine
Heinze, Präsidentin des deutschen Nah-
ost-Thinktanks Carpo, arbeitet als Be -
raterin zu Jemen und erklärt die neueste
Wende.


SPIEGEL:Wie kommt es, dass nun zwei
Verbündete aufeinander losgehen,
die bisher gemeinsam kämpften – und
zwar gegen ihren eigentlichen Kriegs-
gegner, die Huthi-Milizen?
Heinze:Es gab Anfang August zwei
große Anschläge auf Militärbasen in
Aden. Zu einem der Anschläge hatten
sich die Huthis bekannt. Der von den
VAE unterstützte Southern Transitio-
nal Council (STC) vermutete dahinter
allerdings die Muslimbrüder. Die wie-
derum stehen der international aner-
kannten Regierung nahe – welche von
Saudi-Arabien unterstützt wird. Des-
halb sind die schon länger bestehenden
Spannungen zwischen den beiden
Lagern neu aufgebrochen.
SPIEGEL:Wie könnte es angesichts
dieser komplizierten Lage nun weiter-
gehen?
Heinze: Die Situation ist kritisch. Die
Regierung wurde aus Aden vertrieben.
Wenn es ihr nicht gelingt, wieder zu -
rückzukehren, verliert sie ihren letzten
Rest an Legitimität. Riad will ein Tref-
fen einberufen, an dem die Regierung
und der STC teilnehmen sollen. Dort
müssten viele Kompromisse gefunden
werden. Eine mögliche Lösung wäre,
dass der STC in die Regierung inte-
griert wird.
SPIEGEL:Was bedeutet das für den
Jemen insgesamt?
Heinze: Es könnte der Beginn von
etwas Großem sein. Ein neuer Friedens-
prozess könnte entstehen, weil die
Regierung gezwungen ist, mit dem STC
zu verhandeln. Wenn es keine Einigung
gibt, könnte im Süden ein Bürgerkrieg
im Bürgerkrieg beginnen. Das wäre ein
Gewinn für die Huthis. Denn die Frak-
tionen, die bisher gegen sie standen,
wären dann mit internen Kämpfen be -
schäftigt. Auch al-Qaida und der »Isla-
mische Staat« könnten in dieser Instabi-
lität wieder stärker werden. RAS


Strache (r.) auf Ibiza 2017 (Videostandbild)

LUC BOUTRIA / BESTIMAGE
Macron, Ehefrau Brigitte mit Touristen
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